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Rauch steigt nach einem Drohnenangriff auf einen Militärstützpunkt in der Region Irkutsk in Russland auf.

© REUTERS/Governor of Irkutsk Region

Update

„Aktion Spinnennetz“: Ukraine greift Russland tief im Landesinneren an – Selenskyj feiert „brillante“ Ergebnisse

Es sei die „weitreichendste Operation“ seit Kriegsbeginn gewesen, freut sich Selenskyj. Die Ziele liegen weit hinter der Grenze bis nach Ostsibirien. Am Montag führen Kiew und Moskau wieder Gespräche.

Stand:

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj feiert die „absolut brillanten“ Ergebnisse des Angriffes auf vier Militärstützpunkte tief im russischen Staatsgebiet. Es sei die „weitreichendste Operation“ seines Landes seit Beginn des russischen Angriffskrieges gewesen, sagte Selenskyj am Sonntagabend.

Zugleich versicherte er, dass die dafür nach Russland eingeschleusten Geheimdienstagenten „rechtzeitig aus dem russischen Gebiet zurückgeholt“ worden seien. Dagegen hatte der Kreml erklärt, es seien mehrere Verdächtige festgenommen worden. Beide Angaben ließen sich nicht unabhängig prüfen.

Was wurde beim Großangriff der Ukraine zerstört?

Die Ukraine hat nach Angaben ihres Geheimdienstes am Sonntag „großangelegte“ Angriffe auf vier russische Luftwaffen-Stützpunkte weit hinter der ukrainischen Grenze bis nach Ostsibirien ausgeführt. Ziel des Einsatzes sei „die Zerstörung feindlicher Kampfbomber“, hieß es aus Kreisen des ukrainischen Geheimdienstes SBU.

Nach SBU-Angaben wurden mehr als 40 Kampf- und Aufklärungsflugzeuge zerstört – etwa 34 Prozent der russischen Bomber, die in der Lage sind, Marschflugkörper abzusetzen. Diese Zahlen waren bislang nicht unabhängig überprüfbar. Doch Fotos und Videos zeigten beschädigte und zerstörte Kampfflugzeuge der Typen Tupolew Tu-95 und Tu-22. Mit Raketen, die von solchen Flugzeugen starten, hat Russland immer die Ukraine beschossen.

Mit dem Angriff habe die Ukraine der russischen Luftwaffe Schäden in Höhe von umgerechnet mehr als sechs Milliarden Euro zugefügt, erklärte der SBU. Dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zufolge kamen 117 Drohnen zum Einsatz.

Das russische Verteidigungsministerium bestätigte ukrainische Angriffe mit sogenannten First-Person-View-Drohnen, kurz FPV-Drohnen. Mehrere Flugzeuge seien dabei in Brand geraten, Menschen aber nicht zu Schaden gekommen. Es seien Verdächtige für die Angriffe festgenommen worden, hieß es aus Moskau. Aus Gebieten in der „unmittelbaren Nachbarschaft“ von Flugplätzen seien Drohnen auf die Flugzeuge abgefeuert worden.

„Aktion Spinnennetz“: Welche Flugzeuge kamen zum Einsatz?

Die Ukraine nannte den Einsatz „Aktion Spinnennetz“. Dabei hätten sich die Angriffe unter anderem gegen die russische Militärbasis in Belaja in Ostsibirien gerichtet, die rund 4200 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt in der Region Irkutsk liegt. Zudem seien auch die Luftwaffen-Stützpunkte in Djagilewo, Iwanowo und in Olenia in der Region Murmansk in der russischen Arktis angegriffen worden. Diese Region liegt rund 1900 Kilometer von der Ukraine entfernt. 

Dabei seien Kampfflugzeuge vom Typ Tupolew Tu-95 sowie Tu-22 und spezielle Frühwarnflugzeuge Berijew A-50 zerstört worden. Nach offiziell unbestätigten Berichten setzte der ukrainische Geheimdienst Kampfdrohnen ein, die von Verstecken in Holzhäusern gestartet wurden, die auf Lastwagen verladen waren. Eine unabhängige Bestätigung war nicht möglich.

