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Ukrainische Truppen feuern mit Haubitzen auf russische Positionen nahe Bachmut.

© Reuters/Sofiia Gatilova

Awdijiwka, Bachmut, Cherson: Drei Frontabschnitte, die für den Fortgang des Krieges zentral sind

Russland läuft die Zeit für weitere Eroberungen im Donbass davon, bevor die ukrainische Gegenoffensive losgeht. Im Süden steht Kiew womöglich vor einem beachtlichen Durchbruch.

Der Krieg in der Ukraine soll sich bereits in der finalen Phase befinden, wenn es nach dem ukrainischen Militärgeheimdienstchef Kyrylo Budanow geht. Er bedient sich eines besonders plastischen Fußballvergleichs: Zwischen Minute 72 und 75 sei das Kampfgeschehen angelangt – allerdings seien Verlängerung und Elfmeterschießen, wie bei einem K.o.-Spiel im Fußball nicht ausgeschlossen, sagte er der Nachrichtenagentur RBK-Ukrajina.

Budanow hält eine Rückeroberung des gesamten von Russland besetzten Staatsgebiets in diesem Jahr „durchaus“ für möglich. Die dafür notwendige ukrainische Frühjahrsoffensive befinde sich weiter in der Vorbereitung. „Ich denke, dass bei dieser Operation ein ausreichendes Gebiet zurückerobert werden wird“, so Budanow. Um in der Fußballsprache zu bleiben, bedeutet das: Angriff ist die beste Verteidigung.

Während Beobachter auf den Beginn der Gegenoffensive warten, konzentriert sich das Kampfgeschehen in der Ukraine derzeit auf drei Frontabschnitte.

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Heftig gekämpft wird weiterhin an zwei Orten im Donbass: Awdijiwka nahe der Großstadt Donezk und Bachmut im Zentrum der Ostukraine. Dort werfen die Russen weiterhin massiv Truppen in die Schlacht, doch kommen nur unwesentlich voran.

Der dritte Frontabschnitt ist der womöglich entscheidendste. In der Region Cherson berichten Beobachter von ukrainischen Vorstößen am Dnipro. Die Front verläuft dort bislang entlang des Flusses. Sollte es den Ukrainern tatsächlich gelingen, Land östlich des Dnipro zu erobern, könnte das den Fortgang des Krieges stark beeinflussen und ein klares Anzeichen für den Beginn der Gegenoffensive sein. Im Süden der Ukraine erwarten die Russen eine Angriffswelle bereits.

Doch warum sind es gerade diese drei Frontabschnitte, an denen sich das Kampfgeschehen derzeit verstärkt abspielt? Und wie hängen sie zusammen?

1 Awdijiwka

Die Relevanz von Awdijiwkas ist recht schnell erklärt: Die Stadt liegt nur 15 Kilometer nordwestlich von der größten und für Russland wichtigsten Stadt des Donbass, Donezk. Awdijiwka liegt zudem direkt an der Front und ist prädestiniert für ukrainische Vorstöße tief in das Gebiet, das von Russland unterstützte Kämpfer seit neun Jahren besetzt halten.

Nicht etwa das mittlerweile berüchtigte Bachmut ist seit Tagen der Ort, wo der US-Thinktank „Institute for the Study of War“ (ISW) die meisten Angriffe verzeichnet, sondern eben Awdijiwka. Ein Großteil der 45 russischen Angriffe im Donbass konzentrierten sich am Sonntag auf Awdijiwka und die Stadt Marjinka, die südwestlich von Donezk liegt. Diese Konzentration an Angriffen ist wohl eine Reaktion auf ukrainische Artillerieangriffe auf Donezk, über die das russische Militär berichtet.

Ein Haus in Awdijiwka wurde durch einen russischen Angriff komplett zerstört.
Ein Haus in Awdijiwka wurde durch einen russischen Angriff komplett zerstört.

