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EU-Ratspräsident Charles Michel telefonierte mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev.

© Imago/Monassex/Andia

Update

Scharfe Kritik an Aserbaidschan : EU fordert Sicherheitsgarantien für Armenier in Berg-Karabach 

Nach dem Militäreinsatz Aserbaidschans in der Kaukasusregion sorgt sich Brüssel um die Armenier und sucht nach Möglichkeiten, Druck auf Baku auszuüben. Aber die Lage ist für die EU heikel.

| Update:

Nach dem vorläufigen Ende der Kämpfe in der umstrittenen Kaukasus-Region Bergkarabach strebt Aserbaidschan nach eigenen Angaben eine „friedliche Wiedereingliederung“ des mehrheitlich von Armeniern bewohnten Gebiets in sein Territorium an. Die EU fordert Sicherheitsgarantien für die dort lebenden Armenier.

EU-Ratspräsident Charles Michel habe in einem Telefonat mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev deutlich gemacht, dass dessen Land sicherstellen müsse, dass ethnische Armenier respektiert würden und eine Zukunft in Aserbaidschan hätten, sagte ein ranghoher EU-Beamter am Donnerstag. Für diejenigen, die Berg-Karabach verlassen wollten, müssten Bedingungen für eine sichere und freiwillige Ausreise geschaffen werden.

Zur Positionierung Aliyevs in dem Gespräch sagte der Beamte, dieser habe eine internationale Vermittlung in dem Konflikt abgelehnt und nochmals bekräftigt, dass der Militäreinsatz gerechtfertigt gewesen sei. Aserbaidschan sei demnach nun daran interessiert, die „Wiedereingliederung“ des Gebiets fortzusetzen und würde eine Amnestie für diejenigen in Erwägung ziehen, die ihre Waffen niedergelegt hätten.

Ilham Alijew, Präsident von Aserbaidschan, verteidigt den Militäreinsatz gegen die Armenier.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Zu einer möglichen Antwort der EU auf die Entwicklungen sagte Michel nach Angaben des Beamten, es habe bereits Diskussion über unterschiedliche Optionen gegeben. Die Mittel, die die Regierung in Aserbaidschan genutzt habe, seien schlicht und einfach inakzeptabel.

Auch Putin ermahnt den Präsidenten von Aserbaidschan

Ob zu den bereits besprochenen Handlungsoptionen auch Strafmaßnahmen zählen, blieb unklar. Das Thema ist für die Brüssel brisant, weil die EU eigentlich die Gasgeschäfte mit dem Land weiter ausbauen will, um sich unabhängig von russischen Energielieferungen zu machen. Nach einer im Sommer 2022 von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Präsident Aliyev unterzeichneten Absichtserklärung soll die Liefermenge für die EU ab 2027 mindestens 20 Milliarden Kubikmeter pro Jahr betragen.

Auch der russische Präsident Wladimir Putin forderte Alijew am Donnerstag auf, die Rechte der Armenier in der Kaukasus-Region Berg-Karabach zu respektieren. „Wladimir Putin hat betont, wie wichtig es ist, die Rechte und die Sicherheit der armenischen Bevölkerung von Karabach zu gewährleisten“, erklärte der Kreml zu einem Telefongespräch zwischen den beiden Staatschefs.

Alijew entschuldigte sich den Kreml-Angaben zufolge für den Tod von russischen Soldaten am Vortag in Berg-Karabach. Der aserbaidschanische Präsident habe zudem „sein tiefes Beileid“ angesichts des „tragischen Todes von Soldaten des russischen Friedenskontingent in Karabach am 20. September“ ausgesprochen, erklärte der Kreml.

Aliyev habe eine genaue Aufklärung des Vorfalls zugesagt, teilte der Kreml mit. Ein Auto mit den russischen Soldaten war am Vortag bei dem Ort Dschanjatag unter Feuer geraten. Offiziell wurde die Zahl der Toten nicht genannt; einige russische Medien sprachen von vier getöteten Soldaten. Russland hat 2000 Soldaten in Berg-Karabach stationiert, die einen 2020 vermittelten Waffenstillstand überwachen sollten.

Das Thema Berg-Karabach ist für die Brüssel brisant, weil die EU eigentlich die Gasgeschäfte mit Aserbaidschan weiter ausbauen will.

