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Ist Tansanias Demokratie am Ende?: Wie eine Reform-Präsidentin zur Autokratin wurde
Die Hoffnung war groß, als die Reformerin Samia Suluhu Hassan vor vier Jahren die erste Präsidentin Tansanias wurde. Doch nun zeigt die Staatschefin ein anderes Gesicht.
Stand:
Die heiße Phase des Wahlkampfs dürfte sich Tundu Lissu anders vorgestellt haben. Anstatt durchs Land zu touren, sitzt der tansanische Oppositionsführer seit April im Gefängnis in Daressalam. Er ist wegen Hochverrats angeklagt. Darauf steht in Tansania die Todesstrafe.
Ob der 57-Jährige tatsächlich verurteilt wird, ist ungewiss. Gut möglich, dass er nach der Wahl im Oktober freikommt. Dennoch ist für seine Partei Chadema die Inhaftierung ihres Vorsitzenden ein schwerer Schlag.
Viel Hoffnung hatten seine Anhängerinnen und Anhänger auf ihn gesetzt, als der bekannte Rechtsanwalt im Januar 2023 aus dem belgischen Exil zurückkehrte – mit dem Ziel, die Macht der seit 1977 regierenden „Revolutionspartei“ CCM zu brechen. „Tansania ist, wo ich hingehöre“, sagte er damals im Interview mit dem Sender „Voice of Africa“.
Ermöglicht hatte seine Rückkehr Präsidentin Samia Suluhu Hassan, die erste Frau an der Spitze des 67 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Landes, das rund dreimal so groß ist wie die Bundesrepublik. Bei ihrem Amtsantritt 2021 hatte sie Reformen versprochen, die Pressefreiheit gestärkt und war auf Exilanten wie Lissu zugegangen.
„Mama Samia“, wie sie in Tansania respektvoll genannt wird, war auf den Autokraten John Magufuli gefolgt, einen beinharten Machtpolitiker (Spitzname: „Bulldozer“), der in der Covid-Pandemie Gebete als Mittel gegen das Coronavirus empfahl – und dann an einer nicht näher bestimmten „Lungenerkrankung“ starb. Von ihm hatte sich die Reformerin Samia größtmöglich abgegrenzt.

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Doch nun, wenige Monate vor der Wahl, zeigt sie ein anderes Gesicht – eines, das ihrem Vorgänger immer ähnlicher wird: Die Präsidentin lässt die Opposition bekämpfen, den Zugang zu Sozialen Medien einschränken, immer wieder gibt es Meldungen über willkürliche Verhaftungen. Sind die demokratischen Reformen in Tansania schon vorbei, bevor sie richtig begonnen haben?
Proteste, Verhaftungen und Mahnungen
„Die Öffentlichkeit in Tansania ist gespalten“, analysiert Politikwissenschaftler Harrison Kalunga Mwilima aus Tansania, Lehrbeauftragter an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. „Die Unterstützer der Präsidentin sagen, Tundu Lissu habe zur Rebellion aufgerufen und versuche, die Wahlen zu verhindern. Seine Anhänger hingegen sagen, seine Verhaftung sei eine typische Wahlkampfstrategie, um ihn an der Fortsetzung seiner Kampagne zu hindern.“
Aus dem Ausland, vom EU-Parlament bis zu Menschenrechtsorganisationen, kommen Ermahnungen, die tansanische Regierung möge sich an rechtsstaatliche Standards halten.
Die Öffentlichkeit in Tansania ist gespalten.
Harrison Kalunga Mwilima, Politikwissenschaftler
Im Inland protestieren vor allem junge Menschen gegen die Regierung. „CCM sind Mörder“, skandierten Tausende vor wenigen Tagen auf den Straßen der Hauptstadt Dodoma, die eigentlich als Hochburg der Regierungspartei gilt. Drei Funktionäre der Opposition wurden nach den Protesten verhaftet, meldete die Zeitung „The Citizen“ vor einigen Tagen.
Ein Aufruf zum Wahlboykott?
Ihre Partei Chadema – die Abkürzung steht für „Demokratie und Fortschritt“ – bezweifelt, dass die Wahlen im Oktober fair ablaufen werden. Sie fordert eine Entmachtung der CCM-gesteuerten Wahlkommission.
„Keine Reform, keine Wahlen“, lautet ihr Slogan, der als Hashtag im Netz weite Kreise zieht. Die Regierung sieht darin einen Aufruf zum Wahlboykott – was sie Chadema-Chef Lissu als „Hochverrat“ anlastet. Deswegen sitzt er im Gefängnis. Seine Partei ist von der Wahl inzwischen ausgeschlossen.

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„Es überrascht mich, dass die Regierung so allergisch auf ein Hashtag reagiert“, sagt Politikwissenschaftler Mwilima. „Ihre Basis hat die CCM auf dem Land, wo viele Menschen keinen Internetzugang haben.“
Doch die 65 Jahre alte Präsidentin hat guten Grund, die Jugend zu fürchten. Im Nachbarland Kenia gab es zuletzt heftige Proteste der „Generation Z“ gegen die Regierung in Nairobi, ebenfalls übers Internet organisiert.
Diese Stimmung verbreitet sich längst bis nach Tansania. Die Anwältin und ehemalige Justizministerin Kenias, Martha Karua, hat vor dem Gerichtshof der Ostafrikanischen Gemeinschaft Klage gegen die tansanische Regierung eingereicht. Sie wollte im Mai Chadema-Chef Lissu in der Haft besuchen, wurde aber am Flughafen aufgehalten und abgeschoben.
Bis zur Wahl geht es um den Machterhalt.
Harrison Mwilima, Politikwissenschaftler aus Tansania
Der kenianische Aktivist Boniface Mwangi erhebt ebenfalls schwere Vorwürfe gegen die tansanische Polizei. Er sei auf dem Weg zu Lissu von Polizisten verhaftet und vergewaltigt worden, sagte er Anfang Juni unter Tränen bei einer Pressekonferenz in Nairobi. „Wir wurden schlimmer behandelt als Hunde.“

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Forscher Mwilima will trotzdem die Hoffnung nicht aufgeben, dass sein Heimatland zu den von Präsidentin Samia einst versprochenen Reformen zurückfindet – nach der Wahl. „Sollte die Wahlbeteiligung im Oktober wie erwartet gering ausfallen, hätte sie ein Legitimationsproblem“, glaubt er.
„Das könnte die Präsidentin dazu bewegen, doch wieder den Reformkurs einzuschlagen. Bis zur Wahl geht es um den Machterhalt. In ihrer zweiten Amtszeit wird es aber auch darum gehen, welches politische Erbe sie hinterlassen will.“
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