zum Hauptinhalt
Präsident Emmanuel Macron in Ajaccio bei einem dreitägigen Besuch im September 2023.

© action press/Raphael Lafargue/POOL/SIPA

Korsikas Traum von der Unabhängigkeit: Macron spricht erstmals von „Autonomie“ für die Insel

Frankreichs Präsident hat ein Tabu gebrochen, und bei einem Besuch von „Autonomie auf Korsisch“ gesprochen. Doch die Korsen selbst sind uneinig, wie weitgehend sie sich von Paris lösen wollen.

Die Idee ist 60 Jahre alt, wurde aber lange harsch zurückgewiesen: Ein autonom regiertes Korsika, das nicht komplett unabhängig vom französischen Zentralstaat wäre, aber weitreichende Kompetenzen für seine eigene Verwaltung bekäme.

Nun hat Präsident Emmanuel Macron die Tür zu Debatten über eine mögliche Umsetzung geöffnet. Während seines dreitägigen Besuches auf der „Insel der Schönheit“, wie sie in Frankreich gerne genannt wird, versprach er am Donnerstag „Autonomie auf Korsisch“.

Diese richte sich nicht gegen den Staat, sei nicht von ihm losgelöst, sondern bleibe „im Rahmen der Republik“. Auch wenn er nicht konkreter wurde, ist dies ein Erfolg für die regierenden gemäßigten Nationalisten in Korsika. Anders als die früheren Freiheitskämpfer des „Front de libération nationale corse“ (FLNC), die mitunter gewaltsam vorgingen, verlangen diese keine vollständige Unabhängigkeit.

„Einzigartigkeit“ des korsischen Volkes

Das Regionalparlament stimmte im Juli für einen Beschluss, der unter anderem die Forderungen nach einer Anerkennung der „Einzigartigkeit“ des korsischen Volkes, der Einführung von Korsisch als zweiter Amtssprache und einen speziellen Anwohner-Status enthielt.

Mit letzterem wollen sich die Einheimischen vor schwindelerregenden Immobilienpreisen schützen, die durch Insel-fremde Investoren in die Höhe getrieben werden. Ob dies mit französischem und europäischem Recht vereinbar wäre, ist fraglich.

Macron versprach nun immerhin eine „klare Geste der Anerkennung“ mithilfe eines eigenen Verfassungsartikels, der „die historischen, sprachlichen und kulturellen Besonderheiten der Insel-Gemeinschaft“ berücksichtige.

Als nächste Etappe sollen die korsischen Volksvertreter und die Pariser Unterhändler innerhalb von sechs Monaten einen Vorschlag als Basis für eine mögliche Verfassungsänderung ausarbeiten. Für eine solche ist die Zustimmung der beiden Parlamentskammern nötig.

350.000
Bewohner hat die französische Mittelmeerinsel Korsika

In der Nationalversammlung müsste sich Macron auf Stimmen der Linken stützen. Der Senat wiederum ist von den rechtsbürgerlichen Republikanern dominiert, die Autonomiebestrebungen skeptisch gegenüberstehen. Sie befürchten einen Angriff auf die in der Verfassung festgeschriebene „Einheit und Unteilbarkeit“ des Landes.

Großer Druck nach Tötung eines korsischen Nationalhelden

Zu einem Gesinnungswandel der Regierung führte die Tötung des korsischen Nationalhelden Yvan Colonna im März 2022 in einem Gefängnis. Für die Ermordung des Präfekten Claude Érignac im Jahr 1998, der die Pariser Regierung auf der Insel repräsentierte, saß Colonna eine lebenslange Haftstrafe ab – jedoch nicht in seiner Heimat, wie er selbst es wünschte, sondern im südfranzösischen Arles.

Dort tötete ihn ein Mithäftling in einem Sportsaal. Colonnas Tod löste heftige Ausschreitungen auf der Insel aus, angeführt von jungen Leuten, die oft erst nach 1998 geboren wurden und sich dennoch in den Kämpfen des Nationalisten wiedererkannten.

Na, dann fordern wir dasselbe.

Loïg Chesnais-Girard, Präsident der Region Bretagne, zu der in Aussicht gestellten größeren Autonomie für Korsika.

Um die Lage unter Kontrolle zu bekommen, wurde ein Diskussionsprozess in Gang gesetzt, bei dem die korsischen Abgeordneten mit ihrer Forderung nach Autonomie plötzlich auf Offenheit stießen. Es gebe „weder ein Tabu noch eine vorab definierte Lösung“, sagte Macron damals.

Allerdings herrscht auch unter den Vertretern Korsikas Uneinigkeit über die konkrete Ausgestaltung. Die Menschen in seiner Stadt diskutieren nicht über eine Verfassungsreform, sondern seien besorgt über soziale Fragen wie die Kaufkraft oder die Wohnungspreise, sagte der Bürgermeister von Ajaccio, Stéphane Sbraggia. „Wenn Autonomie bedeutet, unter sich zu bleiben und diejenigen, die nicht korsisch sprechen, auszuschließen, interessiert sie mich nicht.“

Zugleich weckt der Vorstoß auch anderswo in Frankreich Begehrlichkeiten. So stellte der Präsident der Region Bretagne, Loïg Chesnais-Girard, fest, dass Macron Korsika „mehr Freiheit bei wichtigen Bereichen“ wie dem Wohnungsbau oder den Sprachen verspreche: „Na, dann fordern wir dasselbe.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false