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„Gefahr, die keiner von uns in seinem Leben gesehen hat“ : So will von der Leyen Europa gegen Russland rüsten
EU-Kommissionspräsidentin legt einen Aufrüstungsplan vor – und wird ungewöhnlich emotional. Gemeinsame Schulden sind wieder auf dem Tisch, doch von der Leyen benennt das nicht so.
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Ungewöhnlich ist die Dringlichkeit, mit der Ursula von der Leyen ihr Argumente präsentiert: In ihrem Brief an die Staats- und Regierungschefs, in dem sie höhere Verteidigungsausgaben vorschlägt, schreibt sie gleich im ersten Satz: „Wir leben in den folgenschwersten und gefährlichsten Zeiten.“
Die Frage sei nicht mehr, „ob Europas Sicherheit auf sehr reale Weise bedroht ist“. Europa sei mit einer „klaren und gegenwärtigen Gefahr“ konfrontiert, wie sie „keiner von uns in seinem Leben gesehen hat“, betont die Kommissionschefin in dem Schreiben.
Daher schlägt von der Leyen den europäischen Regierungen vor, in den kommenden Jahren bis zu 800 Milliarden Euro zusätzlich für Verteidigung zu mobilisieren.
Das Schreckgespenst gemeinsamer Schulden ist zurück
Auslöser ist der Streit zwischen den USA und der Ukraine. Inzwischen scheint es nicht mehr unmöglich, dass Washington den militärischen Schutzschirm über Europa abzieht.
Am Donnerstag werden Europas Staats- und Regierungschefs in Brüssel bei einem Sondergipfel über die angespannte Lage und die weitere Ukraine-Hilfe beraten.
Ursula von der Leyen bringt in ihrem am Dienstag veröffentlichten Fünf-Punkte-Plan auch gemeinsame Schulden für Rüstungsausgaben ins Gespräch, die von ihr allerdings nicht so benannt werden.
Dieses „neue Instrument“ könne den Mitgliedstaaten für genau benannte Rüstungsprojekte Darlehen in Höhe von 150 Milliarden Euro bereitstellen, heißt es. Die Kommissionschefin nennt dazu etwa Luft- und Raketenabwehr, Artilleriesysteme, Raketen und Munition für Drohnen und Anti-Drohnen-Systeme.
Der Vorteil sei, dass die Staaten „die Nachfrage bündeln und gemeinsam einkaufen“. Das senke nicht nur die Kosten, sondern erhöhe auch die Interoperabilität.
Schuldenregeln werden gelockert
Zudem schlägt die EU-Kommissionspräsidentin vor, die europäischen Schuldenregeln mittels einer nationalen Ausnahmeklausel zu lockern.
Das werde es „den Mitgliedstaaten ermöglichen, ihre Verteidigungsausgaben deutlich zu erhöhen, ohne das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit auszulösen“, erklärt Ursula von der Leyen.
Ihre Modellrechnung sieht so aus: „Wenn die Mitgliedstaaten ihre Verteidigungsausgaben durchschnittlich um 1,5 Prozent des BIP erhöhen, könnte dies über einen Zeitraum von vier Jahren einen fiskalischen Spielraum von fast 650 Milliarden Euro schaffen.“

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Weitere Mittel für Verteidigung könnten nach ihren Worten über den EU-Haushalt generiert werden. So könnten Mitgliedsländer die sogenannten Kohäsionsfonds für die Regionalförderung für die Verteidigung nutzen.
Daneben setzt die Kommissionschefin auf weitere Kredite der Europäischen Investitionsbank (EIB) in Luxemburg, die bisher zivil wie militärisch nutzbare Güter finanziert, sowie auf Anreize für Privatinvestoren.
Zustimmung mit Einschränkungen
Auch Markus Ferber, wirtschaftspolitischer Sprecher der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, räumte am Dienstag ein, dass es „ganz ohne neue Schulden für die Verteidigungsfinanzierung nicht gehen wird“.

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Allerdings müsse man „aufpassen, dass nun nicht alle Dämme brechen und die Finanzstabilität leidet“. Zudem müsse sehr genau überprüft werden, dass das zusätzliche Geld von den Staaten nur für Rüstungsprojekte ausgeben werde.
Kein Aufrechnen gegen Sozialausgaben
Auch Tobias Cremer, außenpolitischer Sprecher der SPD im Europaparlament, stellt sich hinter die Forderungen der EU-Kommissionspräsidentin.
Allerdings fordert er, dass die Ausgaben in eine umfassende Investitionsstrategie eingebettet sein müssten. Konkret heißt das für ihn, dass kein Geld für Rüstung ausgegeben werde, wenn es im sozialen Bereich eingespart werden müsse.
Auf dem Sondergipfel am Donnerstag werden die EU-Staats- und Regierungschefs über die Ankurbelung der europäischen Rüstungsindustrie beraten.
Doch Streit ist vorprogrammiert. Ungarns Regierungschef und Putin-Freund Viktor Orbán hat bereits seinen energischen Widerstand angekündigt.
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