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Jewgenija Kara-Mursa

© dpa/Kay Nietfeld

Frau des inhaftierten Kreml-Kritikers Kara-Mursa: Sie kämpft für ihren Mann – und gegen Putin

In Russland sollen alle Kritiker zum Schweigen gebracht werden, sagt Jewgenija Kara-Mursa. Ihr Mann Wladimir sitzt im Gefängnis. Sie setzt seine Arbeit fort.

Diesen einen Satz hat Jewgenija Kara-Mursa nicht zu ihrem Mann gesagt. Sie hat ihn nicht gebeten, auf eine Rückkehr nach Russland zu verzichten. Zweimal überlebte Wladimir Kara-Mursa dort nur knapp einen Giftanschlag. Und dennoch ist der russische Oppositionelle immer wieder nach Moskau zurückgekehrt, statt im Ausland zu bleiben, in Sicherheit.

„Ich kenne meinen Mann zu gut, um ihm das auch nur vorzuschlagen“, sagte Jewgenija Kara-Mursa im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Ich weiß, wofür er kämpft. Auch wenn ich große Angst um ihn habe.“ Als ihr Mann im Frühjahr nach Moskau fuhr, wurde er wenig später festgenommen.

Das ist die Geschichte von zwei Menschen, die heute beide auf ihre Weise gegen Wladimir Putin kämpfen. Und gegen die Angst.

Wladimir Kara-Mursa ist einer der bekanntesten russischen Oppositionspolitiker. Das Regime betrachte ihn als „persönlichen Feind“, sagt seine Frau. Seit 2010 setzt sich der heute 41-Jährige im Ausland für Sanktionen ein, die das Regime empfindlich treffen sollen. Sie zielen auf die Konten, Villen und Jachten, die Putins Getreue in westlichen Ländern besitzen.

Putins Herrschaftssystem beruht darauf, dass sich seine wichtigsten Unterstützer auch selbst bereichern können. Wer das öffentlich anprangert, lebt in Russland sehr gefährlich. Kara-Mursas enger Weggefährte Boris Nemzow, ein Oppositionsführer und ehemaliger Vize-Regierungschef, wurde in Moskau erschossen. Ein anderer Oppositionsführer, Alexej Nawalny, überlebte nur knapp einen Anschlag mit Nowitschok.

Kara-Mursa selbst wurde im Mai 2015 Opfer eines Anschlags mit einem bis heute unbekannten Gift. Ein Organ nach dem anderen versagte, er lag über Wochen im Koma. Die Ärzte sagten seiner Frau, er habe nur eine Überlebenschance von fünf Prozent. Doch er erholte sich und lernte mühsam wieder laufen. Über Monate ging er am Stock. Jewgenija und die Kinder lebten zu dieser Zeit bereits in den USA, er hätte einfach bleiben können.

Er wollte nicht aus sicherer Entfernung zum Protest aufrufen

Doch Wladimir Kara-Mursa ging nach Russland zurück. Ein russischer Politiker müsse in seinem Land sein, davon war er überzeugt. „Aus sicherer Entfernung die Menschen in Russland zur Fortsetzung der Proteste aufzurufen, war nie eine Option für ihn“, sagt seine Frau.

Also setzte er seine Arbeit fort – und wurde 2017 erneut vergiftet. Wieder überlebte er nur knapp. Aufgeben war für ihn selbst jetzt undenkbar. Dieses Geschenk wolle er Putin nicht machen, sagte er vor zwei Jahren dem Tagesspiegel.

Als Frau eines politischen Gefangenen, als Mutter und als russische Bürgerin werde ich das nicht hinnehmen.

Jewgenija Kara-Mursa, russische Oppositionelle

Seit der Festnahme im April hat seine Frau nicht mehr mit ihm sprechen können. „Er sitzt in Einzelhaft.“ Ihr Mann sei ein Kämpfer, versichert sie. „Ich weiß, dass das Regime, das ihn schon zweimal töten wollte, ihn auch hinter Gittern nicht brechen kann.“

Der russische Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa warb auch in Berlin (hier ein Foto von 2019) bereits mehrfach für gezielte Sanktionen.
Der russische Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa warb auch in Berlin (hier ein Foto von 2019) bereits mehrfach für gezielte Sanktionen.

© Tagesspiegel/Mike Wolff

Jewgenija Kara-Mursa hat allerdings keinen Zweifel daran, dass er verurteilt werden wird. Es sei klar gewesen, dass ihr Mann nicht aufhören würde, die Verbrechen der russischen Armee anzuprangern, sich gegen den Krieg in der Ukraine auszusprechen und die russische Führung auf jeder internationalen Bühne zu verurteilen. Deswegen sei er festgenommen worden.

Im April wurde der Oppositionelle zunächst beschuldigt, er habe „Falschinformationen“ über die Armee verbreitet. Ein entsprechendes Gesetz war nach dem russischen Überfall auf die Ukraine beschlossen worden. Später wurde ihm vorgeworfen, er habe mit einer „unerwünschten“ ausländischen Organisation zusammengearbeitet.

Ihrem Mann drohen jetzt bis zu 24 Jahre Haft

Jewgenija Kara-Mursa war im Oktober gerade auf dem Weg nach Straßburg, um in Wladimirs Namen den Václav-Havel-Preis entgegenzunehmen, als sie von einer neuen Anklage gegen ihren Mann erfuhr. Plötzlich war von „Hochverrat“ die Rede. Dafür drohen ihm bis zu 24 Jahre Haft.

Vielleicht ist das nur ein kleiner Nagel im Sarg des Regimes. Aber ein anderer kleiner Nagel könnte der letzte sein.

Jewgenija Kara-Mursa, russische Oppositionelle

Wer Jewgenija Kara-Mursa fragt, was westliche Regierungen für ihren Mann tun können, bekommt eine vielleicht unerwartete Antwort. Drei Dinge seien für den „Niedergang des Putin-Regimes“ wichtig. „Zuallererst Unterstützung für die Ukraine. Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen, und zwar zu ihren Bedingungen.“

Zweitens fordert die Frau des Dissidenten mehr Sanktionen, auch gegen das Umfeld des Regimes. Und schließlich solle die russische Zivilgesellschaft innerhalb und außerhalb Russlands unterstützt werden.

„Das Regime will alle lauten Stimmen zum Schweigen bringen, die gegen den Krieg sind und sich nicht einschüchtern lassen.“ Deshalb hat sich Jewgenija Kara-Mursa nun entschieden zu sprechen. „Als Frau eines politischen Gefangenen, als Mutter und als russische Bürgerin werde ich das nicht hinnehmen. Ich werde jede für mich verfügbare internationale Plattform nutzen, um im Namen der Unterdrückten in Russland zu sprechen und den Krieg zu verurteilen. Und ich werde die Arbeit meines Mannes fortsetzen.“

Was auch immer sie dafür lernen müsse, wen auch immer sie treffen müsse – Jewgenija Kara-Mursa ist entschlossen, es zu tun. „Vielleicht ist das nur ein kleiner Nagel im Sarg des Regimes. Aber ein anderer kleiner Nagel könnte der letzte sein.“

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