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Erdogan kritisiert Demonstrationen: Mehr als 1000 Festnahmen bei Protesten gegen Inhaftierung von Imamoglu
Die Stimmung in der Türkei heizt sich weiter auf. Hunderttausende Menschen protestieren, Hunderte wurden festgenommen. Bundeskanzler Scholz kritisiert das türkische Vorgehen.
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In der Türkei ist es zu zahlreichen Festnahmen im Zuge der Proteste gegen die Inhaftierung von Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu gekommen. 1133 Verdächtige wurden bei „illegalen Demonstrationen“ zwischen dem 19. März und dem 23. März 2025 festgenommen, wie Innenminister Ali Yerlikaya auf der Plattform X mitteilte. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte die andauernden Proteste scharf.
Insgesamt zehn Journalisten und Fotografen seien am Morgen bei Razzien festgenommen worden, teilte die Anwaltsvereinigung MLSA mit. Die Mediengewerkschaft Disk-Basin-Is bezeichnete dies auf X als eine Reaktion der Regierung auf die andauernden Proteste gegen die Inhaftierung des CHP-Oppositionspolitikers. Die Gewerkschaft sprach von einem „Angriff auf die Pressefreiheit und das Recht des Volkes, die Wahrheit zu erfahren“.
Laut der Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) wurden seit Beginn der Proteste mindestens zehn Journalisten physisch angegangen durch Sicherheitskräfte, „und Dutzende weitere wurden mit Tränengas oder Gummigeschossen angegriffen“. RSF-Türkeivertreter Erol Önderoglu verurteilte „Angriffe und Restriktionen gegen die Pressefreiheit“. Alle Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden.
Erdogan-Rivale als Istanbuler Bürgermeister abgesetzt
Imamoglu gilt als aussichtsreichster politischer Herausforderer von Präsident Erdogan und war am Mittwoch wegen Korruptions- und Terrorvorwürfen festgenommen und am Sonntag als Istanbuler Bürgermeister abgesetzt worden. Dennoch wurde der beliebte Oppositionspolitiker zum Präsidentschaftskandidaten seiner linksnationalistischen Partei CHP gewählt.
In Istanbul, Ankara, Izmir und anderen Städten waren Menschen Verboten zum Trotz zu Zehntausenden auf die Straße gegangen – teils mit heftigen Auseinandersetzungen zwischen Einsatzkräften und Demonstrierenden. Die Polizei setzte Berichten zufolge am späten Sonntagabend Wasserwerfer und Tränengas ein.
Zu dem Protest am Sonntagabend in der Millionenmetropole Istanbul fanden sich vor der Stadtverwaltung auf dem Sarachane-Platz Hunderttausende ein. Der CHP-Chef sprach von einer Million Teilnehmern. Von lokalen Behörden gibt es keine Angaben zu der Größe der Demonstrationen. Auch für Montagabend riefen Imamoglus Unterstützer zu landesweiten Protesten auf.
Die Oppositionspartei CHP habe eine „Bewegung der Gewalt“ angestachelt, sagte Erdogan in einer Rede nach einer Kabinettssitzung am Montag in Ankara. Die CHP sei für alle Sachschäden und Verletzungen von Polizisten während der Proteste verantwortlich. Aber die gegenwärtige „Show“ werde irgendwann enden, dann würden sich alle für das „Böse“ schämen, das sie dem Land angetan hätten, sagte Erdogan.
123 Polizeibeamte wurden laut Innenminister bei den landesweiten Demonstrationen bislang verletzt. Dort seien zudem Gegenstände wie etwa Säuren, Steine, Stöcke, Feuerwerkskörper, Äxte und Messer sichergestellt worden.
„Ich werde mich niemals beugen, alles wird gut“
Die CHP sprach von einem „politischen Staatsstreich“ und rief dazu auf, „weiterzukämpfen“. Der Oppositionspolitiker selbst gab sich am Sonntag weiter kämpferisch. „Ich stehe aufrecht, ich werde mich niemals beugen, alles wird gut“, erklärte er über seine Anwälte im Onlinedienst X.
