
© AFP/Charly Triballeau
„Keine Randerscheinung mehr“: Knapp ein Viertel der US-Wähler hält politische Gewalt unter Umständen für gerechtfertigt
Eine neue Umfrage spiegelt die Zerrissenheit der Vereinigten Staaten wider. Ein Experte sieht Amerika in einer Ära des „gewalttätigen Populismus“, der auch den Mainstream erreicht habe.
Stand:
Die politischen Lager in den Vereinigten Staaten haben sich radikalisiert. Einer der bisher traurigen Höhepunkte der vergangenen Jahre ereignete sich am 6. Januar 2021, als ein vom Republikaner Donald Trump angestachelter Mob das Kapitol in der US-Hauptstadt gestürmt hatte und versuchte, die offizielle Bestätigung der Wahl des Demokraten Joe Biden zum neuen Präsidenten zu verhindern. Dabei wurden rund 140 Polizisten verletzt, als Folge des Angriffs kamen fünf Menschen ums Leben.
Eine neue Umfrage des US-Portals „Politico“ liefert nun ein aktuelles Stimmungsbild aus dem Land mit seinen rund 340 Millionen Einwohnern. Demnach erwartet eine Mehrheit (55 Prozent) der wahlberechtigten Menschen in den Vereinigten Staaten, dass die politische Gewalt weiter zunehmen wird.
Was derzeit geschieht, ist, dass die öffentliche Unterstützung für politische Gewalt in der Mainstream-Gesellschaft zunimmt.
Robert Pape, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Chicago
Diese Zahl unterstreiche, so lautet die Analyse der Autoren, wie sehr die Welle von Anschlägen – von der Ermordung des konservativen Aktivisten und Trump-Unterstützers Charlie Kirk Anfang dieses Jahres bis zu den Attentatsversuchen auf Trump im Jahr 2024 – die Nation erschüttert hätten.
Republikaner wie Demokraten erwarten politischen Mord
In der vom britischen Meinungsforschungsinstitut Public First durchgeführten Befragung wird die Ansicht demnach von einer Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger aller Geschlechter, Altersgruppen, Parteizugehörigkeiten und Bildungsniveaus geteilt. Anhänger der Demokraten und ältere Amerikaner äußerten sich besonders besorgt.
Mehr als die Hälfte der Befragten hält es demnach für sehr oder eher wahrscheinlich, dass in den nächsten fünf Jahren ein politischer Kandidat ermordet wird. Und diese Ansicht wird parteiübergreifend geteilt: 51 Prozent der Trump-Wähler und 53 Prozent der Menschen, die für die ehemalige Vizepräsidentin und demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris gestimmt hatten, pflichteten dieser Aussage bei.
Dies sei ein seltener, düsterer Konsens in einem Land, das von politischen und kulturellen Spaltungen zerrissen ist, heißt es in dem Bericht weiter.
Die Erhebung brachte noch eine beunruhigende Erkenntnis: Fast ein Viertel der Wählerinnen und Wähler (24 Prozent) ist der Meinung, dass politische Gewalt in bestimmten Fällen gerechtfertigt ist. Auch hier gab es kaum parteipolitische Unterschiede, aber einen starken Unterschied bei den Generationen: Jüngere waren deutlich häufiger als Ältere der Ansicht, dass politische Gewalt gerechtfertigt sein kann. Mehr als jeder dritte Amerikaner unter 45 Jahren stimmte dieser Ansicht zu.
Für zwei Drittel der US-Wähler ist Gewalt nie gerechtfertigt
Allerdings: Fast zwei Drittel der Befragten (64 Prozent) gaben in der nach der Kirk-Ermordung durchgeführten Erhebung an, dass politische Gewalt niemals gerechtfertigt ist.
Robert Pape, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Chicago, der sich seit drei Jahrzehnten mit politischer Gewalt befasst, warnt nicht mehr davor, dass das Land am Rande einer gewalttätigen Ära steht, wie er es noch vor fünf Monaten getan hat. „Wir stehen nicht am Rande davon, wir befinden uns mitten drin“, sagte Pape dem Portal und erklärte, das Land befinde sich in einer Ära des „gewalttätigen Populismus“.
Der Wissenschaftler sagte weiter: „Was derzeit geschieht, ist, dass die öffentliche Unterstützung für politische Gewalt in der Mainstream-Gesellschaft zunimmt. Es handelt sich nicht um eine Randerscheinung, und je mehr sie zunimmt, desto akzeptabler erscheint sie für labile Menschen.“
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„Politico“ verweist darauf, dass es schon vor der Ermordung Kirks und den Anschlägen auf den amtierenden Präsidenten eine Reihe von Aufsehen erregenden Angriffen und Drohungen gegen Mitglieder beider Parteien – im gesamten Land und auf allen Regierungsebenen – gegeben habe. Als Beispiele werden angeführt:
- Im Jahr 2022 eine Attacke auf die ehemalige demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, bei dem ihr Ehemann Paul Pelosi einen Schädelbruch erlitt
- Im selben Jahr das Attentatskomplott gegen den Richter am Obersten Gerichtshof, Brett Kavanaugh
- Im Jahr 2020 die geplante Entführung der demokratischen Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer
- Anfang 2025 der Brandanschlag auf das Haus des demokratischen Gouverneurs von Pennsylvania, Josh Shapiro
- Im Juni 2025 wurden die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses von Minnesota, Melissa Hortman, und ihr Ehemann in ihrem Haus von einem Mann erschossen, der sich als Polizist ausgab. Der demokratische Gouverneur Tim Walz bezeichnete den Angriff als „politisch motiviert”
Unter Verweis auf eine Umfrage von CivicPulse und der Bridging Divides Initiative der Princeton University aus diesem Jahr heißt es in dem Bericht weiter, auch lokale Amtsträger seien vermehrt Angriffen und Feindseligkeiten ausgesetzt – darunter Beleidigungen, Belästigungen und Drohungen.
Dies könne schädliche Auswirkungen auf die Demokratie haben, wird Shannon Hiller, Geschäftsführerin des überparteilichen Princeton-Projekts, zitiert: „Wenn Menschen aufgrund des feindseligen Klimas nicht bereit sind, zu kandidieren, hat das Auswirkungen darauf, wer uns letztendlich vertritt.“
Das Portal verweist zudem darauf, dass in einer im September durchgeführten Umfrage des Pew Research Center nach den Gründen für politische Gewalt in den vergangenen Jahren gefragt worden sei. Mehr als ein Viertel der Demokraten, 28 Prozent, nannten Trumps Rhetorik, die ihn unterstützende Bewegung Maga („Make America Great Again“) oder Konservative als Grund, während 16 Prozent der Republikaner die Rhetorik der Demokraten und Liberalen anführten.
Wie gespalten die Nation ist, zeige eine weitere Zahl: 41 Prozent der Amerikaner geben an, dass sie keinen engen Freund haben, der eine andere Partei wählt als sie selbst.
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