© AFP/Genya Savilov

Das offensichtliche Ziel der Russen: Die Ukrainer jenseits der Artilleriereichweite zurückzudrängen. So ist auch der neuerliche Vorstoß auf Wuhledar zu verstehen. Der Ort liegt mehr als 50 Kilometer südwestlich von Donezk. Von Wuhledar und Awdijiwka aus könnten die russischen Truppen zudem versuchen, die ukrainischen Truppen im Süden des Donbass einzukesseln und nach Norden vorzudringen.

Die strategischen Möglichkeiten im Donbass sind für die russischen Truppen nirgends besser als in der Region um Donezk. Doch da es ihnen in den vergangenen Monaten nicht gelungen ist, von dort weit in ukrainisches Gebiet vorzustoßen, bezweifeln Beobachter, dass das Vorhaben in den kommenden Wochen gelingt.

Der Großteil der russischen Soldaten, die rund um Donezk im Einsatz sind, stammen aus den sogenannten ehemaligen Volksrepubliken Luhansk und Donezk, die völkerrechtswidrig von Russland annektiert wurden. Die Einheiten sind dem ISW zufolge in diesem Jahr, abgesehen von kleinen Fortschritten bei Awdijiwka, rund um Donezk nicht vorangekommen. Die Frontlinie hat sich seit knapp neun Jahren rund um Donezk nur um wenige Kilometer verschoben.

2 Bachmut

Schon seit fast einem Jahr versucht Russland, die Stadt einzunehmen. Sie liegt an der Schnellstraße T0504, über die die Ukraine einerseits ihren Nachschub in die Region organisiert – und die Russland andererseits kontrollieren muss, um in Richtung der strategisch wichtigen Städte Slowjansk und Kramatorsk vorzudringen.

Beide Seiten haben im Kampf um die Stadt bereits hohe Verluste erlitten; deshalb ist die Schlacht um die Stadt durchaus ein richtungsweisendes Kapitel in diesem Krieg. Nicht ohne Grund kämpfen neben den Wagner-Söldnern mittlerweile immer mehr russische Elitetruppen in der Stadt. Auch die ukrainische Armee hat in den vergangenen Wochen immer mehr ihrer besten Einheiten nach Bachmut geschickt.

Ukrainische Truppen feuern nahe Bachmut mit Raketenwerfern auf russische Positionen.
Ukrainische Truppen feuern nahe Bachmut mit Raketenwerfern auf russische Positionen.

© AFP/Sergey Shestak

Der Grund: Bachmut ist die einzige Stadt in der Ukraine, in der die Russen kleine, aber kontinuierliche Fortschritte machen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau kommen die Truppen einer vollständigen Eroberung näher. Demnach sollen sie zwei weitere Straßenblöcke im Westen der Stadt eingenommen haben. Luftlandeeinheiten würden zudem im Norden und Süden Verstärkung leisten.

Das deckt sich zum Teil mit Satellitenaufnahmen und einem Bericht der „Washington Post“ aus der Stadt. Diese zeigen, dass sich der Kessel um die verbliebenen ukrainischen Truppen weiter schließt und die Russen mittlerweile auch den Bahnhof in Bachmut eingenommen haben.

70 Prozent der Stadt könnten damit bereits in russischer Hand sein. Der für die ukrainischen Kämpfer in der Stadt überlebenswichtigen Schnellstraße T0504 sollen die russischen Truppen zuletzt nähergekommen sein. Berichte über eine Einnahme weist der ukrainische Generalstab allerdings zurück.

Es ist unmöglich für uns, Bachmut aufzugeben.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj versprach am Sonntag erneut, die Stadt Bachmut weiter zu verteidigen. „Es ist unmöglich für uns, Bachmut aufzugeben“, sagte Selenskyj dem Nachrichtensender Al Arabiya. „Das würde die Kampffront erweitern und den russischen Streitkräften und Wagner die Möglichkeit geben, mehr von unserem Land einzunehmen.“ 

Allerdings wächst nicht nur in Kiew, sondern auch im Kreml der Druck: Die ISW-Experten gehen davon aus, dass das russische Militär nicht durchdringt mit Empfehlungen zu Kremlchef Wladimir Putin, sich auf eine Verteidigung von Stellungen zu konzentrieren. Statt sich vor dem Hintergrund der geplanten ukrainischen Großoffensive auf das Sammeln von Kräften zu konzentrieren, gebe es immer wieder verlustreiche Angriffe wie in Bachmut, die kaum Gebietsgewinne brächten, heißt es.

