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Erdoğan – vom Wahlverlierer zum Nahost-Gewinner: Warum der türkische Präsident wieder obenauf ist
Das Jahr hatte für Recep Tayyip Erdoğan miserabel begonnen. Doch der Sturz seines Gegners Assad in Syrien spielt dem türkischen Präsidenten in die Hände. Das will er nun auch innenpolitisch nutzen.
Stand:
Rache ist süß, auch für Recep Tayyip Erdoğan. „Ihr wolltet doch zu Assad reisen“, verspottete der türkische Präsident vor wenigen Tagen die Führung der Oppositionspartei CHP. „Was ist denn dazwischengekommen?“
Erdoğan genoss seinen Auftritt, weil er bis zum Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad am 8. Dezember von der Opposition beim Thema Syrien und Flüchtlingsrückkehr unter Druck gesetzt worden war.
Der Umsturz in Damaskus war nun ein Glücksfall für ihn. Der türkische Staatschef ist am Ende des Jahres 2024 innen- wie außenpolitisch stärker denn je. Das hätten noch vor wenigen Monaten nicht einmal Parteifreunde des 70-Jährigen vorausgesagt.
Das Jahr hatte für Erdoğan mit einer krachenden Niederlage begonnen. Der Präsident stürzte sich mit aller Kraft in den Kommunalwahlkampf, weil er die Schmach seiner Regierungspartei AKP bei der letzten Runde 2019 wiedergutmachen wollte. Damals hatte die AKP die Macht in den Metropolen Istanbul und Ankara an die CHP verloren.
Nun wollte Erdoğan die Städte zurückerobern, doch er scheiterte. Die CHP-Bürgermeister in Istanbul und Ankara, Ekrem İmamoğlu und Mansur Yavaş, siegten bei der Wahl im März so überlegen, dass sie ihre Rolle als potenzielle Herausforderer Erdoğans bei der nächsten Präsidentenwahl 2028 festigten. Zum ersten Mal seit 20 Jahren musste die AKP ihre Position als landesweit stärkste politische Kraft an die CHP abgeben.
Einige rieten Erdoğan schon zum Abdanken
Nach der Bauchlandung bei den Kommunalwahlen hatte Erdoğan nicht nur das Problem, dass der Rückhalt für die AKP bröckelte. Die CHP lag in den Umfragen zeitweise weit vor seiner Partei. Die Inflation sank im Laufe des Jahres zwar, blieb mit knapp 50 Prozent im November aber immer noch sehr hoch.
Erdoğan hatte auch keinen Plan dafür, wie er sein nächstes Problem lösen sollte. Der Präsident braucht eine vorgezogene Neuwahl oder eine Verfassungsänderung, um 2028 für eine weitere fünfjährige Amtszeit als Staatschef antreten zu können. Das ist für ihn nur mit Unterstützung von Teilen der Opposition möglich, die aber nicht daran denkt, ihm zu helfen. Einige AKP-Politiker rieten ihm öffentlich, er solle abdanken.

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Schon vor Assads Sturz wendete sich jedoch das Glück zugunsten des Präsidenten – zum Teil wegen der unfreiwilligen Hilfe der CHP. Die Partei konnte ihren Triumph vom März nicht zu einer Strategie gegen Erdoğan weiterentwickeln.
Die Wähler schimpfen über Inflation und Arbeitslosigkeit, trauen Erdoğan aber immer noch eher eine Lösung der Probleme zu als der CHP. Führende CHP-Politiker streiten darüber, wer bei der nächsten Wahl gegen Erdoğan antreten soll.
Die Opposition „hat keinen Politiker, um den sie sich scharen kann“, sagte der Türkei-Experte Howard Eissenstat von der Universität St. Lawrence in den USA und dem Nahost-Institut Washington dem Tagesspiegel.
Mit einer neuen Initiative zur Lösung der Kurdenfrage versuchten Erdoğan und sein rechtsnationaler Partner Devlet Bahçeli, Keile in die Reihen der Opposition zu treiben. Bahçeli schlug vor, den inhaftierten Gründer der Terrorgruppe PKK, Abdullah Öcalan, unter der Bedingung freizulassen, dass die PKK ihren Kampf gegen Ankara einstelle. Ein kluger Schachzug, findet Eissenstat: Kurdische Wähler seien unzufrieden mit der Opposition.
Assads Sturz kam Erdoğan gelegen
Die Türkei diskutierte noch über das Für und Wider einer Freilassung von Öcalan, als Assad entmachtet wurde. Erdoğan erschien plötzlich als weiser Landesvater, der immer zur syrischen Opposition gehalten hatte. Dass er selbst vergeblich versucht hatte, Assad zu einem Treffen zu bewegen, war schnell vergessen.
Erdoğan schickte seinen Geheimdienstchef Ibrahim Kalin nach Damaskus, um mit der siegreichen Miliz HTS zu sprechen. Die Türkei hat mehr Einfluss auf die neuen Machthaber in Syrien als jedes andere Land.

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Auch die internationale Gemeinschaft sieht Erdoğan als Sieger: Deutschland nennt die Türkei einen „Schlüsselakteur“ im Nahen Osten. „Wie die Türkei den syrischen Bürgerkrieg gewann“, titelte die US-Zeitschrift „Foreign Affairs“. Die von der Türkei unterstützte Miliz Syrische Nationalarmee rückt seit Assads Sturz im Norden Syriens gegen die Kurdenmiliz YPG vor.
Neben dem Prestigegewinn und den möglichen Milliardenaufträgen für türkische Baufirmen beim Wiederaufbau Syriens sieht Eissenstat noch zwei weitere Vorteile für Erdoğan. Die Türkei habe die Chance, die kurdische Autonomie in Syrien zu schwächen und viele syrische Flüchtlinge nach Hause zu schicken, was Erdoğans Beliebtheit bei den türkischen Wählern steigern könnte.
Im neuen Jahr wird Erdoğan versuchen, diese Erfolge innenpolitisch zu nutzen. Sein wichtigstes Ziel bleibt es, sich die erneute Kandidatur 2028 zu sichern. Noch ist offen, wie er das bewerkstelligen will.
Doch nachdem er es geschafft hatte, 2024 nach einem vermasselten Start doch noch zu einem Erfolgsjahr für sich zu machen, könnte er im neuen Jahr die Weichen für einen Machterhalt bis weit in die 2030er Jahre hinein stellen.
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