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FPV-Drohnen können aus Sicht einer eingebauten Kamera gesteuert werden. Nach Angaben aus Kreisen der ukrainischen Geheimdienste wurden diese nach Russland geschmuggelt und von dort aus am Sonntag in Richtung ihrer Ziele gestartet.

„Ein Jahr, sechs Monate und neun Tage vom Planungsbeginn bis zur effektiven Umsetzung“, schrieb Selenskyj auf der Plattform X. Er habe den Geheimdienst angewiesen, die Öffentlichkeit über einen Teil des Einsatzes zu informieren.

Ukrainische Angriffe im Landesinneren sind selten

Der Gouverneur der Region Irkutsk, Igor Kobzew, sprach am Sonntag von einem „Drohnenangriff“ auf das Dorf Srednij, das direkt neben der Militärbasis von Belaja liegt. „Das ist der erste Angriff dieser Art in Sibirien“, sagte er. Er rief die Bevölkerung auf, nicht in „Panik“ zu verfallen. Auf einem Video, das der Gouverneur veröffentlichte und das anscheinend von Anwohnern gedreht worden war, ist eine Drohne am Himmel zu sehen und eine große, graue Rauchwolke im Hintergrund.

Das ist der erste Angriff dieser Art in Sibirien.

Igor Kobzew, Gouverneur der Region Irkutsk.

Der Gouverneur der Region Murmansk, Andrej Tschibis, hatte bestätigt, dass sich „feindliche Drohnen“ am Himmel befänden und dass die Luftabwehr arbeite. Russland gibt fast täglich bekannt, ukrainische Drohnen über seinem Gebiet abgeschossen zu haben. Es ist aber sehr selten, dass sie so weit im Landesinneren angreifen.

Die ukrainischen Angriffe erfolgten einen Tag vor voraussichtlich neuen direkten Gesprächen zwischen Moskau und Kiew. Diese sollen am Montag in Istanbul stattfinden. Die Gesprächsrunde in Istanbul ist die zweite seit Mitte Mai. Davor hatten die Kriegsparteien zuletzt 2022 direkt miteinander gesprochen. 

Wo stehen Moskau und Kiew vor den Verhandlungen?

Beide Seiten haben Forderungen für ein Ende der Kampfhandlungen formuliert, die bisher kaum zusammenpassen. Zudem weiteten die Kriegsparteien kurz vor dem Treffen in Istanbul ihre gegenseitigen Angriffe massiv aus. Laut Selenskyj hatte Russland die Ukraine in der Nacht zum Sonntag mit fast 500 Drohnen sowie mit Raketen angegriffen. Die Ukraine dürfte ihrerseits mit ihrem koordinierten Angriff auf mehrere russische Militärflugplätze vor den Verhandlungen auch Stärke demonstrieren wollen.

Einsatzkräfte entfernen am Sonntag die Trümmer eines Privathauses in Saporischschja.

© REUTERS/Thomas Peter

Der ukrainische Präsident fordert auf der Grundlage eines US-Vorschlags eine international überwachte bedingungslose 30-tägige Waffenruhe als Einstieg in Friedensverhandlungen. Für die Vereinbarung eines dauerhaften Friedens stellt er sich auch ein Treffen auf höchster Ebene vor. Nur so könnten die wichtigsten Fragen gelöst werden.

Moskau lehnte eine bedingungslose Waffenruhe mit dem Argument ab, Kiew könnte eine Feuerpause zum Kräftesammeln im Krieg nutzen. Russland stellt zwei Bedingungen als Mindestvoraussetzung für eine Waffenruhe.

„Für die Dauer der Waffenruhe ist es zumindest erforderlich, dass die westlichen Länder die Waffenlieferungen an das Kiewer Regime einstellen und die Ukraine ihre Mobilmachung beendet“, sagte Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am Freitag. Sein Land sei bereit, bei den Verhandlungen in Istanbul über die Bedingungen für einen Frieden zu reden.

