
© REUTERS/Vyacheslav Prokofyev
Hat Russland seine letzte Chance auf den Sieg vertan?: Moskaus Ukraine-Offensive ist gescheitert – sagt ein Experte
Viel zu hohe Verluste und die meisten Ziele weit verfehlt: Ex-General Mick Ryan rechnet mit der russischen Besatzungsarmee ab. Erfolge macht er nur wenige aus.
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Der hochrangige australische Ex-General Mick Ryan beobachtet den Ukrainekrieg seit Beginn an. Nun hat er auf X und in einem ausführlichen Blogeintrag dargelegt, warum die russische Armee in den vergangenen sechs Monaten aus seiner Sicht gescheitert ist – obwohl die erfolglose Gegenoffensive der Ukrainer von 2023 die Chance bot, dem überfallenen Land den vernichtenden Schlag zu versetzen.
Um ein Scheitern zu beschreiben, muss erst mal klar sein, was überhaupt die Ziele waren. Stück für Stück geht Ryan in seiner Analyse die russische Zielsetzung durch, die territoriale, taktische und propagandistische Punkte umfasst. Er bescheinigt Russland einen Landgewinn von nur 513 Quadratkilometern – zum Preis enormer Verluste.
„Schlechte Investitionsrendite“ für die russische Armee
Von Anfang an führte die Armee von Wladimir Putin einen verlustreichen Krieg mit der Taktik, schlecht ausgebildete Soldaten massenweise in den sicheren Tod zu schicken. Ryan geht nun für die jüngste Kriegsphase von 180.000 toten oder verwundeten Männern aus, denen ein vergleichsweise geringer Geländegewinn gegenüberstehe. Er spricht zynisch von einer „schlechten Investitionsrendite“ für die russische Armee.
Der Ukraine gelingen immer wieder Gegenschläge
Außerdem hebt der Ex-General hervor, dass es den Invasoren nicht gelungen ist, ukrainische Angriffe auf russisches Gebiet zu unterbinden. Immer wieder treffen ukrainische Drohnen russische Militärbasen und die Öl-Infrastruktur. Längst wird der Krieg also nicht allein auf dem Boden der Ukraine ausgetragen. Auch die seit 2014 von Russland völkerrechtswidrig besetzte Krim ist das Ziel ukrainischer Raketen, ohne dass Russland bisher eine effektive Verteidigung auf die Beine gestellt habe, so Ryan. Auf der Krim befinden sich Militärbasen, darunter das Hauptquartiert der russischen Schwarzmeerflotte.
Die Einschätzung des Experten zeichnet ein verheerendes Bild der militärischen Leistung Russlands, insbesondere vor dem Hintergrund der eklatanten ukrainischen Nachschubprobleme im dritten Kriegsjahr. Zunehmend fehlt es den Verteidigern an Munition und auch an Personal, während gleichzeitig ein Mangel an Luftverteidigungssystemen und Langstrecken herrscht.
Was Russland für sich verbuchen kann
Doch der russischen Seite werden von Ryan auch Erfolge bescheinigt. Dazu gehöre eine Lernfähigkeit, die sich etwa darin zeige, unterschiedliche Drohnen und Raketen für die Luftangriffe auf ukrainische Städte und Energieinfrastruktur zu nutzen. Dagegen hat die Ukraine bisher keine verlässliche Verteidigung gefunden, das Land leidet in der Folge unter regelmäßigen Stromausfällen.
Auch die von ukrainischer Seite oft verspotteten russischen „Schildkröten-Panzer“ mit improvisiertem Drohnenschutz seien ein Beleg dafür, dass die russische Armee dazulerne. Nicht zu unterschätzen seien zudem das Streuen von Falschinformationen und Propaganda im Internet, von dem sich Russland eine Spaltung der ukrainischen und der westlichen Gesellschaft verspricht, mit dem Ziel ausbleibender Unterstützung für die Ukraine. Maßnahmen im Rahmen dieses Informationskrieges würden durch den russischen Staat mit hohen Summen gefördert.
Hat Russland seine letzte Chance vertan?
Was bedeutet die Einschätzung von Mick Ryan für den weiteren Kriegsverlauf? Der Experte schreibt: „Russland scheint seine vielleicht letzte Chance, der Ukraine in diesem Krieg einen entscheidenden Schlag zu versetzen, vertan zu haben.“
Das Fazit ist auffällig vorsichtig formuliert, vermutlich weil Ryan mit einer gewichtigen Variablen kalkulieren muss, der westlichen Unterstützung für die Ukraine. Bricht sie weg, bekommt Putin die nächste Chance für den „entscheidenden Schlag“.
Entsprechend wichtig dürften für den russischen Präsidenten zwei kommende internationale Ereignisse sein: der NATO-Gipfel ab 9. Juli in Washington und vor allem die US-Präsidentenwahl, bei der Donald Trump Chancen auf den Wiedereinzug ins Weiße Haus hat – mit der möglichen Folge, dass er die Unterstützung für die Ukraine beendet.
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