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29.12.2025, Russland, Moskau: Der russische Präsident Wladimir Putin nimmt an einem Treffen mit hochrangigen Militäroffizieren im Kreml teil.

© dpa/MIKHAIL METZEL

Experten entlarven Kreml-Behauptungen: Putins Frontberichte halten dem Faktencheck nicht stand

Moskau erweckt den Eindruck, die ukrainische Verteidigung stehe kurz vor dem Zusammenbruch. Doch Militärexperten widersprechen – und selbst prorussische Blogger tun das öffentlich.

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Verlorenes Gebiet, desertierende Soldaten, fehlende Waffen: Die Schwächen der ukrainischen Verteidigung sind am Ende des vierten Kriegsjahres bestens dokumentiert und unbestritten. Doch die Negativmeldungen können auch einen falschen Eindruck erwecken. Den Eindruck nämlich, dass die Ukraine den Abwehrkrieg gegen Russland bald verlieren könnte. Auch Russland selbst verbreitet diese Deutung derzeit mit auffällig großem Engagement.

Das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) hat aktuelle Äußerungen von Moskaus Spitzenpersonal dokumentiert. Sie fielen bei einem Treffen von Machthaber Wladimir Putin und seinen Generälen am 29. Dezember – kurz nach dem jüngsten Austausch von US-Präsident Donald Trump und seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj. Doch die russischen Behauptungen über die Lage an der Front sind demnach teils übertrieben und teils unbestätigt, also wahrscheinlich gelogen.

Zunächst ein Blick auf die Zahlen über erobertes ukrainisches Terrain.

Moskaus Behauptung – und die Einschätzung von Experten

  • Die russische Behauptung: Im Dezember 2025 wurden über 700 Quadratkilometer und 32 Ortschaften erobert; insgesamt waren es 6640 Quadratkilometer und 334 Orte im Jahr 2025.
  • Das ISW geht jedoch von nur 480 Quadratkilometern und 23 Ortschaften im Dezember aus; insgesamt waren es nur 4952 Quadratkilometer und 245 Ortschaften im Jahr 2025.

Die vom ISW angegebene, eroberte Fläche ist damit nur knapp doppelt so groß wie das kleinste deutsche Flächenland, das Saarland.

Insgesamt hält Russland – inklusive der Krim – seit 2014 ungefähr nur 20 Prozent des ukrainischen Gebiets besetzt. Dafür ließen einer aktuellen Schätzung der BBC zufolge seit 2022 zwischen 243.000 und 352.000 russische Soldaten ihr Leben. Dazu kommt ein Vielfaches an Verwundeten.

Die vom ISW identifizierten „übertriebenen Behauptungen über russische Erfolge“ beziehen sich auch auf die umkämpfte Stadt Kupjansk im Nordosten. Bereits im Oktober und November meldete Russland die Umzingelung beziehungsweise Eroberung der Stadt. Eine Falschbehauptung, der Selenskyj mit einem Video von vor Ort entgegentrat. Nun versprach ein russischer Kommandeur Putin offenbar eine Umzingelung bis Januar oder Februar.

„Eroberte“ Orte, die noch nicht erobert wurden

Bei dem Treffen wurde demnach auch die Eroberung der ukrainischen Ortschaften Dibrova, Drobysheve und Lukyanivske verkündet. Doch das ISW fand dafür keine Belege. Auch auf der Kriegskarte des militärnahen ukrainischen Blogs „DeepState“ sind die Orte nicht als besetzt verzeichnet.

Die Übertreibungen und Lügen der russischen Führung gehen offensichtlich so weit, dass selbst prorussische Militärblogger öffentlich widersprechen. Einer von ihnen sieht das jüngste Treffen zwischen Putin und seinen Generälen der ISW-Darstellung nach als Beleg für die Absicht des Kremls, den Krieg fortzuführen, anstatt einem Waffenstillstand zuzustimmen.

Moskau will den Eindruck einer zusammenbrechenden Front erwecken

Das naheliegende Kalkül Moskaus: Wenn sich im Westen, insbesondere bei Trump, der Eindruck einer baldigen Niederlage der Ukraine verfestigt, steigt die Bereitschaft zu Zugeständnissen gegenüber Russland. Beispielsweise könnte der Forderung nachgegeben werden, den kompletten Donbass aufzugeben. Einschließlich der vier ukrainischen „Festungsgürtel“-Städte in Donezk, die die letzte Verteidigungslinie in diesem Gebiet bilden.

Russland dagegen würde für eine Eroberung dieser Städte – Slowiansk, Kramatorsk, Druschkiwka und Kostjantyniwka – mindestens noch zwei bis drei Jahre benötigen, schätzt das ISW.

Es dürfte kein Zufall sein, dass Russland die eigenen militärischen Erfolge ausgerechnet dieser Tage übertreibt und noch dazu einen Drohnenangriff auf Putins Privatresidenz meldet, ohne dass es Belege gibt. Die Ukraine, die USA und Europa haben sich bei ihren Entwürfen für einen Friedensplan zumindest angenähert. Der Kreml jedoch versucht, die Trump-Regierung aus dem westlichen Bündnis zu lösen. Die Wahrheit spielt dabei offensichtlich keine Rolle.

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