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Der Nachfolger beerdigt den Vorgänger: Papst Franziskus am Sarg von Joseph Ratzinger am Mittwoch

© Ansa via Zuma Press/Vatican Media

Abschied von Benedikt XVI.: Lebenslang konservativ, revolutionär zum Schluss

Wie sein Amtsverzicht vor fast zehn Jahren war jetzt auch die Trauerfeier für den deutschen Papst eine Herausforderung für seine Kirche. Sein Tod ist es auch für seinen Nachfolger.

Ein geradezu deutscher Winternebel lag über dem Petersplatz, als dort am Mittwochfrüh um 9.30 Uhr der feierliche Abschied von Papst Benedikt XVI. begann. Zu Ehren des Manns, der vor 95 Jahren als Joseph Ratzinger im oberbayerischen Flecken Marktl am Inn geboren wurde, hatten sich neben Ministerpräsident Söder Traditionsblaskapellen und Schützenvereine aus der Heimat eingefunden.

Im weißblauen Teil des mit 50.000 Menschen nicht ganz eng besetzten Platzes wurde auch ein Spruchband nach oben gereckt, das die sofortige Heiligsprechung des am Silvestertag Verstorbenen forderte: „Santo subito“.

Dass dem berühmten Theologen, aber kontroversen Kirchenpolitiker der Heiligenschein seines Vorgängers Johannes Paul zuteil wird, dagegen dürfte es starke Einwände geben. Schon am Todestag wandten sich die deutsche Vereinigung der Missbrauchsopfer katholischer Priester, der „Eckige Tisch“, gegen aus ihrer Sicht falsche Erinnerungen: Joseph Ratzinger verkörpere „die klerikale Herrschaft der Priesterschaft in der katholischen Kirche wie kein zweiter“.

Ratzinger habe als hochbegabt und empfindsam gegolten, sei aber „langjähriger Verantwortlicher jenes Systems, dem (durch Priester Missbrauchte) zum Opfer fielen“ und habe schon in früher Jugend jener kleinen Kaste angehört, „die ein vorgebliches Leben ohne Sex und Beziehung gegen Macht, Schutz und lebenslange Versorgung eintauschen“. Als Bischof in München habe er einen Täter gedeckt, der deshalb sexualisierte Gewalt an Kindern fortsetzen konnte.

Er wollte die allerschlichteste Feier

Derlei war am Tag der Beisetzung nicht einmal in Andeutungen die Rede auf dem Petersplatz. Zum ersten Mal in der Kirchengeschichte beerdigte ein Papst einen Papst – die wahre Herausforderung für die Zeremonienmeister des Vatikans, die sowohl dem Emeritus mehr Ehre erweisen wollten als einem verstorbenen Jedermann, gleichzeitig aber zu berücksichtigen hatten, dass die Feierlichkeiten nicht die für einen amtierenden Papst in den Schatten stellten.

Eine „feierliche, aber schlichte“ Zeremonie hatte Vatikansprecher Matteo Bruni nach dem Tod Benedikts versprochen, der als erster Papst der katholischen Kirchengeschichte nicht im Amt starb, sondern 2013 darauf verzichtet hatte. Der Emeritus selbst, der die Jahre seit seinem Rücktritt in einem für ihn geräumten Frauenkloster innerhalb der Vatikanmauern verbrachte, hatte sich die „einfachstmögliche Feier“ gewünscht.

Sein Sarg lieferte dafür das deutlichste Zeichen: In einem vollkommen schmucklosen, fast roh wirkenden Sarg aus Zypressenholz setzten zwölf Männer die sterbliche Hülle Joseph Ratzingers vor dem Altar ab, wo sein Nachfolger Franziskus das Requiem für ihn zelebrierte.

Auch der Nachfolger wirkt gebrechlich

Oder doch eher die Oberaufsicht führte: Jorge Mario Bergoglio nimmt viele Termine wegen Problemen mit seinem rechten Knie inzwischen im Rollstuhl wahr. Den liturgisch bedeutsamen Teil des Trauergottesdiensts übernahm für ihn Kardinal Giovanni Battista Re, als Kardinalsdekan, also Vorsitzender des Kardinalskollegiums, die Nummer zwei in der vatikanischen Hierarchie. Der 86-jährige argentinische Papst, der kürzlich scherzte, er führe die Kirche „nicht mit den Beinen, sondern mit dem Kopf“, wirkte in Teilen der Zeremonie über Knieprobleme hinaus gebrechlich.

Hirte sein heißt lieben, und lieben heißt auch bereit sein zu leiden. Und den Schafen das wahrhaft Gute zu geben.

Papst Franziskus in der Predigt während des Requiems für seinen Vorgänger

Franziskus’ Predigt galt dem Amt des Hirten – die Metapher für Priester – und sie ließ sich ebenso als Würdigung des Vorgängers wie als eigene programmatische Äußerung lesen: „Der Hirte trägt die Verantwortung, besonders dort, wo das Gute bedroht ist“ und die Brüder und Schwestern in Gefahr gerieten. Die Herde zur Weide zu führen „heißt lieben, und lieben heißt auch bereit sein zu leiden. Und den Schafen das wahrhaft Gute zu geben.“ Er könne aber nicht allein tragen, sondern brauche „Gebet und Fürsorge des Volks Gottes“. Den toten Vorgänger würdigte Franziskus als „treuen Freund des himmlischen Bräutigams“.

