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Venezuelas Machthaber Nicolás Maduro bei der Militärparade in Russland zum Gedenken des Sieges der Sowjetunion gegen Nazideutschland. Fängt auch der venezolanische Autokrat demnächst einen Krieg an?

© IMAGO/SNA/IMAGO/Ilya Pitalev

Maduro sucht die Eskalation: Venezuelas Machthaber lässt in Guyana wählen

Am Sonntag gibt es in Venezuela Regionalwahlen – auch in der Region Esequibo, die eigentlich zu Guyana gehört. Will Maduro, dass ein jahrhundertealter Streit eskaliert?

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Es ist ein bisschen so, als würde Berlin einen Bürgermeister für Ostpreußen wählen: Venezuelas Machthaber Nicolás Maduro lässt am Sonntag über einen Gouverneur und acht Abgeordnete für Esequibo abstimmen – eine Region, die zum Nachbarland Guyana gehört und über die Venezuela keinerlei Souveränität ausübt.

Venezuela und Guyana befinden sich seit dem 19. Jahrhundert im Grenzkonflikt. Maduro hatte vergangenes Jahr angekündigt, sich Esequibo im Notfall auch militärisch einverleiben zu wollen. Er hat für die Eingliederung bereits ein Gesetz verabschiedet. Sind die Wahlen also ein neuer Versuch der Annexion?

„Ich habe recherchiert, aber nirgendwo einen Präzedenzfall für solch ein Vorgehen gefunden“, sagt Phil Gunson, Analyst der Denkfabrik International Crisis Group. Der in Venezuela lebende Experte fürchtet, dass dies die Spannungen zwischen den Nachbarländern weiter verschärft.

Eine Eskalation ist nicht ausgeschlossen

Schon in den vergangenen Wochen kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen an der Grenze, vor wenigen Tagen wurde das guyanische Militär von einer bisher nicht identifizierten, bewaffneten Gruppe angegriffen. Die Regierung hat die Grenzkontrollen verstärkt.

Eine Eskalation ist derzeit nicht ausgeschlossen – zumal der offizielle Kandidat Maduros für das Gouverneursamt ein Admiral ist.

Lassen wir Venezuela ruhig Wahlen über einen imaginären Staat abhalten. Das ist letztlich eine Fiktion ohne praktische Auswirkungen.

Ronald Austin Jr., guyanischer Historiker

Guyana protestiert lautstark gegen die Wahlen. Verteidigungsminister Omar Khan drohte, dass jeder, der an einer solchen Aktion teilnimmt, wegen Hochverrats angeklagt werde. Deshalb plant Maduro, nur die Bevölkerung auf der venezolanischen Seite des Grenzgebiets wählen zu lassen.

Der guyanische Historiker Ronald Austin Jr. sagte dem Tagesspiegel dazu: „Lassen wir Venezuela ruhig Wahlen über einen imaginären Staat abhalten. Das ist letztlich eine Fiktion ohne praktische Auswirkungen.“

Zentrum des Konflikts ist die Souveränität über die Region Esequibo, benannt nach dem größten Fluss Guyanas. Eine diverse, noch weitgehend vom Menschen unberührte Gegend mit tropischen Wäldern, wasserreichen Savannen und Tafelbergen. Bewohnt wird sie vor allem von indigener Bevölkerung.

Esequibo macht etwa zwei Drittel des derzeitigen guyanischen Staatsgebietes aus. Geostrategisch interessant ist sie, weil sich dort Öl, seltene Erden, Bauxit, Mangan, Diamanten und Goldvorkommen befinden.

Der Konflikt, der beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag anhängig ist, geht zurück auf eine unklare Grenzziehung zwischen den Kolonialmächten Großbritannien und Spanien. Die guyanische Regierung in der Hauptstadt Georgetown verteidigt eine Grenze, die auf Betreiben der USA 1899 von einem Schiedsgericht festgelegt wurde.

Caracas argumentiert wiederum, dass der Fluss die natürliche Grenze sei, so wie es 1777 der Fall war, als Venezuela noch ein Generalkapitanat des spanischen Reiches war.

Venezuela beruft sich auf das Genfer Abkommen, das 1966 vor der Unabhängigkeit Guyanas vom Vereinigten Königreich unterzeichnet wurde. Es hob den früheren Schiedsspruch auf und schaffte die Grundlage für eine Verhandlungslösung.

Jahrzehntelang interessierte sich Venezuela allerdings nicht besonders für die Dschungelregion. Besonders der sozialistische Ex-Präsident Hugo Chávez war mehr an guten nachbarschaftlichen Beziehungen interessiert, um seinen regionalen Führungsanspruch zu zementieren.

Erst unter Maduro, als es mit Venezuela wirtschaftlich bergab ging, rückte der alte Grenzstreit wieder in den Vordergrund.

Ungeschickter Versuch oder ernste Drohung?

Austin Jr. sieht daher in Maduros Vorgehen einen „ungeschickten Versuch, den psychologischen Druck auf Guyana zu verstärken und von der wirtschaftlichen und sozialen Krise in Venezuela abzulenken“.

Gunson wiederum vermutet, dass Maduro testen will, „ob er so ein paar Zugeständnisse von Guyana bekommt, wie einen Anteil am geförderten Erdöl. Außerdem will er sehen, inwieweit andere Länder Guyana in Schutz nehmen.“ Mit anderen Ländern sind vor allem die USA gemeint.

Die Region Esequibo in Guyana hat viel Natur zu bieten – und Öl.

© AFP/MARTIN SILVA

Denn militärisch sei Venezuela dem Nachbarland mit weniger als einer Million Einwohnern zwar haushoch überlegen, warnt der Krisenexperte. Aber das Erdöl in der Esequibo-Region wird von einem Konsortium unter Leitung des US-Konzerns Exxon gefördert. US-Außenminister Marco Rubio war bereits in Georgetown, und in den vergangenen Monaten haben die USA ihre Militärpräsenz in der Gegend verstärkt.

Auch viele Länder in Lateinamerika haben sich mit dem kleinen Land solidarisch erklärt, ebenso die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien sowie die Commonwealth-Staaten.

Nicht einmal China dürfte viel Interesse an dem Konflikt haben: Venezuela schuldet Peking noch rund 60 Milliarden US-Dollar, und chinesische Firmen besitzen in Guyana bereits Förderlizenzen. 

Vielleicht wählt Venezuela, wie Historiker Austin Jr. es ausdrückt, also am Sonntag einfach nur für ein imaginäres Land. Narnia, sozusagen.

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