
© Reuters/Stoyan Nenov
Holte ihn die Vergangenheit ein?: Bulgariens Graue Eminenz erschossen – mit Maschinengewehren im Wald
Ausgerechnet seinem besten Freund, Langzeitpremier Boiko Borissov, verdankte er mehrere Monate im Gefängnis. Jetzt ist Alexei Petrov umgebracht worden. Borissov schweigt auffallend.
Stand:
Als Bulgariens kommunistisches Regimes Anfang der 1990er Jahre zusammenbrach, versuchten es etliche mit einer neuen, kriminellen Karriere, darunter viele Boxer, Ringer und Ex-Polizisten.
Die meisten der üblichen Verdächtigen, denen man nachsagte, ihren Ruhm und Reichtum mit illegalen Methoden erworben zu haben, starben irgendwann eines gewaltsamen Todes – Alexei Petrov dagegen umgab der Nimbus, einer der „letzten Überlebenden“ zu sein.
Bis er vergangene Woche bei einem Spaziergang im Sofioter Vitoschagebirge durch Maschinengewehrschüsse starb. Petrov war sofort tot, seine Begleiterin kämpft im Krankenhaus um ihr Überleben.
Das mögliche Motiv
Dr. Petrov, bekannt als „Traktora“, der Traktor, war stiller Teilhaber eines unübersichtlichen Unternehmensimperiums, dessen Flaggschiff eine der führenden Versicherungsgesellschaften Bulgariens ist, „Lev Ins“. Offiziell war er aber Dozent an Universitäten in Sofia und Plovdiv zu den Themen „Nationale Sicherheit“ und „Anti-Terrorismus“. Zusätzlich fungierte er als Präsident des bulgarischen Karate-Verbands (BNFK).
„Begleichung von Rechnungen im kriminellen Milieu” oder auch „Aufteilung der Einflusssphären“ lauten in Bulgarien bei Mordfällen wie diesen die Standardversionen für das mögliche Motiv. Aufgrund seiner Erfahrungen und Beziehungen im staatlichen Repressionsapparat könnte Alexei Petrov aber zu viel gewusst haben, auch über unsaubere Machenschaften prominenter Politiker.
Schließlich wirkte er während der sozialistischen Regierung von Ministerpräsident Sergej Stanischev Mitte der 2000er Jahre als Experte in Bulgariens wichtigstem Geheimdienst, der Staatlichen Agentur für Nationale Sicherheit (DANS). In den vergangenen Monaten äußerte er mehrfach seine Bereitschaft, erneut eine Funktion in der DANS zu übernehmen.
Alexei Petrov wurde 1962 in eine arme Familie der mehrheitlich muslimischen Minderheit der Pomaken im Dorf Babintsi im Balkangebirge geboren. Zunächst besuchte er die Milizionärsschule und diente in den 1980er Jahren der kommunistischen Staatssicherheit.
Als Mitglied einer Anti-Terror-Einheit habe er 1985 einen leibhaftigen RAF-Terroristen überwältigt, wird kolportiert. Zu dieser Zeit trainierte er gemeinsam mit dem späteren Langzeit-Regierungschef Boiko Borissov Karate. Später studierte er Wirtschaft und promovierte.
Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes schied Petrov Anfang der 1990er Jahre aus dem Staatsdienst aus und gründete die Sicherheitsunternehmen „Apollo und Bolkan” und „Spartak”, aus der die Versicherungsgesellschaft „Lev Ins” hervorging. Mit seinem früheren Karatebruder Borissov entstand die gemeinsame Firma „Budoinvest”.
Der „Kopf der Mafia“
Ausgerechnet mit dem Amtsantritt des Kabinetts Borissov I kam Petrov schließlich monatelang hinter Gitter. Im Rahmen der Polizeioperation Oktopus ließ ihn der damalige Innenminister Tsvetan Tsvetanov im Februar 2010 als „Kopf der Mafia“ verhaften. Jahrelang sah sich „der Traktor“ dem Tatvorwurf ausgesetzt, Kopf einer kriminellen Vereinigung zu sein, die Geldwäsche, Erpressung, Zuhälterei und Drogenhandel nachging.
Doch im Juli 2021 endete der Oktopus-Prozess mit seinem Freispruch. „Lev Ins“ verklagte den bulgarischen Staat daraufhin auf eine Entschädigungszahlung von 48 Millionen BGN (ca. 24,5 Mio. Euro) wegen Imageschädigung.
Zuletzt sollen Alexei Petrov und Boiko Borissov im September des vergangenen Jahres in Borissovs Haus im Sofioter Vorort Bankija bei einem Gespräch versucht haben, ihr Verhältnis wieder zu verbessern. Ob dies gelang, ist unklar.
Eines fällt aber auf: So gut wie alle Politiker und politischen Beobachter des Landes haben den Mord an Alexei Petrov am vergangenen Mittwoch in aller Ausführlichkeit kommentiert. Von Boiko Borissov ist bisher nur Schweigen zu vernehmen.
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