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Festnahmen vor neuem Imamoglu-Prozess: Erdogan zieht die Daumenschrauben an
In der Türkei beginnen zwei weitere Prozesse gegen Erdogans Rivalen Imamoglu. Parallel setzt der Präsident auf neue Repressionen. Doch kann er so ein Ende der Proteste erzwingen?
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Ekrem Imamoglu sitzt seit mehr als drei Wochen im Gefängnis, die regierungstreue Justiz überzieht ihn mit Prozessen, doch der abgesetzte Bürgermeister von Istanbul und Präsidentschaftskandidat der türkischen Oppositionspartei CHP will sich nicht einschüchtern lassen.
„Wir werden siegen“, versprach Imamoglu in einem Grußwort an die erste Großveranstaltung der CHP seit zehn Tagen am Mittwochabend in Istanbul. „Du wirst verlieren“, fügte er an Präsident Recep Tayyip Erdogan gerichtet hinzu.
Der Optimismus verdeckt, dass die Opposition der Regierung bisher keine Zugeständnisse abringen konnte. Erdogan ist entschlossen, Imamoglu hinter Schloss und Riegel zu halten. An diesem Freitag steht Erdogans Rivale in zwei weiteren Prozessen vor den Richtern. Verhandelt wird in dem Gefängnis, in dem er einsitzt.
Der 53-jährige Imamoglu war am 19. März von der Polizei festgenommen und wenig später wegen Korruptionsvorwürfen inhaftiert und als Bürgermeister abgesetzt worden. Die Opposition und – den Umfragen zufolge – eine Mehrheit der türkischen Wähler glauben, dass politische Motive hinter der Verhaftung stehen.
Hunderttausende Menschen in der ganzen Türkei protestierten nach Imamoglus Verhaftung gegen die Regierung. CHP-Chef Özgür Özel nannte Erdogan bei der Protestveranstaltung im Istanbuler Stadtteil Sisli am Mittwochabend einen „Putschisten“ und den „Chef einer Junta“.

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Mit der Kundgebung in Sisli, an der Zehntausende Menschen teilnahmen, setzte die CHP ihre Proteste gegen Imamoglus Verhaftung fort, die sie Ende März wegen der Ferien am Ende des Fastenmonats Ramadan unterbrochen hatte. An diesem Samstag will die Opposition in der Schwarzmeerstadt Samsun demonstrieren, am Mittwoch kommender Woche wieder in Istanbul. Der Meinungsforscher Semih Turan sagte der Zeitung „Korkusuz“, viele unentschlossene Wähler würden sich wegen des Umgangs der Regierung mit Imamoglu der Opposition zuwenden.
Erdogan setzt auf Abflauen der Proteste
Allerdings stehen die nächsten Wahlen erst im Jahr 2028 an. Zudem verliert Erdogans Partei AKP in den Umfragen zwar an Boden, verzeichnet bisher aber keinen katastrophalen Einbruch. In einer neuen Befragung des Instituts ALF liegt die CHP mit knapp über 32 Prozent nur etwa 1,5 Prozentpunkte vor der AKP.

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Erdogan setzt darauf, dass der Schwung der Proteste nachlassen wird. Die Justiz verstärkt zudem den Druck auf Regierungsgegner. Am Donnerstagmorgen wurden die beiden prominenten Journalisten Murat Agirel und Timur Soykan festgenommen.
Die Behörden erklärten zwar, die Festnahmen hätten nichts mit den politischen Ansichten der Journalisten zu tun, sondern mit dem Vorwurf von Bedrohung und Erpressung im Zusammenhang mit dem Verkauf eines Fernsehsenders. Oppositionspolitiker nannten die Festnahmen dagegen einen Versuch, regierungskritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.
Imamoglu drohen viele Jahre Haft
Auch gegen Imamoglu laufen mehrere Verfahren. Zwei Prozesse – einer wegen angeblicher Manipulation einer Ausschreibung, der andere wegen Verdachts auf Beleidigung eines Staatsanwaltes – werden an diesem Freitag im Gefängnis von Silivri bei Istanbul verhandelt, in dem Imamoglu seit März sitzt.

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In den Verfahren fordern die Staatsanwälte jeweils bis zu sieben Jahre Haft und ein Politikverbot für Imamoglu. In einem früheren Strafprozess war Imamoglu bereits wegen Beleidigung von Mitgliedern der Wahlkommission zu einem Politikverbot verurteilt worden, doch die Urteile der Berufungsinstanzen stehen noch aus.
Seit seiner Festnahme wird Imamoglu außerdem Korruption und Zusammenarbeit mit der Terrorgruppe PKK vorgeworfen. Erdogan beschuldigt die CHP, sie wolle mit den Protesten verhindern, dass die Missstände in der Istanbuler Verwaltung aufgedeckt werden. Der Versuch werde aber scheitern, sagte der Präsident. Die Justiz sei verpflichtet, „diese schmutzigen Hände zu brechen“.
Auch politisch setzt Erdogan die CHP unter Druck. Der Präsident lud Vertreter der legalen Kurdenpartei DEM zu Gesprächen am Donnerstag ein – das erste solche Treffen seit 13 Jahren. Auf der Tagesordnung stand der neue Versuch zur friedlichen Beilegung des Kurdenkonflikts.
Der inhaftierte PKK-Gründer Abdullah Öcalan hatte seine Organisation im Februar zur Selbstauflösung aufgerufen. Unklar ist bisher, welche Zugeständnisse der türkische Staat den Kurden im Gegenzug machen will. Erdogan braucht die Zustimmung der Kurdenpartei, um sich eine neue Präsidentschaftskandidatur für 2028 zu ermöglichen.
Weil der Friedensprozess für die DEM das wichtigste Thema ist, hält sie sich bisher mit Unterstützung für die CHP und Imamoglu zurück. „Kurdenvertreter handeln eigenständig statt im Konzert mit anderen Oppositionsgruppen“, sagt Berk Esen von der Sabanci-Universität in Istanbul. Das mache die Bemühungen der Regierungsgegner „komplizierter“, sagte Esen dem Tagesspiegel. Das ist ganz im Sinne Erdogans.
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