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Ein ukrainischer Soldat steuert eine Drohne im Dezember 2022 im damals umkämpften Bachmut, Ukraine.

© IMAGO/ZUMA Wire/IMAGO/Madeleine Kelly

Drohnen haben die Front revolutioniert: Steht jetzt eine Kriegswende durch Künstliche Intelligenz bevor?

Moskau und Kiew liefern sich ein heftiges Wettrüsten beim Einsatz von Kampfdrohnen. Davon könnte der Ausgang des Kriegs gegen die Ukraine abhängen. Was das für Europa bedeutet.

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„Not macht erfinderisch“, sagt der Ingenieur Jurij Kasianow. Gleich zu Beginn des Krieges hatte die angegriffene Ukraine kaum Munition für ihre Artillerie. Chinesische Online-Shops wurden zur unverhofften Rettung. Die Ukrainer sammelten Geld, Freiwillige kauften Bauteile, Techniker bauten Drohnen in Küchen und Garagen zusammen.

Auch Jurij Kasianow gehörte zu den Tüftlern. Er gründete ein Forschungs- und Konstruktionsbüro für Drohnen, die von der ukrainischen Armee eingesetzt werden. „Die Drohne ist in gewisser Weise eine Volkswaffe.“ Denn deren Boom habe mit zivilen Initiativen begonnen, sagt Kasianow. 

Mittlerweile ist aus der zivilen Selfmade-Waffe ein Industrieprodukt geworden. Auf dem ukrainischen Markt sind rund 200 Unternehmen tätig: von staatlichen Rüstungsunternehmen bis hin zu jungen Tech-Start-ups.

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Millionen Drohnen wurden in der Ukraine im Jahr 2024 produziert.

Dieses Jahr soll die Zahl der produzierten Drohnen auf vier Millionen steigen, zwei Millionen waren es 2024. Die Modelle werden direkt an der Front getestet und laufend weiterentwickelt.

Erstmals in der Militärgeschichte haben Kampfdrohnen die Rolle der Artillerie als dominante Waffe übernommen. Laut Generalstab der Ukraine sind 80 Prozent der erfolgreichen Treffer gegen russische Technik und Soldaten auf ukrainische Drohnen zurückzuführen – nur 20 Prozent der ukrainischen Abschüsse gehen auf das Konto ihrer Artillerie.

Mit schwerem Gerät und klassischen Taktiken kann dieser Krieg also nicht entschieden werden. „Ohne ukrainische Drohnen hätte Putin tiefere Geländegewinne erzielt“, glaubt Oleksandr Kowalenko, Militäranalyst und leitender Experte des Ukrainischen Zentrums für Sicherheitsforschung.

Kowalenko ist sich sicher: „Riesige Panzerangriffe sind heute kaum noch umsetzbar“. Russische Truppen seien gezwungen, auf Motorräder umzusteigen, um sich unter dem Drohnenschwarm überhaupt noch bewegen zu können. Dabei kämen sie, so Kowalenko, oft nur um wenige Kilometer voran.

Wettrüsten im 21. Jahrhundert

Drohnen werden nicht nur an der Front eingesetzt. Die Zahl der iranischen Shahed-Drohnen, mit denen Putin das ukrainische Hinterland terrorisiert, ist seit dem Beginn der Vollinvasion stark angestiegen. Allein im vergangenen Monat Juni soll Russland ukrainische Städte mit 5500 dieser Waffen angegriffen haben.

5500
Shahed-Drohnen nutzte Russland allein im Juni 2025, um ukrainische Städte anzugreifen.

Ihre regelmäßigen Attacken auf ukrainische Städte begannen erst im Herbst 2022 – davor griff Russland nur mit Raketen an.

Auch die Ukraine entwickelt Langstreckendrohnen. Ihr vielversprechendstes Modell ist die „Ljutyj“. Mehrfach führte die Ukraine gezielte Angriffe auf russische Rüstungsbetriebe und Luftwaffenstützpunkte mit diesem Typ durch. Nach Kasianows Einschätzung ist sie sowohl dem iranischen Shahed-Modell als auch ihrer russischen Kopie „Geran“ in einigen Belangen überlegen.

Trotz der Vorteile des „Ljutyj“-Modells warnt Kasianow vor Euphorie: Denn der Ukraine sei es bisher nicht gelungen, die Produktion hochzufahren – im Gegensatz zu Russland, das in einer Drohnenfabrik in Tatarstan nach Informationen des ukrainischen Geheimdienstes 170 Drohnen täglich produzieren soll.

Bei den Glasfaser-Drohnen sind uns die Russen einen Schritt voraus.

Oleksandr Kowalenko, ukrainischer Militäranalyst

Beim Drohneneinsatz an der Front hatte die Ukraine noch bis Mitte 2024 klar die Oberhand. Doch die Lage änderte sich, als die russische Armee FPV-Drohnen mit Glasfasersteuerung in Dienst stellte.

