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Proteste gegen Donald Trump in Orlando, Florida.

© IMAGO/NurPhoto

Fäkalien-Video zu „No Kings“-Protesten: Trumps Wähler irritiert das kaum

Die verstörenden Szenen vom Wochenende unterstreichen die politische Spaltung der US-Gesellschaft. Und es ist noch lange nicht klar, welches Lager die Oberhand gewinnt.

Christoph von Marschall
Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Stand:

Die Empörung ist riesig. Mit dem KI-generierten Fäkalien-Video, das Donald Trump über seine sozialen Netzwerke verbreitet, hat der Präsident ein Tabu gebrochen und seine demokratiefeindliche Grundhaltung erneut unter Beweis gestellt. So sieht es das eine Lager der US-Gesellschaft, links der Mitte.

Das andere Lager, rechts der Mitte, betrachtet es umgekehrt. Dort nehmen viele Bürger Trumps Provokationen nicht übel, viele begrüßen sie sogar. Aus ihrer Sicht zeigt der Präsident den linken, woken, abgehobenen „Amerika-Hassern“, wie die Macht- und wie die Mehrheitsverhältnisse sind – wenn auch mit drastischen Methoden, was nicht allen in diesem Lager gefällt.

Trump sitzt mit einer Königskrone auf dem Kopf in einem Kampfjet und lässt Scheiße auf die Demonstranten abregnen. Soll das heißen: Demokratie und freie Meinungsäußerung sind scheiße?

Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion.

Diese beiden Lager haben ganz unterschiedliche Perspektiven: nicht nur auf die „No-Kings“-Massenproteste vom Wochenende, sondern generell, was gerade in den USA vor sich geht: Gefährdet Trump Demokratie und Rechtsstaat? Oder rückt er die gesellschaftlichen Verhältnisse, die aus der Balance geraten und nach links gedriftet waren, wieder ins Gleichgewicht?

Kräftemessen um die Mobilisierungsfähigkeit

Für die meisten Beobachter in Deutschland und Europa ist das keine offene Frage. Es ist klar, wo ihre Sympathien stehen, wer hier Anstand und Vernunft auf seiner Seite hat. In den USA ist das nicht so klar.

Das Land erlebt gerade ein Kräftemessen der Mobilisierungsfähigkeit ein Jahr nach Trumps Wahlsieg und ein Jahr vor den Mid Term Elections, der Kongresswahl zur Mitte der Amtszeit Anfang November 2026. Es wird auf vielen Feldern parallel ausgetragen: Government Shutdown, Kampf um die Wahlkreiseinteilung, Einsatz der Nationalgarde in Großstädten – sowie Straßendemonstrationen wie die „No Kings“-Proteste. Und es ist offen, welches Lager die Oberhand gewinnt.

Am Wochenende sind landesweit etwa sieben Millionen US-Bürger auf die Straße gegangen, um gegen Trumps Amtsführung und seine demonstrative Missachtung der Gewaltenteilung zu protestieren. Er regiert mit Dekreten und ignoriert mitunter Gerichtsurteile. Ihr Schlachtruf: „No Kings“! Amerika ist keine Monarchie, sondern eine Republik, eine Demokratie, ein Rechtsstaat.

Trump hat als Reaktionen ein Spott-Video verbreitet: Er sitzt mit einer Königskrone auf dem Kopf in einem Kampfjet und lässt Scheiße auf die Demonstranten abregnen. Das ist geschmacklos. Soll das heißen: Demokratie und freie Meinungsäußerung sind scheiße? Warum wenden sich dennoch so viele Amerikaner dennoch nicht von ihm ab? Trump Umfragewerte sind nicht im Verfall. Eine Mehrheit der Bürger beurteilt die Lage des Landes weit besser als über den Großteil der Amtszeit Joe Bidens.

Sieben Millionen Demonstranten sind ein beeindruckendes Signal. Aber noch kein Beweis für die Mehrheitsfähigkeit der Demokraten.

Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion.

Sieben Millionen Demonstranten quer durch das riesige Land: Ist das viel? Es sind etwa zwei Prozent der Gesellschaft. Übertragen auf Deutschland: Wenn hier 1,7 Millionen Menschen protestieren würden, wäre das ein beeindruckendes Signal. Aber es ist noch kein Beweis für die Mehrheitsfähigkeit in landesweiten Wahlen.

Die Demokraten testen, ob und wie sie Menschen erreichen. Sie wollen ihren Anhängern Mut machen, indem sie die Konflikte mit Trump in ausgewählten Feldern suchen.

Wer ist Schuld am Government Shutdown?

Beim Ringen, wer die Schuld am Government Shutdown trägt, ist der Ausgang offen. Die Bürger ärgern sich über die Einschränkung der staatlichen Leistungen, geben aber beiden Seiten ungefähr gleich viel Schuld. Und: Bei den Republikanern ist der Anteil derer, die sich über den Shutdown aufregen, nur halb so hoch wie bei den Demokraten.

Im Kampf um die Wahlkreiseinteilung, das so genannte Gerrymandering, steht es derzeit unentschieden, mit leichten Vorteilen für die Republikaner. Sie haben mehr Möglichkeiten, ihre Ausgangsposition für die Kongresswahl 2026 auf diese Weise zu verbessern, als die Demokraten.

Demokratische Präsidenten haben die Bürgerrechtsreformen und das Ende der Rassentrennung in den 1960er Jahren gegen den Willen der Südstaaten mit Nationalgarde durchgesetzt.

Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion.

Trumps Einsatz der Nationalgarde in Großstädten, in denen die Demokraten dominieren, hat auch keine sichtbare Wende für das eine oder das andere Lager gebracht. So präzedenzlos, wie das linke Lager behauptet, sind Einsätze gegen den Willen der Gouverneure betroffener Bundesstaats auch nicht. Demokratische Präsidenten haben die Bürgerrechtsreformen und das Ende der Rassentrennung in den 1960er Jahren gegen den Willen der Südstaaten mit der Nationalgarde durchgesetzt.

Die Zwischenbilanz nach diesem Wochenende: Die Demokraten zeigen, dass sie ihre Basis nach der Niederlage 2024 mobilisieren können. Das ist wichtig, aber nicht ausreichend. Beim Nominierungsparteitag 2024 – nach dem Rückzug Joe Bidens von der Kandidatur und der Aufstellung Kamala Harris – hatten sie sich selbst ebenfalls begeistert.

Die Mehrheit der Wähler wollten ihnen bei der Wahl im November 2024 dennoch nicht die Macht anvertrauen. Das verhalf Trump zum Sieg.

Auf die zentrale Frage haben die Trump-Gegner in den USA, aber auch in Deutschland, noch keine Antwort gefunden: Woran liegt es eigentlich, dass Trump trotz all seiner unsäglichen Fehltritte immer noch so viel Unterstützung genießt? Zu viele betrachten die Demokraten als die noch schlechtere Wahl.

Die Demokraten sind weiter nicht populär. Sie müssen beweisen, dass sie nicht allein die höhere Moral reklamieren. Sondern die besseren Lösungen für die Alltagsprobleme der Bürger anbieten können.

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