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Sympathie-Analyse zum Tag der deutschen Einheit: Ost gegen West, West gegen Ost?
35 Jahre nach der Wiedervereinigung zeigt eine exklusive Datenanalyse alte Muster in einer neuen Welt. Warum die Spaltung so hartnäckig ist – und und was sie zusätzlich vertieft.
- Eric Beltermann
- Nina Breher
- Sarah Saak
- Lennart Tröbs
Stand:
In einem Dorf in Brandenburg, knapp 30 Kilometer von Berlin, ist die Welt noch in Ordnung. Zumindest aus Sicht eines Bewohners: Kaum Müll gebe es dort, schöne Vorgärten, und, auch das schreibt er, keine Migranten. Anders sei das in Berlin. Zu viel von allem Möglichen: Müll, Migranten und Verbrecher.
So weit, so klischeehaft – könnte man meinen. Der Beitrag stammt aus einer Umfrage zu Einstellungen von Menschen in Deutschland gegenüber dem Bund, den Bundesländern und dem politischen System. Und er ist nicht der einzige mit dieser Stoßrichtung.
Der Tagesspiegel hat die Umfrage gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von der Freien Universität Berlin anlässlich des Tags der deutschen Einheit exklusiv auswertet.
Denken wir 35 Jahre nach der Einheit immer noch in Ost und West? Woher kommt das Trennende noch nach so langer Zeit? Eines zeigen die Ergebnisse der Umfrage ganz deutlich: Eine Sympathiemauer trennt Deutschland.
Menschen in allen Bundesländern wurden gefragt, wie sympathisch ihnen Menschen aus den anderen Bundesländern sind. Wer im Osten wohnt, findet andere ostdeutsche Bundesländer durchweg sympathischer – und wer im Westen wohnt, dem sind die Menschen von dort näher.
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Politikwissenschaftler Achim Hildebrandt ist außerplanmäßiger Professor an der Universität Stuttgart und forscht zu regionalen Unterschieden. Von den Ergebnissen ist er nicht überrascht – wohl aber von ihrer Deutlichkeit.
Hildebrandt sieht eine verfestigte beidseitige Ost-West-Entfremdung, die vor allem ideologisch getrieben ist. „Nicht gut für die innere Einheit“, sagt er zusammenfassend.
Die Umfrage messe Projektionen, Klischees in den Köpfen, „da die wenigsten Menschen sich ein Bild über alle Bundesländer und deren Bewohner machen können“. Aber die Klischees seien wirkmächtig. „Dass Ostdeutsche Bayern ablehnen, das ist zum Beispiel gut nachvollziehbar. Wenn man sagt, die Westdeutschen haben eh eine viel zu große Klappe, dann ist die CSU geradezu ein Sinnbild dafür.“ Auch das ist natürlich: ein Klischee.
Eine Erkenntnis der Analyse der Forscherinnen und Forscher von der FU Berlin: Die Ungleichheit zwischen Ost und West, die in vielen Aspekten tatsächlich besteht, wird von Menschen in allen ostdeutschen Bundesländern wahrgenommen und als Problem identifiziert. Andersherum sehen Einwohner westdeutscher Bundesländer ihr Bundesland fast immer, mit Ausnahme des Saarlands, als bevorzugt.
Einfach formuliert: Der Osten fühlt sich benachteiligt. Und die Menschen haben recht. Noch immer sind die Löhne in Ostdeutschland deutlich niedriger, nämlich um knapp 21 Prozent. Noch immer ist die Arbeitslosigkeit höher, nämlich um 1,9 Prozentpunkte. Und noch immer liegt das durchschnittliche Vermögen ostdeutscher Haushalte um mehr als die Hälfte unter dem westdeutschen Niveau.
„Die Rangfolge entspricht zu großen Teilen der des Länderfinanzausgleichs“, sagt auch Hildebrandt. Oben die finanzstarken Geberländer, unten die Nehmerländer: Die Selbsteinschätzung der Bewohner ist also durchaus realistisch.