„Hier sind uns die Russen einen Schritt voraus“, sagt Oleksandr Kowalenko. Ukrainische Ingenieure hätten zwar schon 2023 vorgeschlagen, Glasfaser einzusetzen, „aber das Kommando hat das abgelehnt, weil es solche Drohnen als weniger mobil und zu teuer einschätzte“, erklärt der Experte.

Juli 2025. Eine ukrainische Glasfaser-Drohne während eines Testlaufs in der Ukraine. Die hinterlassenen Glasfasern sind kaum erkennbar.

© AFP/TETIANA DZHAFAROVA

Die Idee, ein hauchdünnes Kabel an eine mobile Drohne anzuschließen, schien anfangs fragwürdig – erwies sich jedoch als revolutionär. Denn: Im Gegensatz zu herkömmlichen funkferngesteuerten sind Glasfaser-Modelle immun gegen elektronische Störsender.

Inzwischen versucht die Ukraine, bei glasfaserbasierten Drohnen aufzuholen. „Der Drohnenkrieg zwischen der Ukraine und Russland erinnert an ein Wettrüsten wie im Kalten Krieg“, sagt Kowalenko. „Nur geht es jetzt nicht um Interkontinentalraketen, sondern um günstige Drohnen.“

Drohnen-Revolution durch Künstliche Intelligenz?

Ein Ende der technologischen Schlacht ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, eine neue Stufe steht bevor – durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Sowohl Moskau als auch Kyjiw experimentieren bereits mindestens mit einer dieser Technologien – „Computer Vision“ genannt.

KI-geführter Krieg könnte Realität werden.

Jurij Kasianow, ukrainischer Drohnen-Spezialist

Diese Technologie wurde unter anderem beim Einsatz von mehr als 100 Drohnen gegen Ziele in Russland am 1. Juni (Operation „Spinnennetz“) genutzt: Die am Fluggerät befestigte Kamera verglich das Gesehene mit zuvor gespeicherten Zielbildern – und die Drohne steuerte selbstständig darauf zu.

So ermöglicht die KI-Technologie den weiteren Einsatz, sogar wenn der Kontakt zum Drohnenpiloten abreißt. Laut ukrainischem Geheimdienst setzt auch Russland „Computer Vision“ ein.

Die Aufzeichnung einer ukrainischen Drohne, die am 1. Juni 2025 an der „Operation Spinnennetz“ beteiligt war. Die gezeigte Drohne greift hier den Flugplatz Belaya in der sibirischen Irkutsk Region an.

© Imago/UPI Photo/Screenshot via Ministry of Defense of Ukraine

Bislang käme KI nur unterstützend zum Einsatz, sagt Kasianow, „etwa bei Signalverlust“. Noch immer werden Drohnen hauptsächlich von Menschen gesteuert. Daher wäre es verfrüht, „von einer vollständigen Steuerung durch KI zu sprechen“, fügt der Experte hinzu. Der KI-Einsatz erfordere deutlich mehr Rechenleistung und Speicherplatz, als in eine kompakte Drohne passe.

Doch Taiwan habe bereits die Produktion leistungsstarker 2-Nanometer-Chips angekündigt. „Wenn das kommt, könnte KI-geführter Krieg Realität werden“, meint Kasianow.

Lehren für Europa?

Experten zweifeln nicht mehr daran, dass Drohnen in künftigen Konflikten eine Schlüsselrolle spielen werden. Doch lassen sich die Erfahrungen der Ukraine auf andere Staaten übertragen – insbesondere auf jene, denen eine mögliche Aggression Russlands drohen könnte?

Europa hat noch ein bis zwei Jahre Zeit, um Russland im Drohnenrennen einzuholen.

Jurij Kasianow, ukrainischer Drohnen-Spezialist

Nach Ansicht von Oleksandr Kowalenko gibt es keine Garantie dafür, dass kommende Kriege ähnlich geführt würden wie in der Ukraine. Denn Technologien entwickeln sich rasant – und mit ihnen die Mittel und Methoden der modernen Kriegsführung.

Laut Kowalenko sollten die Europäer aber eine Sache aus der Verteidigung der Ukraine für sich mitnehmen: „Man muss mit dem Unerwarteten rechnen und sich schnell anpassen können.“

Jurij Kasianow ist sich sicher, dass viele europäische Länder in der Drohnenentwicklung gut gegen Russland aufgestellt sind: „Sollte Europa Drohnen benötigen, könnte die Ukraine ihren Partnern kaum etwas anbieten – denn die Europäer verfügen über starke Ingenieurschulen und hervorragende eigene Entwicklungen.“

Dennoch zweifelt der Experte daran, dass europäische Armeen bereits über eine ausreichende Zahl von Drohnen verfügen. „Europa hat noch ein bis zwei Jahre Zeit, um Russland im Drohnenrennen einzuholen – oder sogar zu überholen“, so Kasianow. Doch dafür müsse die Produktion dieser Waffen deutlich hochgefahren werden.

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