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An der Grenze zwischen Ägypten und dem Sudan.

© AFP/KHALED DESOUKI

Aus dem Sudan nach Ägypten : Flucht ins Ungewisse

Zehntausende sind seit Ausbruch der Gewalt in das Nachbarland geflohen. Doch dort wächst wegen der Wirtschaftskrise der Druck.

Von Hanna Spanhel

Vier Tage, nachdem die Kämpfe in Karthum begonnen hatten, wachte Noon Abdel Bassit morgens von einem Knall auf. Eine Rakete hatte das Haus der Familie getroffen, unweit des Hauptquartiers der sudanesischen Armee. „Überall war Qualm, überall waren Glasscherben“, sagt die 22-jährige Medizinstudentin, und zeigt Videos auf ihrem Handy. „Das war der Moment, in dem wir wussten: Wir können hier nicht bleiben.“

Die Familie packte das Nötigste zusammen, organisierte Plätze in einem Bus, wagte den riskanten Weg raus aus der umkämpften Stadt. Nach zwei Tagen unterwegs – in Bussen, am Grenzübergang, auf dem Bahnsteig, im Zug – kamen Noon und ihre Verwandten in Kairo an.

98.000
Menschen sind nach offiziellen Angaben seit Beginn des Konflikts aus dem Sudan nach Ägypten gekommen.

Mehr als 98.000 Menschen sind nach offiziellen Angaben seit Beginn des Konflikts im Sudan Mitte April bereits nach Ägypten gekommen. An den Grenzübergängen herrschen Berichten zufolge teils chaotische Zustände, Menschen warten dort oft tagelang, auf sudanesischer Seite gibt es nicht ausreichend Wasser oder Lebensmittel.

Hinzu kommt, dass nur Frauen, Kinder und Ältere mit gültigem Reisepass über die Grenze gelassen werden – Männer zwischen 18 und 50 Jahren müssen erst ein Visum beantragen.

Nur wenige aus dem Sudan können sich die teure Flucht leisten, weiß Noon Abdel Bassit. Sie sitzt in einem schicken Kairoer Café, trägt ein enges, schwarzes Oberteil, die langen Haare offen – und hat ein schlechtes Gewissen, weil die Menschen in Karthum kaum noch Essen oder Medizin hätten.

Wer das nicht kann, ist hier verloren. Es gibt keine Unterstützung vom Staat.

Noon Abdel Bassit über Hilfe durch die sudanesische Gemeinde

Ihre Familie indes hat sich in Kairo alles neu organisiert, übers Netz eine Wohnung gesucht und die Miete bezahlt. „Wer das nicht kann, ist hier verloren. Es gibt keine Unterstützung vom Staat.“

Berichte über Verhaftungen und Deportationen

Alte Vereinbarungen gewähren Sudanesen in Ägypten zunächst eine Aufenthaltserlaubnis über ein halbes Jahr. Um legal arbeiten zu können, braucht es eine separate Genehmigung. „Viele Leute aus dem Sudan haben weniger Geld und keine Reisepässe – und werden trotzdem versuchen, hierher zu fliehen“, sagt Nour Khalil von der Organisation Refugees Plattform Egypt.

Das werde zu Problemen führen. Denn irregulär über die Grenze zu kommen sei gefährlich, sagt Khalil, man habe in den vergangenen Jahren viele Verhaftungen und Deportationen registriert.

Die Menschen, die kommen, kommen mit Ausbildung, mit Arbeitserfahrung. Es gibt hier aber kein System, das ihnen erlaubt, das einzubringen.

Nour Khalil von der Organisation Refugees Plattform Egypt

Was es brauche, sei stattdessen eine Asyl-Anlaufstelle des UN-Flüchtlingshilfswerks direkt an der Grenze, nicht nur in Kairo, findet Khalil. Und Unterstützung von der Regierung und von internationalen Organisationen für die Unterbringung und Integration von Geflüchteten im Arbeitsmarkt.

„Die Menschen, die kommen, kommen mit Ausbildung, mit Arbeitserfahrung. Es gibt hier aber kein System, das ihnen erlaubt, das einzubringen“, meint Khalil.

Eine zentrale Rolle bei der Aufnahme der Geflüchteten spiele derzeit die sudanesische Gemeinschaft insbesondere in Kairo – das schreibt Richard Probst, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Ägypten, im Journal für Internationale Politik und Gesellschaft.

Langfristig allerdings werde das nicht zu leisten sein, so Probst: „Je länger der Konflikt andauert, desto wichtiger wird es sein, Ägypten und denjenigen UN-Organisationen, die in Ägypten tätig sind, bei der Unterstützung der Geflüchteten zur Seite zu stehen.“

Wachsende Sorge in Kairo

Tatsächlich scheint unklar, wie das Land mit den Flüchtenden umgehen will. Beobachtern zufolge wächst in Kairo die Sorge vor den Auswirkungen – denn Ägypten steckt in einer Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Preise für Lebensmittel haben sich im vergangenen Jahr verdreifacht, die importabhängige Wirtschaft leidet unter einer Devisenknappheit, die Staatsverschuldung liegt auf Rekordniveau.

Die Unzufriedenheit in Ägypten sei derzeit sehr groß, heißt es aus Diplomatenkreisen – die Sudan-Krise und ihre Auswirkungen kämen nun noch „oben drauf“.

Die Flucht Tausender Menschen dürfte nur ein Grund dafür sein, dass ein andauernder Konflikt im Nachbarland für Ägypten ein unliebsames Szenario wäre. Der Sudan sei zuletzt ein wichtiger Verbündeter im Streit um das Staudamm-Projekt in Äthiopien, analysiert Richard Probst. Dabei setzte die ägyptische Regierung zuletzt auf das sudanesische Militär unter General Al Burhan. Andere regionale Verbündete wie die Vereinigten Arabischen Emirate, wichtiger Investor in Ägypten, unterstützen dagegen die Rapid Support Forces unter Hemeti.

Wie sich das Regime von Präsident Al Sisi in dieser Zwickmühle positionieren werde, sei noch unklar, heißt es in Kairo aus Diplomatenkreisen. Solange andere regionale Akteure wie etwa Äthiopien nicht stärker eingreifen, könnte Ägypten das Ganze eher beobachtend begleiten.

An ein baldiges Ende der Kämpfe im Sudan glaubt derzeit kaum jemand. „Hemeti und Burhan haben wegen ihrer Machtbesessenheit ein ganzes Land in eine Tragödie gezogen“, sagt Noon Abdel Bassit, viele würden den beiden den Tod wünschen. Hoffnung auf Demokratie im Sudan jedenfalls sei dahin.

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