Italiens Vatikanisten haben in diesen Tagen auch das komplizierte Verhältnis der beiden Päpste analysiert, kirchenpolitische Antagonisten, die einander jedoch alle Ehre erwiesen: Vor allem Benedikt ließ sich zu keinem Wort der Kritik an seinem Nachfolger hinreißen, obwohl er an etlichen Reformen des Nachfolgers schwer geschluckt haben dürfte.

Franziskus schränkte etwa den Gebrauch der lateinischen Messritus wieder ein, den erst Benedikt wieder ermöglicht hatte. Der emeritierte Papst, schrieb Massimo Franco jetzt in der italienischen Tageszeitung Corriere della sera, habe dem Amtsinhaber so den Rücken freigehalten, hinter dem etliche konservative bis reaktionäre Kirchenfürsten die Messer gegen ihn wetzten.

Beruft Franziskus einen deutschen Reformbischof?

Der aus Mainz stammende Kardinal Gerhard Ludwig Müller, einer ihrer Wortführer, wird mit den Worten zitiert, die „von Franziskus Verletzten“ hätten beim Vorgänger „im Kloster Heilung gesucht“. Müller war selbst einer dieser Verletzten. Franziskus hatte seine Amtszeit als Chef der Glaubenskongregation – das Amt, in dem Benedikt seinen Ruf als harter Konservativer festigte – 2017 nicht verlängert.

Nachdem heilende Pilgergänge in Benedikts klösterliche Residenz nun nicht mehr möglich sind und er selbst als Vermittler ausfällt, rechnen Vatikaninformierte mit noch härteren Konflikten um Macht und Kurs der Kirche. Zumal Franziskus daran zu denken scheint, den 61-jährigen Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer nach Rom zu holen.

Wilmer ist offener Unterstützer des deutschen Reformversuchs „Synodaler Weg“ und Befürworter einer neuen katholischen Sexualmoral. Er spricht statt von bösen Menschen lieber von „bösen Strukturen“ in der Kirche – der Schrecken des traditionalistischen katholischen Klerus weltweit. Ein Anti-Ratzinger als Chef von dessen alter Machtbasis, der Glaubenskongregation. Erneut könnte ein Deutscher Franziskus’ Pontifikat entscheiden.

Bischöfe und Kardinäle in der ersten Reihe: Die Messe für den verstorbenen Papst Benedikt auf dem Petersplatz in Rom.
Bischöfe und Kardinäle in der ersten Reihe: Die Messe für den verstorbenen Papst Benedikt auf dem Petersplatz in Rom.

© AFP/Handout / AFP/Vatican Media

Zwei Kardinäle bedecken den Leichnam Benedikts, bevor sein Sarg verschlossen wird.
Zwei Kardinäle bedecken den Leichnam Benedikts, bevor sein Sarg verschlossen wird.

© AFP/Vatican Media

Der Sarg Benedikts auf den Schultern von zwölf Trägern. Hinter ihnen Georg Gänswein, jahrelang der engste Mitarbeiter und Vertraute Ratzingers.
Der Sarg Benedikts auf den Schultern von zwölf Trägern. Hinter ihnen Georg Gänswein, jahrelang der engste Mitarbeiter und Vertraute Ratzingers.

© Getty Images/Corbis/Alessandra Benedetti

Gläubige warten frühmorgens auf den Beginn der öffentlichen Trauermesse für den verstorbenen emeritierten Papst Benedikt XVI. auf dem Petersplatz.
Gläubige warten frühmorgens auf den Beginn der öffentlichen Trauermesse für den verstorbenen emeritierten Papst Benedikt XVI. auf dem Petersplatz.

© dpa/Michael Kappeler / dpa/Michael Kappeler

Trauergäste aus Deutschland: vorn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, hinter ihm Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Kanzler Olaf Scholz
Trauergäste aus Deutschland: vorn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, hinter ihm Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Kanzler Olaf Scholz

© imago/Independent Photo Agency

Eine Nonne wartet auf den Beginn der Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Ex-Papst, in der Hand einen Rosenkranz und den „Osservatore Romano“, das Zentralorgan des Vatikans.
Eine Nonne wartet auf den Beginn der Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Ex-Papst, in der Hand einen Rosenkranz und den „Osservatore Romano“, das Zentralorgan des Vatikans.

© AFP/Tiziana Fabi

Auch der amtierende Papst Franziskus wirkte während der Trauerfeier gebrechlich. Er leitete die Messe für seinen Vorgänger teils im Rollstuhl.
Auch der amtierende Papst Franziskus wirkte während der Trauerfeier gebrechlich. Er leitete die Messe für seinen Vorgänger teils im Rollstuhl.

© Getty Images/Corbis/Alessandra Benedetti

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