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Proteste in Bagdad.

© dpa/Anadolu Agency/Murtadha Al-Sudani

20 Jahre nach der US-Invasion : Wie kann der Irak endlich aus der Krise kommen?

Der Irak bleibt ein Unruheherd in der Region, viele Menschen leben in Armut. Wie kann sich das Land wieder stabilisieren? Vier Expert:innen zeigen mögliche Wege auf.

Zwei Jahrzehnte nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein und dem Einmarsch der Amerikaner, steckt der Irak noch immer in einer politischen und ökonomischen Krise. Welche Lösungen kann es geben? In unserem Format „3 auf 1“ analysieren Expert:innen , in dieser Folge sogar vier, die Lage aus verschiedenen Richtungen. (Alle Folgen „3 auf 1“ können Sie hier nachlesen)


Im Inneren braucht es Miteinander statt Gegeneinander

Der Irak kann sich von den Turbulenzen der vergangenen zwei Jahrzehnte nur dann wirklich erholen, wenn er mit der grassierenden Korruption aufräumt, die Milizen in Schach hält und seine Abhängigkeit von den Öleinnahmen verringert. Wenn das Land sein eigenes Haus in Ordnung bringt, wird es in der Lage sein, sich gegen ausländische Einflüsse, auch aus dem Iran, zu behaupten.

Darüber hinaus muss das Land Gesetze ausarbeiten, um die in der Verfassung von 2005 versprochenen Institutionen aufzubauen und ein höheres Maß an Dezentralisierung zu ermöglichen.

Die irakische Bundesregierung und die kurdische Regionalregierung müssen gemeinsam eine dauerhafte Lösung des Konflikts um die umstrittenen Gebiete anstreben, einschließlich einer Aufteilung der Erdöl-Einnahmen aus dieser Region.

Die kurdische Regionalregierung ihrerseits muss die von oben ausgehende Korruption in ihrer Region ausmerzen und ihr autoritäres politisches System öffnen, indem sie die Kontrolle der politischen Parteien über die Institutionen beendet. Zudem müssen die beiden kurdischen Parteien sich über die Aufteilung der Erdöl-Einnahmen einigen, um die Aufteilung ihrer Region in zwei separate Gebiete zu beenden. 


Die junge Generation muss sich politisch beteiligen dürfen

Seit 2003 leben wir im Irak in einer diffusen Situation. Nach Jahren des Konflikts zwischen den verschiedenen Volksgruppen und der extremistischen Herrschaft des IS über Teile des Irak ist sie immer unklarer geworden. Die irakische Regierung ist schwach. Sie bezieht ihre Autorität aus einem ethnisch-konfessionellen Proporzsystem, das alle Volksgruppen berücksichtigen soll.

Viele Jahre lang glaubten wir an den „Traum der Demokratie“, den Amerika mit Panzern zu uns bringen wollte. Panzer, die alles zerstörten: Regierungssysteme, Verwaltungsinstitutionen, die irakische Armee, authentische gesellschaftliche Werte und den Traum einer ganzen Generation von einer Heimat, die alle verschiedenen Spektren beherbergt.

Sie verschwendeten die Bemühungen früherer Generationen, die jahrelang mit ihrem Blut und ihrem Leben bezahlten, um den Irak in den 80er- und 90er-Jahren bis zu seinem Fall durch die amerikanische Invasion im Jahr 2003 zu bewahren.

US-amerikanische Militärpolizei überprüft die Tasche eines irakischen Mannes nahe Basra (Archivbild von 2003).
US-amerikanische Militärpolizei überprüft die Tasche eines irakischen Mannes nahe Basra (Archivbild von 2003).

© Reuters/Oleg Popov

Der „Traum von der Demokratie“ trieb uns seither jedes Mal dazu, an Wahlen teilzunehmen – in der Hoffnung auf Veränderung. Doch die Ausrufung des Kalifats durch den IS 2014 hat uns die fatale Lage dramatisch vor Augen geführt.

Ich gehöre der neuen Generation an, die sich im Oktober 2019 entschied, mit Demonstrationen und Protesten ihre Kritik zum Ausdruck bringen. Wir lehnen das aktuelle politische System ab, das nach der Invasion 2003 geschaffen wurde. Es basierte darauf, den ehemaligen Irak zu zerstören, und legte für die verschiedenen Volksgruppen sektiererische Quoten für die Regierungsführung fest. Diese zementieren die Spaltung des Irak bis heute.

