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Indien bombardiert Ziele in Pakistan: Bricht hier zwischen Atommächten der nächste große Krieg aus?
Als Vergeltung für einen Anschlag auf Touristen im Kaschmir-Tal hat Indien neun terroristische Ziele in Pakistan angegriffen. Das Land droht seinerseits mit Konsequenzen. Experten sind besorgt.
Stand:
Quid pro quo plus eins obendrauf – so lässt sich salopp die Eskalation im Konflikt zwischen Indien und Pakistan zusammenfassen. Was harmlos klingt, könnte weitreichende Folgen haben. International wächst die Sorge wegen einer möglichen Eskalation zwischen den beiden Atommächten.
Antworten auf die wichtigsten Fragen zur Lage.
1 Was ist passiert?
Das indische Militär hat nach eigenen Angaben bei Raketenangriffen neun mutmaßliche Lager von Terroristen in Pakistan zerstört. Medienberichten zufolge wurde auch mindestens eine Moschee angegriffen, die eine Kommandozentrale der Terrororganisation Lashkar-e-Taiba gewesen sein soll. Die Zahl der Todesopfer beläuft sich nach pakistanischen Angaben auf mindestens 26 Menschen. Pakistans Militär erklärte seinerseits, fünf indische Kampfjets abgeschossen zu haben.
„Indien hat sich bei den Zielen auf terroristische Infrastruktur konzentriert“, sagt Christian Wagner, Regionalexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). „Besonders auffällig ist aber der Schlag in der Stadt Muridke in Punjab. Dort soll sich nämlich das Hauptquartier von Lashkar-e-Taiba befinden. Das deutet darauf hin, dass Indien auch die Drahtzieher des Anschlags verfolgen und bekämpfen will.“
2 Was ist der Anlass der jüngsten Eskalation?
Hintergrund des Angriffs ist ein Terroranschlag in der Touristenstadt Pahalgam in der indischen Provinz Kaschmir Ende April, bei dem 25 indische Staatsbürger getötet wurden. Eine Splittergruppe der Lashkar-e-Taiba hatte sich dazu bekannt.
Indiens Außenminister Vikram Misri sagte der indischen Nachrichtenagentur PTI am Mittwoch, der Angriff unter dem Codenamen „Operation Sindoor“ stehe im Einklang mit dem „Aufruf des UN-Sicherheitsrats zur Gerechtigkeit nach Pahalgam“. Der UN-Sicherheitsrat hatte am 25. April in einer Erklärung betont, dass die Täter, Organisatoren, Finanziers und Unterstützer des Anschlags in Pahalgam zur Rechenschaft gezogen und vor Gericht gestellt werden müssten.
Indien wirft der pakistanischen Regierung vor, anti-indische Terrororganisationen zu unterstützen. Konkret gibt es Vermutungen, dass die Mutterorganisation angeblich auch mit Strömungen innerhalb des pakistanischen Militärs vernetzt sein soll. Pakistan bestreitet solche Verbindungen.
Pakistanische Sicherheitskreise unterstellen wiederum Indien, die Aufstandsbewegung in Belutschistan indirekt zu unterstützen. Diese hatte Mitte März den „Jaffa-Express“ entführt und 400 Passagiere als Geiseln genommen. Neu-Delhi weist diese Verbindungen entschieden zurück.
3 Wie reagiert Pakistan?
In der pakistanischen Hauptstadt Islamabad trat der Nationale Sicherheitsrat zusammen, um über Vergeltungsschläge zu beraten. Zuvor hatte Premierminister Shehbaz Sharif das Recht seines Landes betont, Indien nach dessen Angriffen eine angemessene Antwort zu geben, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Associated Press of Pakistan (AAP). „Der Feind hat in Pakistan feige Angriffe verübt, und wir sind bereit, auf diesen uns aufgezwungenen Kriegsakt angemessen zu reagieren“, sagte Sharif.
Pakistans Verteidigungsminister Khawaja Muhammad Asif hatte bereits vergangene Woche erklärt, Pakistan sei in höchster Alarmbereitschaft, würde seine Atomwaffen jedoch nur einsetzen, „wenn eine direkte Bedrohung unserer Existenz besteht“.
4 Wie groß ist die Gefahr eines Krieges?
Eigentlich können sich beide Länder keinen offenen Krieg leisten, darin sind sich die Experten einig. „Die Gefahr einer Eskalation ist jetzt deutlich höher als etwa 2019, als es bereits Spannungen zwischen Indien und Pakistan gab. Diesmal wurden mehr Ziele umfassender attackiert“, sagt Wagner.

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Hinzu kommt ihm zufolge das große Problem, dass Pakistan – anders als Indien – bei einem Gegenschlag nur indische Militärstützpunkte angreifen könnte. „Bislang haben sich Indiens Angriffe auf terroristische Infrastruktur beschränkt“, erklärt der Experte für beide Länder. „Aber greift Pakistan die indische Armee an, so könnte sich Indiens nächster Schlag auch gegen pakistanische Militäreinheiten richten – und dann befinden wir uns in einer kritischen Eskalationsspirale.“
5 Wer könnte vermitteln?
Die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien sind in der besten Position, um zu vermitteln, und bereits im Austausch mit den Konfliktparteien. Beide Staaten sind traditionell Verbündete Pakistans, haben aber in den vergangenen Jahren ihre Beziehungen zu Indien massiv verbessert.
Beide gehören zu den wichtigsten Öllieferanten des Landes. Am Tag des Angriffs im Kaschmir-Tal war Indiens Premierminister Narendra Modi zufällig gerade in Dschidda, um ein neues Abkommen mit den Saudis zu unterzeichnen.
Auch der Iran, der gute Beziehungen zu Indien unterhält, hat angeboten, zu vermitteln. Außenminister Abbas Araghtschi war aus diesem Grund am Montag nach Islamabad gereist.
Die Türkei könnte ebenfalls positiv Einfluss nehmen, da Präsident Recep Tayyip Erdogan gute Kontakte zu Pakistan pflegt – und beide Länder eine Militärpartnerschaft haben. Russland hingegen steht Indien näher, hat aber in jüngster Zeit seine diplomatischen Drähte zu Pakistan ausgebaut – und käme daher auch infrage.
Normalerweise käme auch den USA eine wichtige Rolle zu. Doch diese sind angesichts der wenig erfolgreichen „Vermittlungsversuche“ in anderen Konflikten, etwa in der Ukraine und im Nahen Osten, und Donald Trumps Interesse, sich vor allem innenpolitischen Themen zuzuwenden, als Verhandlungspartner derzeit weniger attraktiv. (Mit KNA, Reuters)
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