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Die Proteste in Peru eskalieren, Demonstranten fordern nach der Amtsenthebung von Präsident Castillo Neuwahlen.

© Reuters/Alessandro Cinque

Update

Landesweiter Ausnahmezustand ausgerufen: Das steckt hinter den gewaltsamen Protesten in Peru

Eine Woche nach der Amtsenthebung von Präsident Castillo entlädt sich der Frust der Bevölkerung auf der Straße. Demonstrierende fordern Neuwahlen, Sicherheitskräfte gehen brutal dagegen vor.

| Update:

Eine Woche nach der Amtsenthebung von Präsident Pedro Castillo hat sich die Lage in Peru zugespitzt. Bei gewaltsamen Protesten gegen Castillos Absetzung und infolge von Straßensperren im ganzen Land kamen bislang acht Menschen ums Leben, teilte die Regierung mit. Zwei waren minderjährig, drei waren gerade erst 18 Jahre alt, berichteten lokale Medien

Weitere 19 Personen wurden in der Hauptstadt Lima und den Regionen Apurímac, Huancavelica, Arequipa und La Libertad ins Krankenhaus gebracht, wie das peruanische Gesundheitsministerium in der Nacht auf Donnerstag mitteilte. Laut der Ombudsfrau für Menschenrechte, Eliana Revollar, seien alle Todesopfer durch Schüsse umgekommen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International rief die Sicherheitskräfte dazu auf, keine exzessive Gewalt anzuwenden.

Unterdessen hat die peruanische Regierung angesichts der zunehmend gewaltsamen Proteste den Ausnahmezustand über das ganze Land verhängt. Dieser gilt laut Außenminister Luis Alberto Otárola für 30 Tage, wie die peruanische Nachrichtenagentur Andina am Mittwoch berichtete.

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Die Polizei würde mit Unterstützung der Streitkräfte die innere Ordnung aufrechterhalten, sagte Otárola demnach. Damit gebe die Regierung eine „energische und nachdrückliche“ Antwort auf gewaltsame Akte, Vandalismus und die Blockade von Straßen.

Besonders heftig waren die Auseinandersetzungen im Süden des Landes und in der Stadt Arequipa, wo der Flughafen und eine Großmolkerei besetzt wurden. Die Demonstranten griffen in der Hauptstadt Lima Busse und zwei TV-Sender an.

Die Polizei reagierte mit Tränengas und Schlagstöcken, 15 Polizisten wurden bei den Auseinandersetzungen verletzt. Laut der Anti-Terror-Einheit der Polizei heizen Extremisten der ehemaligen Untergrundbewegung „Leuchtender Pfad“ die Proteste an.

Pedro Castillo zählt mit Unterstützung aus dem In- und Ausland

Die Demonstranten fordern die Auflösung des Parlaments, die Freilassung Castillos und vorgezogene Neuwahlen. Interimspräsidentin Dina Boluarte – zuvor Vizepräsidentin von Castillo - versuchte bislang vergeblich, die Gemüter zu beschwichtigen, verhängte einen Ausnahmezustand in den Krisenregionen und bot vorgezogene Neuwahlen im Jahr 2024 an.

Castillo muss derweil vorerst hinter Gittern bleiben. Ein Richter verschob am Mittwoch eine geplante Anhörung über eine mögliche Entlassung auf Donnerstag. Dabei soll entschieden werden, ob der wegen „Rebellion und Verschwörung“ angeklagte Ex-Präsident aus der Haft entlassen wird. 

Öl ins Feuer goss derweil Castillo, der eine Woche zuvor versucht hatte, den Kongress aufzulösen und einen Ausnahmezustand zu verhängen. Damit wollte er einer drohenden Amtsenthebung wegen anhängiger Korruptionsermittlungen durch den Kongress zuvorkommen.

Tausende Peruaner gehen auch in Form friedlicher Proteste auf die Straße und fordern unter anderem die Freilassung Pedro Castillos.
Tausende Peruaner gehen auch in Form friedlicher Proteste auf die Straße und fordern unter anderem die Freilassung Pedro Castillos.

© Reuters/Alessandro Cinque

Doch seine Initiative verstieß gegen die Verfassung und brachte die übrigen Staatsgewalten gegen ihn auf. Castillo ist ein einfacher Landschullehrer, der in unterschiedlichen Parteien aktiv war. Bei der letzten Präsidentschaftswahl wurde er vom Hardcore-Marxisten Vladimir Cerron angeworben, weil dieser selbst nicht kandidieren durfte.

Castillo veröffentliche nun einen Brandbrief, indem er sich als Opfer einer rechten Verschwörung darstellt und Boluarte als „Usurpatorin“ bezeichnet. Sekundiert wurden seine Forderungen von zahlreichen linken Regierungen Lateinamerikas, darunter Mexiko, Kolumbien, Argentinien und Bolivien.

Sie sehen in Castillo einen ideologischen Verbündeten und riefen in einer gemeinsamen Erklärung dazu auf, den Willen des Volkes zu respektieren, der in den letzten Wahlen Castillo zum Mandatsträger erhoben habe. Castillo sitzt derzeit im Gefängnis. Ihm droht ein Prozess wegen Verfassungsbruch und Rebellion, ein Verbrechen, das mit 10 bis 20 Jahren Haft bestraft wird.

Politik und Wirtschaft in Peru sind seit Jahren instabil

Die jüngste Staatskrise ist symptomatisch für ein dysfunktionales politisches System, das Peru in einen Beutestaat verwandelt hat. Nahezu alle ehemaligen Präsidenten sitzen mittlerweile wegen Korruptionsvorwürfen in Haft. Parteien existieren kaum noch und wurden durch klientelistische Wahlvereine ersetzt, die zum Teil vom organisierten Verbrechen und korrupten Unternehmernetzwerken finanziert werden.

Exekutive und Legislative blockieren sich seit Jahren gegenseitig – jeweils auf der Suche nach den lukrativsten Pfründen. Im Kongress und in lokalen und regionalen Ämtern sitzen viele Kriminelle, die kein Interesse an einem funktionierenden Staat haben.

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Tote bei gewaltsamen Protesten und Straßensperren im ganzen Land.

Das neoliberale Wirtschaftsmodell schuf Gewinner – vor allem eine urbane, eher hellhäutige und gut gebildete Mittelschicht, die im Bergbau und Agrobusiness tätig ist – und Verlierer: Die arme, eher indigene Landbevölkerung, deren Lebensgrundlage durch Agroindustrie und den Bergbau rücksichtlos zerstört wurde.

All dies hat ein großes Frustrationspotenzial geschaffen, das sich nun auf den Straßen entlädt. Für Boluarte ist dies ein explosiver Cocktail, wie der Politikberater James Bosworth von der Agentur Hexagon schreibt.

„Boluarte steht vor einer doppelten Herausforderung. Sie muss mit den systemimmanenten Feinden fertig werden, die aus der Krise Profit schlagen wollen, und mit den Systemgegnern, die auf den Straßen protestieren.“ (mit Agenturen)

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