© AFP/Paz Pizzaro und Robin Bjalon

Aliyev hatte am Mittwochabend in einer TV-Ansprache gesagt, es sei der Regierung in Baku gelungen, nach dem Militäreinsatz gegen proarmenische Kämpfer die „Souveränität wiederherzustellen“.

Wenige Stunden zuvor hatten Baku und proarmenische Kämpfer sich auf eine Waffenruhe geeinigt. Die De-facto-Behörden von Bergkarabach erklärten, Verhandlungen mit Baku über die Integration der Region in das Nachbarland Aserbaidschan akzeptiert zu haben.

Armenier zu Verhandlungen in Aserbaidschan eingetroffen

Am Donnerstag trafen die Karabach-Armenier zu Gesprächen in der aserbaidschanischen Stadt Yevlax ein. Der armenischen Delegation gehöre unter anderem der Parlamentsabgeordnete David Melkumjan aus der international nicht anerkannten Republik Berg-Karabach (Arzach) an, meldete die armenische Nachrichtenagentur Armenpress.

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau vom Mittwochabend hielt die Waffenruhe in Bergkarabach indes weiterhin. Die russischen Friedenstruppen hätten im Rahmen einer Evakuierungsaktion 3154 Menschen in Sicherheit gebracht, darunter 1428 Kinder. Am Mittwoch meldete das Verteidigungsministerium jedoch auch, mehrere russische Soldaten der Friedenstruppen seien nahe der Ortschaft Tschanjatag unter Beschuss geraten und getötet worden.

Armenien meldete wiederum am späten Mittwochabend einen Zwischenfall an der Grenze zu Aserbaidschan. Aserbaidschanische Armee-Einheiten hätten mit „leichten Waffen“ auf armenische Vorposten nahe dem Dorf Sotk geschossen, erklärte das Verteidigungsministerium.

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Der aserbaidschanische Staatschef Alijew erklärte in seiner Fernsehansprache, die „illegalen armenischen Einheiten“ hätten bereits mit dem „Rückzug von ihren Stellungen“ begonnen.

Langjähriger Konflikt um Berg-Karabach

Am Dienstag hatte Aserbaidschan nach Wochen eskalierender Spannungen einen groß angelegten Militäreinsatz in der Kaukasusregion gestartet. Stepanakert sowie weitere Städte standen nach Angaben der Behörden von Bergkarabach unter „intensivem Beschuss“.

Nach armenischen Angaben wurden dabei 32 Menschen getötet, 200 weitere wurden demnach verletzt. Ein Vertreter der selbsternannten Republik Bergkarabach sprach hingegen von „mindestens 200 Getöteten und 400 Verletzten“.

Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, in dem Gebiet leben aber überwiegend Armenier. 1991 hatte sich Bergkarabach nach einem international nicht anerkannten und von der aserbaidschanischen Minderheit boykottierten Referendum für unabhängig erklärt. Der nun gebrochene Widerstand der pro-armenischen Kräfte in Bergkarabach stellt einen bedeutenden Sieg für Alijew dar.

Aserbaidschan und Armenien streiten seit dem Zerfall der Sowjetunion um die Enklave und hatten sich deshalb bereits zwei Kriege geliefert, zuletzt im Jahr 2020. Damals hatte das traditionell mit Armenien verbündete Russland nach sechswöchigen Kämpfen mit mehr als 6500 Toten ein Waffenstillstandsabkommen vermittelt, das Armenien zur Aufgabe großer Gebiete zwang.

Beobachter befürchten nun, dass ein erheblicher Teil der 120.000 armenischen Bewohner das Gebiet nun verlassen könnte. Auf in lokalen Medien verbreiteten Bildern war eine Menschenmenge vor dem Flughafen der von pro-armenischen Kräften kontrollierten Hauptstadt Stepanakert zu sehen. Das Weiße Haus äußerte am Mittwoch Besorgnis hinsichtlich der humanitären Lage in Bergkarabach.

In Armenien regte sich unterdessen lautstarker Protest gegen den Umgang der Regierung mit der Krise. Demonstranten in der Hauptstadt Eriwan warfen Steine und Flaschen auf Polizisten. Die Sicherheitskräfte setzten Blendgranaten ein und nahmen mehrere Menschen fest.

Die Demonstranten hatten sich vor dem Büro von Regierungschef Nikol Paschinjan versammelt. Sie werfen der Regierung vor, die mehrheitlich armenische Bevölkerung der selbsternannten Republik Bergkarabach im Stich gelassen zu haben. (dpa, AFP)

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