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„Gender gap“ bei Wahl zwischen Trump und Harris: Entscheidend werden die Wählerinnen sein
Prognosen traut sich bei diesem Kopf-an-Kopf-Rennen ums Präsidentenamt in den USA niemand mehr zu. Werden die Frauen bei dieser Schicksalswahl Geschichte schreiben?

Stand:
Die Ausgangslage ist eigentlich klar. Von zwei Kandidaten ist einer ein verurteilter Straftäter, ein notorischer Lügner, Putschist, Frauenbelästiger, Betrüger und Wissenschaftsleugner. Ein Narzisst, der Diktatoren mehr abgewinnen kann als traditionellen Verbündeten und vor dem Heerscharen ehemaliger Mitarbeiter und Vertrauter in immer schrilleren Tönen warnen.
Zur Wahl steht in Donald Trump ein Kandidat, der noch nicht einmal ein Geheimnis daraus macht, was er in einer zweiten Amtszeit alles anzurichten gedenkt. Der Republikaner will Massenabschiebungen samt Internierungslagern, horrende Strafzölle auch für Verbündete, sich die Justiz unterordnen, die Ukrainer zu einem Waffenstillstand zwingen. Und er will Rache nehmen an all jenen, die sich in den vergangenen vier Jahren gegen ihn gestellt haben.
Die amerikanischen Wähler wissen von alldem, von den Sorgen, dass die amerikanische Demokratie durch eine Rückkehr Trumps ernsthaft Schaden nimmt. Die Frage ist, ob eine Mehrheit bereit ist, diese Sorgen ernst zu nehmen. Oder ob allzu viele mit den Schultern zucken und sagen: Wird schon alles nicht so schlimm. Hauptsache, die Wirtschaft läuft.
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Mindestens seine Partei scheint so zu denken. Warum sonst können Anhänger bei Wahlkampf-Events vermeintlich lustige T-Shirts kaufen, auf denen „Felon“, Schwerverbrecher, steht? Und warum sonst haben sich fast alle Republikaner, die noch etwas werden wollen, für ihn als Kandidaten ausgesprochen?
Kamala Harris wiederum setzt darauf, dass sie genügend Wähler vom Ernst der Lage überzeugen kann – und davon, dass sie, obwohl erst seit Juli und ohne parteiinternen Auswahlprozess im Rennen, die richtige Alternative ist. Genauer: Sie hofft darauf, dass genügend Wählerinnen motiviert sind, für sie und gegen Trump zu stimmen.
Mobilisiert das Thema Abtreibung genug?
Denn immer klarer wird: Es sind die Frauen, die diese Wahl entscheiden und die erste Madam President ins Weiße Haus schicken könnten. Celinda Lake, eine der renommiertesten demokratischen Strateginnen, drückt es so aus: Harris müsse mehr Frauen gewinnen, als Männer zu verlieren.
Der „Gender gap“, also die Kluft zwischen dem Abstimmungsverhalten von Frauen und Männern, ist bei dieser Wahl besonders groß. Das folgt schon aus der Tatsache, dass eine Frau antritt. Aber entscheidend könnte werden, wie groß die Wut über rigide Abtreibungsverbote mit teils katastrophalen Folgen noch ist.
Manchen Umfragen der letzten Tage zufolge mobilisiert das Thema weiter enorm, und die Demokraten können sich Hoffnung machen, dass die Frauen ihre Kandidatin tatsächlich über die Ziellinie tragen. Aber Prognosen traut sich angesichts des historisch knappen Kopf-an-Kopf-Rennens kaum ein seriöser Umfrage-Experte mehr zu.
Ohnehin bedeutet ein Ergebnis noch nicht, dass die andere Seite dieses auch anerkennt. Das haben die USA vor vier Jahren schmerzlich erfahren. Die Bereitschaft, es dieses Mal zu tun, scheint eher noch zurückgegangen zu sein.
Die tiefe Polarisierung, die dahintersteht, ist eine große Belastung für die nächste Regierung – egal, wer die Wahl gewinnt. Harris sagt, sie sei davon überzeugt, „dass das amerikanische Volk bereit ist, ein neues Kapitel aufzuschlagen“. Die Frage ist nur, ob die Wähler ihr diese Aufgaben zutrauen.
Ihr kurzer Wahlkampf war beeindruckend: diszipliniert, weitgehend fehlerfrei und für viele inspirierend. Doch die Unzufriedenheit der Wähler mit der Biden-Harris-Regierung ist groß, vor allem wenn es um die Themen Wirtschaft und Migration geht. 70 Prozent der Amerikaner meinen, ihr Land bewege sich in die falsche Richtung. Sie wollen „change“, etwas anderes.
Trump ist historisch schwacher Kandidat
Auch in anderen Ländern stimmten unzufriedene Wähler in diesem Jahr für „change“ und gegen die Amtsinhaber. Harris’ Aufgabe war daher schier unlösbar: Sie sollte den Wandel verkörpern, obwohl sie selbst als Status quo wahrgenommen wird.
Die Wahl 2024, so sagen Experten, ist eine, die eigentlich ein Republikaner gewinnen sollte. Der Hauptgrund, warum das Rennen überhaupt so knapp wurde, ist demnach, dass Trump ein historisch schwacher Präsidentschaftskandidat war.
Und dennoch werden am Dienstag um die 75 Millionen Amerikaner für ihn gestimmt haben, vor allem Männer. Schon bald wird die Welt wissen, ob das für eine zweite Amtszeit reicht. Oder ob Amerikas Wählerinnen dieses Mal tatsächlich Geschichte schreiben.
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