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Eine Anwohnerin eines Dorfes nahe der russischen Grenze verlässt zusammen mit ihrer Katze ihr Haus, um nach Sumy evakuiert zu werden.

© REUTERS/Viacheslav Ratynskyi

„Menschen sahen wie Waldkobolde aus“: Wie die Ukraine das Chaos bei den russischen Kursk-Evakuierungen für sich nutzen will

In Kursk sollen Evakuierte mitunter „schwimmend und 24 Stunden lang durch Wälder laufend“ unterwegs gewesen sein, berichten Augenzeugen. Nun plant die Ukraine einen humanitären Korridor.

Stand:

Nachdem die Ukraine bei ihrer jüngsten Offensive die Kontrolle über ein Teil des Gebietes Kursk erlangen konnte, ordneten russische Behörden zeitnah die Evakuierung in mehreren Landkreisen an. Dem Gouverneur des Kursker Gebiets, Alexej Smirnow, zufolge sollen dort inzwischen mehr als 120.000 Menschen in Sicherheit gebracht worden sein.

Augenzeugenberichte aus Kurs

Über die Art und Weise dieser Evakuierungen kursieren in den sozialen Medien derzeit allerhand Augenzeugenberichte und Videos, die chaotische Zustände zeigen. Anton Gerashchenko, ein Berater des ukrainischen Innenministeriums, postete auf X einen Videomitschnitt, der eine evakuierte Bewohnerin der Siedlung Korenewo zeigen soll.

Man hat uns alle zurückgelassen.

Befragte Frau in Kursk

Darin berichtet eine Frau, wie die Bevölkerung zum örtlichen Bahnhof zitiert wurde, wo ab fünf Uhr morgens ein Zug bereitgestellt werden sollte. „Wir kamen am Bahnhof an, aber es gab keinen Zug. Er war bereits abgefahren“. Die Frau beklagt in dem Video, dass die Vorsteherin der Siedlung spurlos verschwunden sei. Die örtlichen Polizeibehörden hätten der Bevölkerung lediglich geraten, wegzulaufen. „Man hat uns alle zurückgelassen“, kritisiert die Frau.

In einem weiteren Video, das Gerashchenko am Donnerstag via X teilte, soll eine russische Bewohnerin darüber berichten, wie die russischen Behörden die Evakuierung der Zivilbevölkerung organisiert haben. Zu sehen ist eine Frau, die beschreibt, wie sie Menschen in einem Dorf bei laufenden Evakuierungen ihre Hilfe angeboten habe.

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„Wir nahmen Dinge aus unseren Taschen und Koffern und gaben sie diesem Menschen“, so die Frau. „Sie sahen wie Leshys (Waldkobolde) aus.“ Der Befragten zufolge sollen die Menschen „barfuß, in zerrissenen T-Shirts und mit schmutzigen Haaren“ umhergelaufen sein, nachdem sie mitunter „schwimmend und 24 Stunden lang durch Wälder laufend“ unterwegs gewesen sein sollen.

Unabhängig überprüfen ließen sich die von Gerashchenko geteilten Videos bislang nicht.

Ukraine will in Kursk offenbar Evakuierungskorridor schaffen

Die US-amerikanische Denkfabrik „Institute for the Study of War“ (ISW) berichtete am Freitag in ihrem täglichen Lagebericht zum russischen Angriffskrieg, dass die Ukraine nach ihren jüngsten Geländegewinnen in Kursk derzeit „die Schaffung eines humanitären Korridors“ organisiere. Hierdurch wolle man russische Zivilisten, „die von der laufenden Operation betroffen sind, evakuieren“, heißt es weiter.

Durch die Maßnahme wolle man ein „offensichtliches Defizit“ ausgleichen, „das die Verwaltung des Gebiets Kursk hinterlassen hat“, so das ISW. Iryna Vereshchuk, ukrainische Vizepremierministerin und Ministerin für Wiedereingliederung, erklärte demnach bereits am Donnerstag, dass man aktuell an der Schaffung eines humanitären Korridors arbeite, um die Zivilbevölkerung aus dem Gebiet Kursk in das Gebiet Sumy (Ukraine) zu bringen.

Einige Zivilisten könnten sich für die Ukraine entscheiden, um sich in Sicherheit zu bringen.

Institute for the Study of War

Zudem wolle man eine 24-Stunden-Hotline einrichten, an die sich die Bewohner wenden können, falls sie „Hilfe benötigen oder evakuiert werden möchten“, so Vereshchuk.

Evakuierungen: Russland bietet „keine praktikable Alternative“

Russland habe die Ukraine aktuell allerdings noch nicht um die Eröffnung eines humanitären Korridors gebeten, betonte die Ministerin. „Die Behörden des Gebiets Kursk scheinen zu zögern“, berichtet das ISW. „Wahrscheinlich aus Angst vor einer Reaktion, die im Widerspruch zur Reaktion des Kremls stehen könnte“, heißt es weiter.

Der Gouverneur der Region Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, spricht in einem provisorischen Unterbringungszentrum in Stary Oskol mit Evakuierten aus Kursk.

© REUTERS/stringer

Dem ISW zufolge bemühe sich Kiew aktuell darum, mögliche Evakuierungsmaßnahmen nur „im Einklang mit dem völkerrechtlichen Verbot von erzwungenen Bevölkerungstransfers“ vorzunehmen. Offenbar sieht sich die Ukraine dazu verpflichtet, sämtliche Anforderungen im Protokoll Nr. 4 der Genfer Konvention (Schutz der Zivilbevölkerung im Krieg) zu erfüllen.

Aktuell sollen Vereshchuks Äußerungen stark darauf hindeuten, „dass die russischen Behörden wenig bis gar nichts tun, um sich mit der Ukraine zum Thema Evakuierungen abzustimmen“, schlussfolgert das ISW. Dies wiederum bedeute, „dass sich einige Zivilisten für die Ukraine entscheiden könnten, um sich in Sicherheit zu bringen.“ Schließlich würden die russischen Behörden der Bevölkerung aktuell „keine praktikable Alternative“ anbieten.

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