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Gesundheit: Wer nicht schläft, wird dumm

Nachts verarbeitet das Gehirn das Geschehen des Tages. Auch die Immunabwehr wird geschärft

Ein Schlaflabor ist keine gemütliche Einrichtung: An meinem Schädel kleben Elektroden, zwischen den Haaren fixiert mit hartem Gips. Auf der Stirn, über dem Herzen, unter Augen und Kinn halten Pflaster weitere Sensoren. Temperatursonden haften an diversen Stellen meines müden Körpers. Ein dickes Kabelbündel fesselt mich ans Kopfende.

Warum tue ich mir das an? Was um Himmels Willen habe ich als Testschläfer im Basler Zentrum für Chronobiologie verloren? Ganz einfach: Ich will die neuesten Erkenntnisse der Schlafforschung zusammentragen, will Lösungen sammeln für ein großes, jahrtausendealtes Rätsel: Warum müssen wir schlafen?

Warum verbringen wir ein Drittel unseres Lebens in einem passiven, unproduktiven, weitgehend schutzlosen Zustand? Diese Frage stellte sich der Grieche Alkmaion als einer der Ersten. Bis heute kann sie niemand schlüssig beantworten. „Es ist wahrscheinlich die größte offene Frage der Biologie“, sagt Allan Rechtschaffen aus Chicago, einer der Pioniere der Schlafforschung.

In den letzten zwei Jahrzehnten fand man heraus, wie wichtig die dunkle Seite unserer Existenz sein muss: Schlafentzug tötet Versuchstiere binnen zwei Wochen. Menschen, die mehrere Tage und Nächte wach sind, erleiden unentwegt Schlafattacken. Und – wie man mit moderner Analyse der Hirnströme erkennt – ein übermüdetes Gehirn verschafft sich selbst im Wachsein für Sekundenbruchteile den Zustand, den es am dringendsten braucht, um weiterarbeiten zu können: tiefen Schlaf.

Vieles spricht heute dafür, dass es vor allem das Denkorgan ist, das den Schlaf einst erfand. Alle Wesen, die ein halbwegs komplexes Nervensystem besitzen, müssen schlafen, selbst Fliegen und Würmer. Die Zürcher Physiologin Irene Tobler sammelt Indizien dafür, dass Würmer schlafen. Und in Madison, USA, beobachtet Reto Huber, wie junge Fliegen mehr Schlaf brauchen als ältere und wie man die Insekten mit Koffein wachhalten kann. Sein Fazit: „Die Schlafregulation bei Fruchtfliegen stimmt in den meisten, wenn nicht in allen wichtigen Komponenten mit der von Säugetieren überein."

Experimente mit Menschen machen klar, was das Gehirn tut, wenn das Wachbewusstsein abgeschaltet ist. Es verarbeitet das zurückliegende Geschehen. Es verfestigt wichtige Tagesinhalte, verlagert Daten aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis, verknüpft neue Infos mit alten Eindrücken und trainiert unbewusste Bewegungsabläufe, ohne sie wirklich auszuführen.

Eine der wichtigsten Aufgaben scheint das Wegwerfen überflüssiger Informationen zu sein. Viele Schlafforscher favorisieren derzeit als Erklärung des ursprünglichsten Sinns des Schlafs eine Theorie von Giulio Tononi und Chiara Cirelli (Universität von Wisconsin, USA). Während wir wach sind, entstehen demnach laufend neue Synapsen, das sind Kontakte zwischen den Nervenzellen. Die Forscher sind überzeugt, dass nur ein kleiner Teil der neuen Nervenzellverbindungen dauerhaft erhalten bleiben muss.

Der Großteil ist unwichtig, „Synapsen-Müll“, der anwächst, so lange wir wach sind. Deshalb steigt mit zunehmender Wachzeit der Druck, das komplexer werdende Assoziationsgeflecht im Gehirn zu vereinfachen. Die Forscher sprechen von „synaptischer Last“. Schließlich gibt das Gehirn dem Druck nach und fällt in Schlaf. Nun werden in großem Maße Synapsen abgebaut oder abgeschwächt. Nur besonders starke und wichtige Kontakte bleiben übrig. Nicht zuletzt deshalb lernen wir im Schlaf dazu, sagen die US-Forscher: „So bessert sich auf neuronaler Ebene das Verhältnis zwischen wichtigen Signalen und unwichtigem Rauschen.“

Allerdings braucht auch der Körper den Schlaf. Organe und Muskeln regenerieren sich, das Immunsystem bekämpft Infektionen oder bereitet sich auf eine Krankheitsabwehr vor. Und das Stoffwechselgeschehen kommt zur Ruhe, damit unser Inneres ausbalanciert in den nächsten Tag starten kann. Kein Wunder also, dass Menschen, die ihr persönliches Schlafbedürfnis dauerhaft ignorieren, viel riskieren: Anhaltender Schlafmangel kann dumm, dick und krank machen.

David Dinges aus Pennsylvania, USA, fand heraus, dass Menschen, die längere Zeit zu wenig schlafen, die gleichen Symptome zeigen, wie Menschen, die eine oder mehrere Nächte gar nicht schlafen durften. Wurde die Schlafzeit für zwei Wochen begrenzt, ließen Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Reaktionsfähigkeit kontinuierlich nach.

Besonders verblüffte, dass die Testpersonen das Gespür für Müdigkeit verloren. Schon nach wenigen Nächten sagten sie, sie fühlten sich tagsüber nicht schläfriger als am Vortag. Nicht nur diese mangelhafte Selbsteinschätzung haben übernächtigte Menschen mit Betrunkenen gemein: Nach 17 Stunden ohne Schlaf, schneiden wir in Leistungstests etwa so schlecht ab wie mit einem halben Promille Alkohol im Blut. Nach 24 Stunden Schlafentzug steigt unsere Reaktionszeit gar auf Werte, die wir ausgeschlafen nur mit einer Promille Alkohol erreichen.

Eine Schlafkur kann auch dem Körper auf die Sprünge helfen. „Moderne Menschen schlafen im Durchschnitt etwa eine Stunde weniger als vor 20 Jahren. Vielleicht sind viele unserer sogenannten Zivilisationskrankheiten langfristige Folgen dieses Trends“, sagt die Basler Chronobiologin Anna Wirz-Justice. „Es gibt viele Untersuchungen, die Schlafmangel und Stoffwechselkrankheiten miteinander in Verbindung bringen."

Auch beim Übergewicht zweifelt kaum mehr jemand an einem direkten Zusammenhang zum Schlafmangel. Menschen, die weniger als acht Stunden pro Nacht schlafen, nehmen umso mehr zu, je weniger Schlaf sie bekommen. Das fand Emmanuel Mignot von der kalifornischen Stanford Universität heraus. Normalschläfer hätten im Blut vergleichsweise geringe Werte des Hungerhormons Ghrelin und hohe Werte des körpereigenen Appetitzüglers Leptin. Schlafen wir zu wenig, essen wir folglich mehr als wir müssten, vermutet Mignot.

Trotz all dieser Erkenntnisse wird das Schlafbedürfnis in der modernen Leistungsgesellschaft meist unterschätzt. Ein tragischer Fehler, sagt der Schlafforscher Mark Mahowald aus Minnesota, USA: Eigentlich leide „jeder an Schlafmangel, der zum Aufstehen einen Wecker braucht“.

Der Autor hat kürzlich ein Buch zum Thema veröffentlicht: Das Schlafbuch. Warum wir schlafen und wie es uns am besten gelingt. Rowohlt, 320 Seiten, 19,90 Euro

Peter Spork

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