Was ist von den Verhandlungen zu erwarten?

Vor allem wollen beide Seite über ihre jeweiligen Memoranden für eine Beendigung des Kriegs sprechen. Die Ukraine will Russlands Eingabe nun in Istanbul begutachten, nachdem sie ihr Dokument Russland bereits vorab übergeben hatte. Laut Selenskyj hat die russische Seite noch kein Memorandum vorgelegt. „Wir haben es nicht, die türkische Seite hat es nicht, und die amerikanische Seite hat das russische Dokument auch nicht“, schrieb er am Vorabend der Gespräche auf der Plattform X.

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Während Kiew kaum Erwartungen an eine Lösung hat und weiteren Sanktionsdruck auf Moskau fordert, ruft Russland dazu auf, die Verhandlungen fortzusetzen. Selenskyj sagte in seiner abendlichen Videoansprache am Sonntag, man werde versuchen, „zumindest einige Fortschritte in Richtung Frieden zu erzielen“.

Einziges wichtiges Ergebnis der Verhandlungen im Mai war der bisher größte Gefangenenaustausch. Denkbar ist, dass die neue Runde eine Vereinbarung eines weiteren Austauschs von Gefangenen bringt.

Eine Frau umarmt einen Soldaten, der im Rahmen eines Kriegsgefangenenaustauschs zwischen Russland und der Ukraine am Sonntag, 25. Mai 2025 in der Region Tschernihiw aus der Gefangenschaft zurückgekehrt ist.

© dpa/AP/Efrem Lukatsky

Möglich sind auch Gespräche über eine neue Feuerpause – wie zu Ostern. Zuletzt gab es auch Bereitschaft zu einem Verzicht auf Angriffe, etwa auf Energieanlagen. Bei den Feuerpausen hatten sich die beiden Seiten gegenseitig viele Verstöße vorgeworfen, aber auch eingeräumt, dass die Zahl der Angriffe zurückgegangen sei. Die Ukraine hob das Ausbleiben von Luftalarm an einzelnen Tagen hervor.

Was fordert Moskau für eine grundsätzliche Konfliktlösung?

Russland blieb bislang bei Maximalforderungen, um den Konflikt dauerhaft zu beenden. Dazu gehören neben einem ukrainischen Verzicht auf einen Nato-Beitritt und eine weitgehende Abrüstung des Landes auch die Anerkennung der russischen Annexion ukrainischer Gebiete.

Russland betrachtet neben der bereits 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim auch die ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson als sein Staatsgebiet. Obwohl Russland diese vier Regionen bisher nicht vollständig kontrolliert, verlangt es einen Abzug ukrainischer Truppen.

Kremlchef Wladimir Putin kündigte Mitte Mai nach einem Besuch der monatelang teils von ukrainischen Truppen kontrollierten russischen Grenzregion Kursk an, eine Pufferzone „entlang der Grenze“ schaffen zu wollen. Das Verteidigungsministerium in Moskau meldete dort und in anderen Regionen der Ukraine zuletzt Geländegewinne. Die Ukraine wies die Pläne zurück. Sie sieht in den Plänen einen neuen Beweis dafür, dass Russland kein Interesse an Frieden habe.

Will Russland weitere Gebiete?

Russland betont immer wieder, es habe kein Interesse an Boden, weil es selbst groß genug sei. In dem Konflikt gehe es aber um einen Schutz der russischsprachigen Minderheit in der Ukraine. Damit droht eine Ausweitung der Gebietsansprüche.

Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im russischen Parlament, Andrej Kartapolow, machte deutlich, dass die Ukraine auch ihre Gebiete Dnipropetrowsk, Sumy, Charkiw, Odessa und Mykolajiw verlieren könne, wenn sie jetzt das Moskauer Friedensangebot ausschlage.

Selenskyj lehnt einen Rückzug ukrainischer Truppen ab und hat Gebietsabtretungen an Russland mehrfach ausgeschlossen. Die Verfassung der Ukraine lasse dies nicht zu, sagte er. (AFP, dpa)

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