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Vereint getrennt: EU-Kommmissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Italiens Premier Giorgia Meloni, Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor einer Dringlichkeitssitzung im Ukrainekrieg während des G20-Gipfels auf Bali im November.

© REUTERS / Reuters/Kevin Lamarque

Die Europäische Union und Putins Russland: Geschlossenheit steht für Erfolg

Auf den Angriff Russlands reagierte die EU überraschend rasch und resolut. Doch inzwischen bröselt der Konsens. Das schadet der Ukraine – und der Union.

Als die Abgeordneten des Deutschen Bundestages vor genau 30 Jahren das Gesetz zum „Maastricht-Vertrag“ beschlossen, hat sich wohl kaum jemand von ihnen vorstellen können, dass in Europa drei Jahrzehnte später wieder ein zwischenstaatlicher, revisionistischer Angriffskrieg toben würde.

Man glaubte durch ein bindendes Vertragswerk, gemeinsame Rüstungskontrollabkommen und Institutionen wie die OSZE und den Europarat eine inklusive und kooperative Sicherheitsordnung geschaffen zu haben, in der Konflikte durch gemeinsame Verhandlungen und nicht durch Kriege gelöst werden sollten. Die Auflösung der Sowjetunion hatte in den letzten Dezembertagen 1991 fast geräuschlos stattgefunden.

Maastricht verpflichtet zu gemeinsamer Außenpolitik

In diesem Umfeld wurde mit dem Vertrag von Maastricht zum ersten Mal das Ziel einer „Gemeinsamen Außenpolitik“ der EU festgelegt. Damit ging die Erwartung einher, dass sich die Union durch die zwischenstaatliche Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik im Laufe der Zeit auch in diesem Politikfeld immer stärker zu einem einheitlichen Akteur entwickeln würde, der europäische Werte und Interessen global vertritt.

In ihrer Nachbarschaft sahen die Europäer ihren eigenen Integrationsprozess als Vorbild für weitere Transformation. Dass sie einmal geschlossen einem russischen Präsidenten würden entgegentreten müssen, der das Ziel hat, die Ukraine als „Anti-Russland-Projekt“ auszulöschen, schien bei der Ratifizierung am 2. Dezember 1992 ein unrealistisches Horrorszenario zu sein.

Die EU, als Friedensprojekt entstanden, schaltete am 24. Februar in den Kriegsmodus.

Jana Puglierin, Leiterin des Berliner Büros des European Council on Foreign Relations

Und doch reagierten die Europäer als russische Truppen am 24. Februar 2022 Richtung Kiew marschierten resolut, geschlossen und vor allem schnell. Die EU, als Friedensprojekt entstanden, schaltete rasch in den Kriegsmodus.

Nur drei Tage nach Beginn des Kriegs hatten die Europäer bereits zwei umfassende Sanktionspakete verhängt, ihren Luftraum für russische Flugzeuge geschlossen und umfassende finanzielle Hilfen auf den Weg gebracht.

2022 wurde möglich, was zuvor undenkbar schien

Sie beschlossen die unkomplizierte Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge ebenso wie die Finanzierung von Waffen und Ausrüstung für die Ukraine durch die Europäische Union – bis dahin ein absolutes Tabu. Mit der Verleihung des Kandidatenstatus an die Ukraine und Moldau wurde der Boden für eine zweite Osterweiterung bereitet. 

Vieles, was vorher undenkbar erschien, wurde plötzlich möglich. Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, sprach von der „verspätete[n] Geburt eines geopolitischen Europas“. 

Dennoch zeigen sich auch Spannungen, je länger der Krieg andauert, und es entwickeln sich neue Dynamiken. Wegen der Fehleinschätzungen in der deutschen Russlandpolitik (symbolisiert durch Nord Stream 2), konnte Deutschland bei der Formulierung der europäischen Antwort auf den Krieg dieses Mal nicht die führende Rolle einnehmen, die es bei der Bewältigung früherer Krisen gespielt hat. Gerade in Mittel- und Osteuropa ist man von Berlins Zaudern und Zögern bei den Waffenlieferungen für die Ukraine enttäuscht und sieht in Deutschland keinen „ehrlicher Makler“.

Auch Frankreich fällt als Führungsnation weitgehend aus. Macrons Initiative aus dem Jahr 2019, mit Russland Verhandlungen über eine neue europäische Sicherheitsordnung aufzunehmen, und seine Äußerungen zum „Hirntod“ der Nato sind an der Ostflanke der Nato unvergessen. Dazu kommt, dass das eigentlich so mächtige deutsch-französische Tandem nach der Bundestagswahl aus dem Tritt gekommen ist und eine Vielzahl an Unstimmigkeiten die Kooperation zwischen beiden Ländern belastet.

Polens Konservative nutzen das antideutsche Narrativ

Stattdessen haben vor allem Polen, Tschechien und die baltischen Staaten gemeinsam mit Finnland von Anfang an das Ruder übernommen und maßgeblichen Einfluss auf die Krisenreaktion der EU ausgeübt. Weil sie in ihrer Einschätzung der Motive des russischen Präsidenten richtig gelegen haben und auch aufgrund ihrer geografischen Lage als Frontstaaten entwickelten sich diese Länder zu neuen Taktgebern der EU in der Krise, während Paris und Berlin in der Defensive waren.

Es bleibt abzuwarten, ob sich diese neue Dynamik weiter verfestigen und auch auf anderen Politikfeldern zeigen wird. Insbesondere die konservative Regierung in Polen scheint ein aggressives antideutsches Narrativ in der EU nicht nur deshalb voranzutreiben, um maximale Unterstützung für die Ukraine sicherzustellen, sondern auch, um damit die Parlamentswahl im nächsten Jahr zu gewinnen.

Doch die Geschlossenheit der EU ist für eine erfolgreiche Unterstützung der Ukraine unverzichtbar. Die Europäer täten gut daran, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass von intra-europäischen Spannungen einer am meisten profitiert: Der Aggressor im Kreml.

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