Den Slogan „Alles wird gut“ hatte Imamoglu bereits im Jahr 2019 verwendet, nachdem seine Wahl zum Istanbuler Bürgermeister zunächst annulliert worden war. Bei der Wiederholung des Urnengangs siegte er dann deutlich, 2024 wurde er in das Amt wiedergewählt.

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Zudem richtete Imamoglu einen Gruß an seine Unterstützer. „Ich grüße die Millionen, die heute Abend auf dem Sarachane-Platz und auf den Plätzen überall in meinem Land ihre Stimme erhoben haben“, hieß es in einer Mitteilung, die auf Imamoglus X-Account veröffentlicht wurde. „Sie haben Erdogan gesagt: ‚Jetzt reicht es!‘“.
Imamoglu selbst bestreitet alle Vorwürfe und wirft seinerseits der Regierung vor, ihn mit den Ermittlungen als politischen Rivalen kaltstellen zu wollen. Umfragen sagen Imamoglu bisher gute Chancen gegen den seit 2003 abwechselnd als Regierungschef oder Präsident an der Staatsspitze stehenden Erdogan voraus. Medienberichten zufolge wurde er in ein Gefängnis in Silivri gebracht.
Heftige Kritik aus der EU an türkischer Politik
Die EU schließt angesichts der Entwicklungen in der Türkei eine Absage geplanter Gespräche über den Ausbau der Zusammenarbeit nicht aus. Ein Sprecher der zuständigen Europäischen Kommission machte in Brüssel deutlich, dass nicht mehr sicher davon ausgegangenen werden kann, dass anvisierte Treffen auf hoher Ebene wirklich stattfinden werden.
Er verwies dabei auch darauf, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Festnahme Imamoglus als „äußerst besorgniserregend“ bezeichnet hatte. Die geplanten Beratungen mit der Türkei waren nur wenige Tage zuvor angekündigt worden. Vorbereitet wurde damals den Angaben zufolge ein EU-Türkei-Dialog zu Wirtschaftsthemen im April sowie ein weiterer zu Migrations- und Sicherheitsthemen.
Scholz nennt Verhaftung „absolut inakzeptabel“
Derweil gibt es auch in Deutschland heftige Kritik an der Verhaftung Imamoglus. Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete den Vorgang als „absolut inakzeptabel“. „Wir beobachten die Entwicklung in der Türkei im Augenblick mit großer Sorge“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag in Berlin. Der Vorfall müsse „sehr schnell und sehr transparent“ aufgeklärt werden.
Der Regierungssprecher wies darauf hin, dass sich die Bundesregierung in den vergangenen Jahren sehr darum bemüht habe, gute Beziehungen zwischen der EU und der Türkei aufzubauen. „Die jüngsten Entwicklungen sind ein schlechtes Zeichen für die Demokratie in der Türkei, aber auch für die weitere Entwicklung dieser Beziehungen“, warnte er.

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Das Auswärtige Amt sprach von einem „schweren Rückschlag für die Demokratie in der Türkei“ und erklärte, politischer Wettbewerb dürfe „nicht mit Gerichten und Gefängnissen geführt werden“. Der türkische Botschafter sei zu einem Gespräch im Auswärtigen Amt gewesen, teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes mit.
SPD-Chef Lars Klingbeil forderte die Freilassung des Istanbuler Bürgermeisters. „Die Türkei darf nicht weiter Richtung Autokratie abrutschen“, sagte Klingbeil dem „Tagesspiegel“.
Frankreich sprach von einer schweren Beschränkung der Demokratie. Die Einhaltung der Rechte von gewählten Oppositionellen, die Demonstrationsfreiheit und die Freiheit der freien Meinungsäußerung seien Grundpfeiler des Rechtsstaates. Die Türkei habe auch als EU-Beitrittskandidat in diesen Punkten Engagement zugesagt, mahnte das französische Außenministerium. (dpa, AFP/Reuters)
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