3 Cherson

Die Front im Süden der Ukraine ist seit Monaten nahezu eingefroren, das Kampfgeschehen ist im Vergleich zu den Fronten im Osten bei Awdijiwka und Bachmut überschaubar. Beobachter begründen das damit, dass sich die Ukraine einerseits auf die Verteidigung der Stellungen im Donbass konzentriert und andererseits schon lange einen Plan für die angekündigte Gegenoffensive ausklügelt.

Dazu trainierten Hunderte Soldaten zuletzt im Westen Operationen mit „combined arms“ (Gefecht der verbundenen Waffen). Die russische Armee hat ihrerseits über den Winter massive Verteidigungsanlagen in der Ukraine aufgebaut.

Karte der Front im Süden der Ukraine.
Karte der Front im Süden der Ukraine.

© Fabian Bartel

Nun aber könnte den Ukrainern ein Coup gelungen sein: Nach Analysen des ISW, die sich unter anderem auf Geodaten von russischen Militärbloggern beziehen, sind die Ukrainer im teilweise befreiten Gebiet Cherson auch auf die bisher von russischen Besatzern kontrollierte Uferseite des Flusses Dnipro vorgestoßen.

Das wäre deshalb bemerkenswert, da der Fluss als Frontverlauf recht leicht zu verteidigen ist. Aufgrund der zerstörten Brücken ist es den Ukrainern nur mit Booten möglich, die andere Flussseite zu erreichen. Das machen sie in der Region Saporischschja, das an Cherson angrenzt, bereits seit Monaten, um russische Stellungen zu sabotieren. Ein dauerhaftes Vordringen an das Ostufer könnte dem Frontabschnitt im Süden nun aber eine ganz neue Dynamik verleihen.

Der Durchbruch soll den Geodaten zufolge ganz in der Nähe der Antoniwkabrücke gelungen sein. Die Zerstörung dieser war im vergangenen Herbst der Grund, weshalb sich die Russen vom Westufer zurückziehen mussten. Ukrainische Truppen wurden jetzt mehrere Kilometer hinter der Brücke, bei der Ortschaft Oleschky, gesichtet. Von dort verläuft die Autobahn E97 tief in den Süden der Ukraine – bis auf die von Russland annektierte Halbinsel Krim.

Die zerstörte Antoniwkabrücke über dem Dnipro.
Die zerstörte Antoniwkabrücke über dem Dnipro.

© REUTERS / Reuters/Stringer

Experten mahnen angesichts der unüberschaubaren Lage aber zu Vorsicht. „Bei Gerüchten über Aktionen am Ostufer des Dnipro oder andere angebliche Angriffsoperationen der Ukraine ist es derzeit das Beste, nichts weiterzuverbreiten und zunächst einmal abzuwarten“, sagt Militärexperte Nico Lange, der früher Chef des Leitungsstabes im Bundesverteidigungsministerium war.

Allerdings steckt hinter dieser Vorsicht eher die Sorge, dass zu viele Informationen über solche Durchbrüche die ukrainischen Vorhaben gefährden könnten.

Schließlich war das Ziel der Russen mit dem Rückzug im Herbst, einen Vorstoß der ukrainischen Truppen auf die andere Uferseite zu verhindern. Die neue Entwicklung würde auf einen Kontrollverlust der russischen Einheiten in der Region hinweisen. Demnach könnten sich die russischen Besatzer nur noch auf Städte wie Bachmut oder Awdijiwka konzentrieren.

Die ISW-Experten sehen unter Berufung auf russische Blogger, die das eigene Militär auch immer wieder kritisieren, bereits solide Versorgungslinien zu den Positionen der ukrainischen Streitkräfte. Vom Gebiet Cherson aus wäre bei einer Eroberung der Region der Weg für die ukrainische Armee frei zur Krim. (mit dpa)

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