
© AFP/MANDEL NGAN / Bearbeitung: Tagesspiegel
Bushs Strippenzieher und Trumps Gegner: Dick Cheney blieb bis zum Schluss ein konservativer Hardliner
Der 11. September 2001 hat ihn geprägt. US-Vizepräsident Dick Cheney verteidigte den Afghanistan- und Irakkrieg, Guantánamo und „Waterboarding“. Bis zuletzt. Ein Nachruf.
Stand:
Es ist der Vormittag des 11. September 2001. Zwei Passagierflugzeuge sind soeben in die Twin Towers des World Trade Center in New York gerast. Panik und Angst herrschen. US-Vizepräsident Dick Cheney wird von seinen Leibwächtern in den unterirdischen Bunker des Weißen Hauses getragen.
Von dort aus telefoniert er mit Präsident George W. Bush, der an Bord der Air Force One kreuz und quer durchs Land geflogen wird. Der gesamte Luftverkehr wird eingestellt.
Als Cheney im Fernsehen kurze Zeit später sieht, wie die Türme des World Trade Center in sich zusammenfallen, sagt er zu einem Mitarbeiter: „So schrecklich das hier sein mag. Aber wenn diese Typen Massenvernichtungswaffen gehabt hätten, wäre alles noch viel, viel schlimmer gewesen.“
Fortan wird gemahnt und gewarnt
Es ist eine Schlüsselszene, die das Denken Cheneys illustriert. Massenvernichtungswaffen – das Wort fällt ab jetzt immer öfter. Immer öfter auch in Verbindung mit einem Namen und einem Verdacht: Saddam Hussein, der irakische Diktator.
Fortan wird gemahnt und gewarnt. Die Kompetenzen von FBI, CIA und NSA werden ausgeweitet, eine riesige Heimatschutzbehörde entsteht, ein nationales Sicherheitssystem wird eingeführt, eine Terror-Warn-Ampel zeigt rund um die Uhr das Ausmaß der Bedrohungslage.
Osama bin Laden war’s, die Taliban schützen ihn, Amerika ruft zum Sturz auf. Intervention. Ja, was denn sonst? Die andere Wange hinhalten, untätig eine Wiederholung ermöglichen? Kommt nicht infrage. Angst und Wut brauchen ein Ventil und führen direkt in die Aktion.
Es war Angst, sonst nichts
Später wird der amerikanische Politikwissenschaftler Robert Kagan bilanzieren, nicht imperiale Hybris habe Amerika nach Afghanistan und in den Irak getrieben, „it was fear“ – es war Angst. Sonst nichts.
So schrecklich das hier sein mag. Aber wenn diese Typen Massenvernichtungswaffen gehabt hätten, wäre alles noch viel, viel schlimmer gewesen.
Dick Cheney am 11. September 2001 zu einem Mitarbeiter
Cheney ist der Strippenzieher in der Bush-Regierung. Ein so mächtiger wie umstrittener Vizepräsident. Von 2001 bis 2009 ist er der Stellvertreter des Präsidenten. In diese Zeit fallen die Terroranschläge vom 11. September 2001, der Afghanistankrieg und die US-Invasion im Irak.
Cheney verteidigt die außergewöhnlichen Instrumente der Überwachung sowie die Inhaftierungs- und Vernehmungspraktiken, die die Regierung als Reaktion auf die Terroranschläge einsetzte.
Eine Hassfigur der Linken
Er forciert die Einrichtung des Gefangenenlagers Guantánamo, die harten Verhörmethoden, die im Einzelfall Foltertechniken wie das „Waterboarding“ erlaubten, und den Irakkrieg unter dem falschen Verweis auf Massenvernichtungswaffen. Fehler gesteht Cheney nie ein, offenbar ist er stolz darauf, eine Hassfigur der Linken zu sein.
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Dafür gibt es ein Wort: Halliburton, die texanische Firma, deren Chef Cheney von 1995 bis 2000 war. Das Unternehmen ist einer der wichtigsten Spender für die Republikanische Partei. Dann zog es die umfangreichsten Verträge für den Wiederaufbau im Irak an Land.
Diese Mischung ist brisant. Sie riecht – manche sagen stinkt – nach Begünstigung, Vetternwirtschaft und Mauschelei. In Kreisen der Demokraten sind Anspielungen auf Cheney und Halliburton beliebt. Das Stichwort hat sich zum Synonym für die Abhängigkeit der Bush-Regierung vom großen Kapital entwickelt – und es elektrisiert die Opposition.
Kühl, schneidend, schnippisch
Auf Cheney konzentriert sich ein Großteil ihrer Wut. Bush gilt als naives Leichtgewicht, sein Vize dagegen als die treibende, durchtriebene Kraft. Cheney zieht die Fäden im Weißen Haus, kontrolliert die Republikaner im Kongress, ist maßgeblich für den Irak-Krieg verantwortlich.
Das Magazin „Newsweek“ widmet ihm im Dezember 2003 eine Titelgeschichte. Deren doppelsinniger Titel lautete: „How Dick Cheney Sold the War“ – wie Cheney den Krieg verkaufte.

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Kühl, schneidend, schnippisch: So attackiert Cheney im Wahlkampf 2004 den Kandidaten der Demokraten, John Kerry. Hart führt er dessen Ungereimtheiten vor. Kerry hatte im Kongress für den Irakkrieg gestimmt, dann gegen dessen Finanzierung, lange verteidigte er sein Pro-Kriegs-Votum, dann sagte er, es sei ein „falscher Krieg, am falschen Ort, zur falschen Zeit“. Das Prädikat des „Flipfloppers“, des Wendehalses, wird Kerry nicht mehr los.
Doch wo sind die Massenvernichtungswaffen, die Verflechtungen zwischen Saddam Hussein und Osama bin Laden, die Blumen, mit denen die US-Truppen als Befreier begrüßt werden? Solchen Fragen weicht Cheney missmutig aus. Die Welt sei sicherer, seit Saddam gestürzt worden sei, sagt er. Punkt.
Sein düsteres Image, „Darth Vader“, bleibt an Cheney haften. Bis zu seinem Ausscheiden aus dem Amt gilt er als verschlossen, machthungrig, manipulativ. Von seiner Partei indes entfernt sich der konservative Hardliner. Im Präsidentschaftswahlkampf 2024 gibt er bekannt, für die Demokratin Kamala Harris stimmen zu wollen, nicht für Donald Trump.
Über den sagt Cheney: „In der 248-jährigen Geschichte unserer Nation gab es nie eine Person, die eine größere Bedrohung für unsere Republik darstellte als Donald Trump.“
Nun ist Dick Cheney im Alter von 84 Jahren gestorben.
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