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Manipulations-Prozess gegen Partei CHP startet: Kann Erdogan vom Machtkampf in der türkischen Opposition profitieren?
Die türkische Justiz geht mit einem Gerichtsverfahren gegen die CHP-Führung vor. Das könnte der Oppositionspartei und ihrem Präsidentschaftskandidaten Imamoglu schaden.
Stand:
Ekrem Imamoglu sitzt seit 100 Tagen hinter Gittern, wird von Präsident Recep Tayyip Erdogan als Verbrecherboss beschimpft und muss mitansehen, wie Dutzende seiner Mitarbeiter ebenfalls festgenommen werden.
Aber besonders bitter ist für den Präsidentschaftskandidaten der Opposition und abgesetzten Istanbuler Bürgermeister, dass ein Machtkampf in seiner eigenen Partei CHP der Regierung in die Hände spielt: Er fühle sich verraten, sagte Imamoglu in Interviews mit türkischen Medien.
Der Verräter ist für ihn der frühere CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu, der zurück an die Parteispitze strebt. „Der will mich hier hinter Betonmauern begraben“, soll Imamoglu gesagt haben.
Kilicdaroglus versuchtes Comeback könnte mithilfe der regierungstreuen Justiz gelingen. An diesem Montag wird vor einem Gericht in Ankara ein Prozess wegen angeblicher Manipulationen beim CHP-Parteitag von 2023 verhandelt.
Es drohen Haft und Betätigungsverbot
Damals war Kilicdaroglu vom heutigen Vorsitzenden und Imamoglu-Verbündeten Özgür Özel abgelöst worden. Auf Beschwerde einiger Delegierter argumentiert die Staatsanwaltschaft, bei dem Parteitag seien Stimmen gekauft worden, um Kilicdaroglu abwählen zu können.
In einem parallelen Strafprozess sind Imamoglu und elf andere CHP-Politiker wegen der angeblichen Manipulationen angeklagt und könnten mit bis zu drei Jahren Haft und einem politischen Betätigungsverbot bestraft werden.
Sollte das Gericht in Ankara für die Kläger entscheiden, könnte Özel des Amtes enthoben und durch einen gerichtlich eingesetzten Zwangsverwalter ersetzt werden. Je nach Gerichtsbeschluss wäre es dann für Kilicdaroglu möglich, sein altes Amt zurückzuerhalten.

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Imamoglu war am 19. März festgenommen und am 23. März unter Korruptionsverdacht in Untersuchungshaft gesteckt worden. Die CHP und auch das EU-Parlament werfen der Führung in Ankara vor, den 54-jährigen hinter Gitter gebracht zu haben, um seinen Sieg gegen Erdogan bei der nächsten Präsidentenwahl zu verhindern.
Demonstrationen für Imamoglu
Die Abstimmung findet spätestens 2028, vielleicht aber auch schon früher statt. Erdogan weist die Vorwürfe zurück und spricht von einem rechtsstaatlichen Verfahren.

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Die CHP organisiert regelmäßige Protestkundgebungen, um die Freilassung Imamoglus zu fordern. Sie hat damit erreicht, dass der prominente Politiker trotz seiner Inhaftierung und der Sperrung seines Kontos auf der Plattform X im Gespräch bleibt.
In den Umfragen liegt Imamoglu bis zu 15 Prozentpunkte vor dem Präsidenten. Auch die CHP baut ihren Vorsprung aus und hat nach Angaben ihres Vorsitzenden Özgür Özel erstmals die Marke von 40 Prozent erreicht.
Nun will Özel am Dienstag – genau 100 Tage nach dem Haftbefehl gegen Imamoglu – eine Massenkundgebung vor dem Istanbuler Rathaus im Stadtteil Sarachane in der Nähe des Goldenen Horns organisieren, die erste dort seit Ende März.
Der Prozess gegen die CHP könnte die geplante Machtdemonstration der Opposition scheitern lassen: Kilicdaroglu wird mit den Worten zitiert, er sei gegen solche Kundgebungen.
Gefahr einer feindlichen Übernahme
Özel gibt sich mit Blick auf das Verfahren gelassen. Er hatte sich wegen der Gefahr der feindlichen Übernahme der CHP von einem Sonderparteitag schon im April im Amt bestätigen lassen. Die staatliche Wahlkommission in Ankara habe seine Wahl zum Parteichef bestätigt, und Einspruchsfristen seien ebenfalls längst abgelaufen, sagte er.

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Doch vor dem Prozess am Montag geht es in der CHP zur Sache. Kilicdaroglu wird in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gegen die Partei als Geschädigter geführt.
Der betont, er habe mit der Anklage nichts zu tun, hält sich allerdings die Möglichkeit offen, an die Spitze der Partei zurückzukehren, wenn Özel per Gerichtsbeschluss abgesetzt werden sollte. „Wäre ein Zwangsverwalter etwa besser?“, fragte Kilicdaroglu rhetorisch in der Zeitung „Sözcü“.
Kilicdaroglu mache den Prozess gegen die CHP zu „einer riesigen Chance“ für die Regierung, sagt Politologe Berk Esen von der Istanbuler Sabanci-Universität. Erdogan benutze das Justizsystem, um die Opposition zu schwächen.
Derzeit sehe es so aus, als spiele Kilicdaroglu dieses Spiel mit, um in seiner Partei wieder an die Macht zu kommen. Dies wiederum mache andere Teile der Partei wütend. So könne es zu einer „sehr blutigen internen Schlacht bei der CHP“ kommen, vermutet Esen.
Für Erdogan wäre Kilicdaroglu der ideale – weil schwache – Oppositionschef. Einen Wahlkampf gegen Imamoglu wolle der Präsident auf jeden Fall vermeiden, sagt Soner Cagaptay, Türkei-Experte an der Denkfabrik Washington Institute.
Der inhaftierte Bürgermeister könne es an Charisma mit Erdogan aufnehmen und liege in allen Umfragen vor dem Staatschef. Dagegen wirke Kilicdaroglu blass. Erdogan gewinne nicht nur Wahlen, weil er eine treue Stammwählerschaft habe, so Cagaptay: „Er weiß auch, wie man sich die Gegner aussucht.“
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