An dieser Situation wird sich nichts ändern, außer die junge Generation erhält die Möglichkeit, sich umfassend politisch zu beteiligten. Sie kann neue Parteien mit frischem Blut gründen, die dem irakischen Volk dienen und deren Loyalität dem ganzen Land gilt – und nicht nur einer Volksgruppe oder dem persönlichen Umfeld.

Die entscheidende Frage bleibt jedoch: Wie kann dies geschehen, solange im Irak Waffen unkontrolliert verfügbar sind? Und solange iranische Milizen, die offiziell den irakischen Sicherheitskräften angeschlossen sind, die politischen Entwicklungen im Irak beeinflussen?


Die internationale Gemeinschaft muss ihre Rolle überdenken

Die Republik Irak kämpft noch immer um ihre Souveränität. Sie ist eine parlamentarische Demokratie mit schweren Defiziten – umgeben von einer Welt autoritärer Systeme, deren Defizite nicht geringer sind.

Es ist Zeit, die Rolle der internationalen Gemeinschaft zu überdenken: Solange etwa die Vereinten Nationen im großen politischen Spiel des Landes mittun, verstetigt sich bei den Irakerinnen und Irakern das Gefühl, ein ewiger Krisenstaat unter der Vormundschaft der Weltmächte im Sicherheitsrat zu sein.

Der Irak liegt an einem neuralgischen Punkt im Nahen Osten. Ist das Land instabil, bekommen die Nachbarn das dramatisch zu spüren – und umgekehrt. Als Knautschzone für geopolitische Konflikte gerät das Land permanent in Mitleidenschaft.

Marineinfanteristen der U.S. Marine Expeditionary Unit (MEU) Fox Company „Raiders“ gehen vor irakischem Feuer in Deckung. Aufgenommen am 21. März 2003.
Marineinfanteristen der U.S. Marine Expeditionary Unit (MEU) Fox Company „Raiders“ gehen vor irakischem Feuer in Deckung. Aufgenommen am 21. März 2003.

© Reuters/Desmond Boylan

Je schwächer der innere Zusammenhalt, desto leichter fällt es externen Akteuren, die jeweiligen politischen Kräfte für ihre Zwecke zu benutzen – auch wenn sie es mit dem Argumenten tun, negative Folgen von Konflikten im Irak abwenden zu wollen und daher im eigenen Sicherheitsinteresse handeln.

Das Land muss daher helfen, regionale Spannungen abzubauen, was es zum Teil schon erfolgreich tut. Die internationale Gemeinschaft wiederum muss dem Irak helfen, seine inneren Konflikte zu überwinden: nicht durch politische Einflussnahme, sondern durch ein Unterstützung für permanentes System von nationalem Konfliktmanagement und Dialog. Unter irakischer Führung.


Es braucht einen Staat, der an Gerechtigkeit glaubt

Krieg und Besatzung waren der schwierigste Weg, um den Irak von der Diktatur zu erlösen und gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen. Dennoch sind im Irak eine Zivilgesellschaft und ein gewisser rechtlicher Rahmen entstanden, der demokratische Praktiken, politischen und intellektuellen Pluralismus sowie die Offenheit des Irak gegenüber der Außenwelt ermöglicht.

Heute, nach dem schweren Erbe von Kriegen, Konflikten, Zerstörung und Ruin, wollen die progressiven irakischen Reformer das Land auf den Weg zu Stabilität und Wohlstand bringen. Dafür muss zunächst ein starker Rechtsstaat mit Gewaltmonopol aufgebaut werden. Waffen gehören nur in die Hände der offiziellen Sicherheitskräfte.

Wir brauchen einen Staat, der an die Bekämpfung der Korruption glaubt, an die Beteiligung von Frauen an der Entscheidungsfindung in allen Lebensbereichen, an soziale Gerechtigkeit, an die Chancengleichheit durch Bereitstellung von Arbeit und Dienstleistungen. Klima- und Umweltprobleme und die Wasserknappheit müssen zur politischen Priorität werden. Damit sich diese Hoffnungen braucht es echten politischen Willen und eine umfassende gesellschaftliche Beteiligung.

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