zum Hauptinhalt
Das Kernkraftwerk Saporischschja

© Leo Correa/AP/dpa

Update

Aktuell keine Strahlenbelastung für Deutschland: Atombehördenchef warnt vor „drohendem schweren Atomunfall“ am AKW Saporischschja

Am Freitag hat Russland eine Teil-Evakuierung des Atomkraftwerks angekündigt. Die Situation wird aus Sicht des IAEA-Chefs Grossi immer unberechenbarer.

| Update:

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) ist angesichts der angespannten Lage um das frontnahe ukrainische Kernkraftwerk Saporischschja alarmiert.

Die Situation werde immer unberechenbarer, und das Gefahrenrisiko in dem russisch besetzten AKW steige, sagte IAEA-Chef Rafael Grossi am Samstagabend. „Ich bin extrem besorgt über die sehr realen Sicherheitsrisiken“, warnte er in einem Lagebericht. „Wir müssen jetzt handeln, um einen drohenden schweren Atomunfall zu verhindern.“

Die moskautreue Verwaltung im Gebiet Saporischschja kündigte am Freitag Evakuierungen an, darunter die Stadt Enerhodar, wo der Großteil des AKW-Personals lebt. Laut Grossi bleiben die Mitarbeiter zwar vor Ort, doch die Situation wird dennoch „zunehmend angespannt, nervenaufreibend und herausfordernd“ für sie und ihre Familien. Dauerstress kann laut IAEA zu Fehlern und Unfällen im AKW führen.

Die IAEA-Experten auf dem Gelände des Kraftwerks würden die Lage aus der Nähe überwachen, um „jede mögliche Auswirkung auf die Sicherheit aufzuspüren“, betonte Grossi.

Saporischschja könnte Zentrum der Gegenoffensive werden

Grossi forderte erneut eine Vereinbarung zwischen der Ukraine und Russland, um das AKW vor Angriffen zu schützen. Ursprünglich sei Moskau dem Plan positiv gegenübergestanden, während Kiew skeptisch gewesen sei, weil darin kein russischer Abzug aus dem Kraftwerk vorgesehen war, wie die Deutsche Presse-Agentur aus europäischen diplomatischen Kreisen erfuhr.

Seit Kiew zuletzt eine positivere Haltung einnehme, aber gleichzeitig den Abzug der Russen fordere, zeige sich Russland nicht mehr so zustimmend, hieß es. In näherer Zukunft wird mit einer ukrainischen Gegenoffensive gerechnet. Als eine Möglichkeit gilt dabei ein militärischer Vorstoß im Gebiet Saporischschja in Richtung der Küste des Asowschen Meeres.

Der Bürgermeister von Melitopol, Ivan Fedorow, erklärte im Online-Dienst Telegram, die von den russischen Behörden angekündigte „Evakuierung“ verlaufe zu schnell. Am Kontrollposten Schongar an der Straße von Melitopol zur Krim hätten sich sehr lange Warteschlangen gebildet. Seit Freitag würden alle 20 bis 30 Minuten Busse abfahren.

Das Atomkraftwerk Saporischschja ist nicht von der Teil-Evakuierung der Region Saporischschja betroffen, wie der von den russischen Behörden ernannte Leiter der Anlage, Juri Tschernitschuk, am Samstag mitteilte.

Keine gefährliche Strahlenbelastung für Deutschland

Von dem ukrainischen Atomkraftwerk gehen aktuell keine gefährlichen Strahlenbelastungen für Deutschland aus. „Es gibt derzeit keinerlei Hinweise auf erhöhte Strahlungswerte, weder in der Ukraine noch in Deutschland“, sagte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums den Funke-Zeitungen (Montagsausgaben). Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) betreibe ein Mess- und Informationssystem, das an rund 1700 Messsonden laufend Daten über die Radioaktivität in der Umwelt sammele - darunter 500 in der Ukraine.

Grundsätzlich seien Prognosen, inwieweit deutsches Staatsgebiet bei Angriffen auf ein Atomkraftwerk in der Ukraine betroffen sein könnte, mit sehr hohen Unsicherheiten behaftet, „da Atomkraftwerke in der Geschichte bisher noch nie angegriffen wurden“, sagte der Ministeriumssprecher.

Es gibt derzeit keinerlei Hinweise auf erhöhte Strahlungswerte, weder in der Ukraine noch in Deutschland

 Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums

Aufgrund der Entfernung zur Ukraine rechnet das Bundesumweltministerium jedoch nicht damit, dass im Fall eines radioaktiven Niederschlags in Deutschland Maßnahmen des Katastrophenschutzes erforderlich würden - wie beispielsweise die Einnahme von hochdosiertem Jod, um die Schilddrüse vor der Anreicherung von radioaktivem Jod zu schützen.

„Im schlimmsten Fall, also nur bei einem erheblichen Austritt von Radioaktivität und einer Wetterlage, die Luftmassen von der Ukraine nach Deutschland verfrachtet, könnten in Deutschland für die Landwirtschaft festgelegte Radioaktivitäts-Höchstwerte überschritten werden“, sagte der Sprecher weiter. Dann würde eine Kontrolle von Futter- und Nahrungsmitteln erforderlich werden.

Das Notfallmanagementsystem des Bundes und der Länder für radiologische Notfälle sei aber zu jedem Zeitpunkt effektiv und einsatzbereit, versicherte der Sprecher. Sollte das Ministerium Hinweise haben, „dass sich ein radiologischer Notfall mit erheblichen Auswirkungen in der Ukraine ereignet, würde das radiologische Lagezentrum des Bundes die Lage bewerten, die Öffentlichkeit informieren und, soweit erforderlich, Verhaltensempfehlungen geben“.

Am Freitag hatte der von Moskau eingesetzte Verwaltungschef der Region Saporischschja, Jewgeni Balizki, die Teil-Evakuierung von 18 von Russland besetzten Orten in der Region Saporischschja angeordnet, darunter auch Energodar, wo sich das Atomkraftwerk Saporischschja befindet. Betroffen seien Familien mit Kindern, ältere Menschen, Behinderte und Patienten von Krankenhäusern. (dpa, AFP)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false