
© REUTERS/GIL COHEN-MAGEN
Geheimdienstchef beschuldigt Netanjahu: Sollte Ronen Bar für Israels Premier Regierungsgegner bespitzeln?
Der Schin-Bet-Chef erhebt schwere Vorwürfe: Israels Regierungschef habe versucht, den Nachrichtendienst für persönliche Zwecke zu missbrauchen. Netanjahus Kritiker fürchten um die Demokratie.
Stand:
Die Aussagen haben es in sich. In seiner eidesstattlichen Aussage gegenüber Israels Oberstem Gericht machte Ronen Bar, Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Regierungschef Benjamin Netanjahu am Montag schwere Vorwürfe.
So soll dieser wiederholt versucht haben, den Schin Bet zu persönlichen Zwecken zu missbrauchen. Kritiker des Regierungschefs deuten die Aussage als Alarmsignal: Netanjahu untergrabe systematisch Israels demokratische Fundamente.
Die Unterstützer des Premiers dagegen sehen Bars Vorwürfe als weiteren Versuch seitens des „tiefen Staates“, einen demokratisch legitimierten Regierungschef zu stürzen.
Der Konflikt ist auch deshalb so brisant, weil Netanjahu Mitte März die Entlassung Bars verkündet hatte – und die höchsten Richter nun darüber entscheiden sollen, ob dabei alles mit rechten Dingen zugegangen ist.
Zwar ist es einem israelischen Regierungschef grundsätzlich gestattet, den Chef des Schin Bet zu feuern. Im Raum steht jedoch der Verdacht eines Interessenkonflikts.
Geheimdienst ermittelt wegen Katargate
Denn unter Bar ermittelt der Inlandsnachrichtendienst in der sogenannten Katargate-Affäre gegen zwei enge Mitarbeiter des Premiers, die parallel zu ihrer Arbeit für Netanjahu Öffentlichkeitsarbeit für den Golfstaat Katar gemacht haben sollen.
Außerdem gibt es prozedurale Einwände. Das Oberste Gericht hat die Entlassung deshalb ausgesetzt. Bar selbst hat bereits vor Wochen klargemacht, dass seiner Meinung nach seine Entlassung von „unangemessenen Erwägungen und persönlichen und institutionellen Interessenkonflikten allerhöchsten Grades geprägt“ sei.
In der am Montag in Auszügen öffentlich gewordenen Erklärung legte Bar nun nach. Während seiner Zeit an der Spitze des Schin Bet habe Netanjahu ihn dazu aufgefordert, regierungskritische Aktivisten zu bespitzeln.

© AFP/Moti Kimchi
Ferner soll der Ministerpräsident versucht haben, mit Bars Hilfe seinen eigenen Gerichtsprozess wegen Verdacht auf Bestechung, Betrug und Untreue zu verschieben.
Demnach habe Netanjahu den Geheimdienstmann „auf ungewöhnliche und wiederholte Weise“ dazu gedrängt, ein Schreiben zu unterzeichnen, laut dem Netanjahu aus Sicherheitsgründen nicht vor Gericht erscheinen könne.
Netanjahu attackiert den Schin-Bet-Chef
Schließlich soll Bar vom Premier aufgefordert worden sein, sich im Falle einer Verfassungskrise dem Willen des Premiers zu beugen – und nicht etwa einem womöglich anderslautenden Urteil des Obersten Gerichts.
Langjährige Kritiker Netanjahus fühlen sich bestätigt. Er kenne „Hundert bis 200 hochrangige Vertreter der Sicherheitsdienste“, schrieb der Kolumnist Ben Caspit in der konservativen „Jerusalem Post“, die die „Arbeitsweise, Motive und Handlungen des Mannes, der versucht, Israel in eine Diktatur zu verwandeln“, ebenso sähen wie Ronen Bar.
Netanjahu selbst wies die Anschuldigungen scharf zurück – und erhob seinerseits heftige Vorwürfe gegen den Geheimdienstler.
Hätte Bar in der Nacht auf den 7. Oktober 2023, dem Tag des mörderischen Hamas-Angriffs, den Ministerpräsidenten und den Verteidigungsminister rechtzeitig geweckt, „dann hätte das Massaker möglicherweise vermieden werden können“, hieß es in einem Statement seines Büros.
„Die Aufregung dient beiden Seiten des politischen Spektrums“, sagt Yonatan Freeman, Politikwissenschaftler an der Hebräischen Universität in Jerusalem. „Netanjahus Kritiker nehmen Bars Äußerungen als weiteren Beleg dafür, dass Netanjahu zurücktreten müsse. Netanjahus Unterstützer dagegen sehen darin einen weiteren Beweis dafür, dass viele Vertreter des Sicherheitsapparates eine politische Agenda verfolgen.“
Mit einer Verfassungskrise rechnet Freeman im Gegensatz zu anderen Experten nicht. Sollte das Gericht entscheiden, dass Bars Entlassung nicht rechtens war, werde sich die Regierung dem Urteil beugen, glaubt der Experte.
Der Realitätstest steht jedoch noch aus. Manche Minister der rechts-religiösen Regierung haben bereits gedroht, sich in einem solchen Fall dem Gericht zu widersetzen. Dann stünde Israels Demokratie vor einer noch nie dagewesenen Herausforderung.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: