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50 Jahre nach der Helsinki-Konferenz: Ist die Welt heute unsicherer als im Kalten Krieg?
1975 trafen sich Vertreter aus Ost und West in Helsinki und schufen bei der KSZE die Grundlage für Frieden in Europa. Viel geblieben davon ist nicht, sagt die Friedensforscherin Solveig Richter.
Stand:
Frau Richter, in Helsinki trafen sich vor 50 Jahren Vertreter der USA, der Sowjetunion und aus ganz Europa, um die Sicherheit des ganzen Kontinents zu besprechen. Historiker sagen, die Entspannung des Kalten Krieges habe damals ihren Höhepunkt erreicht. Was war an dieser Konferenz in Helsinki eigentlich so besonders?
Dass die osteuropäischen Blockstaaten und die Länder des Westens es schafften, sich zusammenzusetzen, obwohl sie von so unüberbrückbaren Gegensätzen geprägt waren. Deswegen ist die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, also die KSZE, einzigartig. Die Idee, dass Sicherheit für alle auch durch Kooperation entstehen kann, war besonders. Von Wladiwostok bis Vancouver, denn sogar Kanada war bei der Konferenz dabei.
Und wie sah diese Sicherheit genau aus? Was wurde in Helsinki besprochen?
Generell waren alle daran interessiert, ihre jeweiligen Sicherheitsbedürfnisse festzuhalten. Und die westlichen Staaten haben immer wieder betont, wie wichtig ihnen die Verzahnung von Sicherheit mit Demokratie war.
Am Ende einigte man sich nicht nur auf die Einhaltung von Bürger- und Menschenrechten, sondern auch darauf, dass die Grenzen in Europa unverletzlich seien. Außerdem auf gemeinsame Rüstungskontrolle, Informationsaustausch über militärische Aktivitäten und weitere regelmäßige Treffen, um Spannungen zwischen den Staaten abzubauen.
Der Kalte Krieg dauerte danach noch 16 Jahre. Hat das Abkommen überhaupt etwas gebracht?
Ja, nach der Konferenz haben sich die Länder immer wieder in Folgekonferenzen getroffen, um zu überprüfen, ob diese Bekenntnisse auch von allen eingehalten wurden. Dort schafften es gerade zivilgesellschaftliche Akteure, die osteuropäischen Blockländer auf die Einhaltung von Menschenrechten hinzuweisen. So ist der Spielraum für prodemokratische Kräfte in den kommunistischen Ländern Stück für Stück gewachsen.
Im Jahr 1992 ist dann in Wien die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) entstanden, die die Werte der Helsinki-Konferenz aufrechterhalten sollte. Seither führt sie zum Beispiel Friedensmissionen und Wahlbeobachtung in allen OSZE-Staaten durch. Und sie ist auch bis heute die einzige europäische Sicherheitsorganisation, in der Russland noch neben den USA einen festen Sitz hat.
Es ist offensichtlich, dass Putin expansionistische Ziele hat und diese militärisch verwirklichen will. Wie weit er gehen würde, bleibt aber unklar.
Solveig Richter, Politikwissenschaftlerin
Russland führt seit drei Jahren einen offenen Angriffskrieg gegen die Ukraine, ein anderes Mitglied derselben Organisation. Die OSZE scheint bedeutungslos geworden.
Als Sicherheitsorganisation ist sie schwach, aber nicht bedeutungslos. Sie war nie dafür gedacht, militärische Sicherheit zu garantieren. Aber sie bietet ein Forum für den Zeitpunkt, wenn die Staaten einen Wunsch zur Kooperation oder vertrauensbildenden Maßnahmen haben.
Einige Stimmen in Deutschland sagen, der Westen müsse mehr Diplomatie wagen, eine Hand Richtung Russland ausstrecken. Wäre die OSZE ein Rahmen dafür?
Als Friedens- und Konfliktforscherin ist es wichtig, neben militärischen Maßnahmen auch Verhandlungslösungen und -spielräume zu finden. Und Diplomatie findet statt, ja. Zum Beispiel sprechen westliche und russische Diplomaten bei der OSZE in Wien oder vor einem Jahr bei der Friedenskonferenz in der Schweiz.
Aber das Kooperationsinteresse Russlands muss echt sein, damit eine Organisation wie die OSZE ein Forum bieten kann. Stattdessen sehen wir, dass Russland im Moment gar kein Interesse an Entspannung und Kooperation hat – im Gegensatz zur Sowjetunion vor 50 Jahren.
Unsere Zeit ist unvorhersehbarer, als sie es damals war.
Solveig Richter, Politikwissenschaftlerin
War die Situation vor 50 Jahren im Kalten Krieg also sicherer als heute?
Am Anfang wurde der Kalte Krieg kein heißer Krieg, weil die Staaten einander durch nukleare Waffen abgeschreckt hatten. Es war in dem Sinne ein vorhersehbares Kalkül zwischen zwei Großmächten und den Blöcken, keine atomaren Waffen einzusetzen. Heute funktioniert die Nuklearabschreckung zwar immer noch, das sehen wir.
Allerdings haben wir mit Russland heute einen Aggressor, der nicht davor zurückschreckt, die territoriale Integrität eines anderen Landes zu verletzen. Es ist offensichtlich, dass Putin expansionistische Ziele hat und diese militärisch verwirklichen will. Wie weit er gehen würde, bleibt aber unklar. Darum ist unsere Zeit unvorhersehbarer, als sie es damals war.
Sie können sich gerade keine funktionierende Sicherheitsordnung in Europa vorstellen. Fehlt Ihnen manchmal der Optimismus dafür?
Je intensiver man sich mit der aktuellen Situation beschäftigt, mit Putins Zielen, mit der ideologischen Ausrichtung seines Regimes, mit der Aufrüstungspolitik, je mehr ich mit Leuten rede, die sich sehr mit der Innenpolitik Russlands auskennen, desto stärker rücke ich davon ab, dass man im Moment mit russischen Verhandlern etwas erreichen kann. Nicht einmal Trump hat das geschafft.
Deswegen ist es unehrlich, dem Westen vorzuwerfen, dass er sich nicht mit Putin an einen Tisch setzen wolle. Verhandlungsangebote gab es zuhauf, auch direkt vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Es scheitert schlicht und ergreifend daran, dass diese Gespräche nicht im Interesse der russischen Führung sind.
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