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Saccharin: Mehr als 400-mal süßer als Zucker, metallischer Beigeschmack

© Zucker Museum/Wiki CC

Tagesrückspiegel – Heute vor 145 Jahren: Auf einmal wurde es süß

Manchmal kann sich Schlamperei als Segen erweisen. So jedenfalls erging es dem Chemiker Constanine Fahlberg, als er Saccharin, den ersten künstlichen Süßstoff entdeckte.

Birgit Herden
Eine Kolumne von Birgit Herden

Stand:

Auch wenn der ganz große Eifer im Händewaschen nachgelassen hat, der Griff zur Seife bleibt mindestens vor der Mahlzeit ratsam. Das hätte eigentlich auch Constantine Fahlberg wissen müssen, als er am 27. Februar 1878 spät abends von seinem Labor an der Johns Hopkins-Universität in Baltimore heimkehrte. D

er Chemiker wollte herauffinden, was man wohl mit Steinkohleteer anstellen könnte, jenem klebrig-schwarzen Zeug, das in Hochöfen bei der Koksproduktion übrig bleibt. An jenem Abend hatte er über seiner Arbeit beinahe das Abendessen vergessen, und so lässt sich vielleicht eine mangelnde Handhygiene erklären, was sich für ihn als Glücksfall erwies.

Fahlberg biss in ein Brötchen und stellte erstaunt fest, dass es sich wohl um süßes Gebäck handeln müsse. Er griff zum Wasserbecher, spülte das Zeug hinunter, tupfte sich dann den Schnurrbart – und die Serviette schmeckte sogar noch süßer als das Brot. Nach einem weiteren Schluck – inzwischen schmeckte das Wasser wie Sirup –wurde dem Mann klar, dass er selbst die Quelle der unbeschreiblichen Süße war.

Forschen mit Risiko

In höchster Eile rannte er ins Labor zurück. Glücklicherweise hatte er dort, grad so schlampig wie beim Händewaschen, allerlei Gefäße mit Überresten stehen lassen. Hemmungslos kostete er von allen Kolben und angetrockneten Schalen, von all den potenziell giftigen und (wie man heute weiß) krebserregenden Folgeprodukte aus dem Steinkohleteer. Bingo, eine der Lösungen schmeckte supersüß.

Chemische Strukturformel von Saccharin  – das Molekül passt perfekt in den Zuckerrezeptor auf der Zunge.

© imago images/Science Photo Library/imago stock

In den kommenden Wochen und Monaten fand Fahlberg heraus, welches Molekül dafür verantwortlich war und wie man es gezielt herstellen konnte. Der erste künstliche Süßstoff, später Saccharin genannt, besteht aus einem ringförmigen Molekül, dessen Atome zufällig so angeordnet sind, dass sie perfekt in die Rezeptoren auf der Zunge passen, die sonst Zuckermoleküle detektieren.

Für die Vermarktung gründete der russischstämmige Forscher zusammen mit einem Vetter eine Firma nahe Magdeburg, sehr zum Zorn der Zucker-Lobby, auf deren Druck hin die täuschende Süße zeitweilig verboten wurde. Längst ist Saccharin ergänzt und ersetzt worden, durch ähnliche molekulare Trickser wie Aspartam und Cyclamat. Was als Zucker für Arme begann, das nährt heute bei vielen eine zweifelhafte, umstrittene Hoffnung: Süß schlemmen und dabei schlank bleiben.

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