Die Gründe für die Unterschiede sind für Menschen in den östlichen Bundesländern häufig ökonomischer Natur. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das sei noch nicht umgesetzt worden, heißt es in der Umfrage. Selbst offizielle Stellen würden noch immer zwischen Ost- und Westberlin unterscheiden, etwa bei Rentenanträgen. Wie solle da Gleichheit herrschen?
Viele beklagen also eine Bevormundung – durch die Politik, durch die Wirtschaft und auch durch die Medien, wo die westdeutsche Perspektive vorherrsche. Andere sehen sich und ihre Mitbürger in der Eigenverantwortung – und finden teilweise, die Unterschiede würden als viel zu übertrieben dargestellt.
Identität „ostdeutsch“
Gefragt, welche Gemeinschaften die eigene Identität bestimmen – vom eigenen Ort über Bundesland und Ost/West bis hin zu Deutschland –, zeigt sich: Menschen in Ostdeutschland identifizieren sich auf allen Ebenen mit ihrer Region – von ihrem Wohnort bis hin zur nationalen Identität.
Das gilt sowohl für die lokale Identität als auch für die Identität mit dem Bundesland, und auch für die nationale Identität – aber in geringerem Maße. Und so kommt es, dass sich Ostdeutsche auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung am ehesten mit Ostdeutschland identifizieren. Umgekehrt ist bei Menschen aus den alten Bundesländern dieser Effekt nicht so stark ausgeprägt.
Insofern ist bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus den ostdeutschen Bundesländern eine Art Rückzug ins Lokale zu bemerken – also dorthin, wo vermeintlich nicht „von allem zu viel“ ist. Passend dazu beziehen die Umfrage-Teilnehmer aus den ostdeutschen Bundesländern Stellung gegen ‚den Westen‘, einige wollen einen eigenen Staat, und sie beklagen Eingriffe aus Berlin.
Hildebrandt zufolge wird Berlin im Rest der Republik mit dem Regierungssitz identifiziert, hinzu komme das Bild als dysfunktionale Stadt und eine generelle Metropolen-Abneigung. Die Stadt fällt gewissermaßen aus dem Ost-West-Schema heraus.
Auch an anderen Stellen zeigt sich in der Umfrage: Es geht nicht nur um Ost und West oder gar um Ost gegen West. Regionale Beziehungen sind komplexer als eine reine Ost-West-Logik es vermitteln würde.
Vielmehr sind die Unterschiede zwischen den Bundesländern politisch aufgeladen, wie sich an den Beispielen Berlin und Sachsen zeigt. Je weiter rechts sich die Umfrage-Teilnehmer im politischen Spektrum verorten, desto sympathischer finden sie tendenziell Sachsen – mit Berlin ist es umgekehrt, wenn auch nicht ganz so stark.
Die beiden Bundesländer seien so etwas wie Gegenentwürfe, sagt Hildebrandt: Hier das linke Berlin, dort das in Teilen rechts wählende Sachsen, die einander trotz geografischer Nähe nicht sympathisch finden.
Tatsächlich äußern einige Umfrage-Teilnehmer aus westdeutschen Bundesländern, der Osten Deutschlands sei rechter als der Westen.
35 Jahre nach der deutschen Einheit besteht die Teilung in vielen Köpfen weiter. Was muss sich ändern, damit Deutschland sich einig wird?
Einige Teilnehmer fordern diesbezüglich einen Mentalitätswechsel. Statt ständig über Ost und West zu reden, könne man doch auch dankbar sein für die Entwicklungen in Deutschland und Europa seit der Wiedervereinigung, schreibt ein Teilnehmer. Alle hätten doch ihre Probleme, wieso sehe man nicht zu, dass man die Deutschlands gemeinsam löse?, schreibt ein anderer.
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