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Bundeskanzler Friedrich Merz (links) und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am vergangenen Montag in Berlin.

© dpa/Kay Nietfeld

Entscheidung über russische Milliarden: Jetzt zeigt sich, ob Europa dazugelernt hat

Bei den Ukraine-Verhandlungen hinken die Europäer oft hinterher. Nun steht eine wichtige Entscheidung über eingefrorenes russisches Vermögen an – und die Chance, endlich zu handeln.

Hannah Wagner
Ein Kommentar von Hannah Wagner

Stand:

Es gab viel Lob in den vergangenen Tagen für Europa, ungewöhnlich viel Lob. Der von Bundeskanzler Friedrich Merz eilig einberufene Ukraine-Gipfel Anfang der Woche in Berlin war ein Erfolg. Ein vermeintlicher „Friedensplan“, der allem Anschein nach größtenteils aus russischer Feder stammte und der für Kiew einer Kapitulation gleichgekommen wäre, scheint erst einmal vom Tisch zu sein.

Stattdessen gibt es nun einen – auch mit den Amerikanern abgestimmten – Gegenvorschlag, der erstmals auch einigermaßen konkrete Zusagen über Sicherheitsgarantien für das von Präsident Wolodymyr Selenskyj angeführte Land enthält.

Doch es wartet bereits die nächste Herausforderung: Bei einem Gipfeltreffen in Brüssel wollen Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten an diesem Donnerstag über eine mögliche Nutzung von eingefrorenem russischem Vermögen für die Unterstützung der Ukraine entscheiden. Konkret geht es dabei um rund 200 Milliarden Euro, die Moskau vor Kriegsbeginn in der Europäischen Union angelegt hatte und die nun in Kredite für Wiederaufbau und Verteidigungsausgaben des angegriffenen Landes fließen könnten.

Einfach wird das nicht, denn ein Antasten beschlagnahmter Gelder wäre ein absolutes Novum und gilt in den Augen einiger Experten deshalb als juristisch heikel. Während Merz sowie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sich wiederholt für diesen Schritt aussprachen, bremst bislang vor allem Belgien, wo ein Großteil der russischen Milliarden gelagert ist.

Und doch ist es eine gewaltige Chance, die sich Europa an dieser Stelle bietet: Nach langen und bislang weitgehend von den USA und Russland dominierten „Friedensverhandlungen“ besteht nun die Möglichkeit, den Schwung der vergangenen Tage zu nutzen und endlich einmal selbst die Initiative zu ergreifen. Es besteht aber eben auch das Risiko, krachend zu scheitern.

Europa ist zu defensiv

Bislang liefen die Gespräche um ein Kriegsende in der Ukraine meist so ab: Der selbst ernannte „Friedenspräsident“ Donald Trump, der die Kämpfe in Osteuropa am liebsten schon vor Monaten beendet hätte, legte einen Plan vor, wie das angeblich geschehen könne. Der Plan entpuppte sich schnell als Moskauer Wunschliste, als Auflistung russischer Maximalforderungen – und die Europäer hatten im Anschluss ihre liebe Mühe, gemeinsam mit den Ukrainern die Kuh wieder vom Eis zu bekommen.

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So war es zu Beginn von Trumps Amtszeit, so war es nach dem Besuch von Kremlchef Wladimir Putin im Sommer in Alaska – und so war es auch jetzt wieder.

Nun wird sich zeigen, ob Putin doch noch die von vielen längst abgeschriebene europäische Geschlossenheit entgegenschlägt – oder ob sie wieder einmal versagt.

Hannah Wagner

Dabei sind die Europäer im Laufe der Zeit, das muss man ihnen lassen, deutlich besser darin geworden, Trumps Sprache zu sprechen und den ukrainischen Positionen in Washington Gehör zu verschaffen. Man erinnere sich nur daran, wie allein und bloßgestellt Selenskyj noch im Februar von Trumps Meute im Weißen Haus abserviert wurde.

Heute gelingt es Kiew mithilfe der Verbündeten aus Berlin, London und Paris ziemlich souverän, besonders absurde Punkte – wie eine Verkleinerung der ukrainischen Armee bei gleichzeitigem Vormarsch der russischen – wieder aus den entsprechenden Dokumenten zu tilgen.

Putin (links) und Trump im vergangenen August in Alaska. Immer wieder kamen Russen und Amerikaner den Europäern bislang zuvor.

© Imago/SNA/Sergey Bobylev

Das Problem ist nur: Es reicht nicht, ein ums andere Mal die allergefährlichsten russischen Forderungen abzumoderieren – nur, um sie einige Wochen später wieder auf dem Tisch zu haben. Es braucht zusätzlichen Druck, um Moskau nach und nach zumindest einige Zugeständnisse auch tatsächlich abzuringen. Die Nutzung des eingefrorenen russischen Vermögens hätte das Potenzial, diese Wirkung zu entfalten.

Nein, auch dieser Schritt würde das größte Land der Erde nicht von heute auf morgen in die Knie zwingen, den Krieg nicht auf einen Schlag beenden. Und ja, das Risiko besteht, dass Moskau erst einmal mit schmerzhafter Vergeltung reagieren könnte. Mit Enteignungen in Russland verbliebener europäischer Unternehmen beispielsweise oder mit einem vorläufigen Rückzug aus den aktuell bestehenden Verhandlungskanälen.

Doch längerfristig werden es genau solche Maßnahmen sein, die darüber entscheiden, ob der Herrscher im Kreml all seine Kriegsziele durchsetzen kann. Oder ob er zu spüren bekommt, dass zumindest die letzten roten Linien der Ukraine – namentlich die Ablehnung weiterer Gebietsverluste und ein Beharren auf verlässlichen Sicherheitsgarantien – mit aller Kraft verteidigt werden.

Nun wird sich zeigen, ob Putin doch noch die von vielen längst abgeschriebene europäische Geschlossenheit entgegenschlägt – oder ob sie wieder einmal versagt. Dann allerdings wäre auch der jüngste Erfolg aus Berlin nicht mehr allzu viel wert.

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