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In der Nähe des Tatorts gedenken Menschen mit Blumen und Kerzen der Todesopfer in Örebro.

© dpa/Sergei Grits

Update

Elf Tote bei Amoklauf in Schweden: „Ich hörte Schüsse, dann rannten wir um unser Leben“

Tote und Verletzte, ein Land unter Schock: Der Amoklauf an einer Schule in Örebro wurde zur schlimmsten Massenschießerei Schwedens. Die Tat trifft ein Land, in dem die tödliche Schusswaffengewalt außer Kontrolle geraten ist.

Stand:

Die Krawatte etwas schief, die Sorgenfalten auf der Stirn tief, der Blick entkräftet. Sichtlich erschüttert tritt Schwedens Regierungschef am frühen Dienstagabend vor die Presse in Stockholm. „Es ist schwierig, das Ausmaß dessen zu begreifen, was heute geschehen ist“, sagt Ulf Kristersson. Er spricht von einer „Dunkelheit, die sich über Schweden“ gelegt hat.

Wort für Wort betont er dann den wichtigsten Satz: „Dies ist die schlimmste Massenschießerei in der schwedischen Geschichte.“

Seit wenigen Minuten war zu diesem Zeitpunkt klar: Bei einem Amoklauf in der knapp 120.000 Einwohner großen Stadt Örebro, 200 Kilometer westlich von Stockholm, sind am Dienstag in einer Schule mindestens zehn Menschen gestorben.

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Fünf Schwerverletzte wurden noch in der Nacht wegen lebensbedrohlicher Wunden im örtlichen Krankenhaus behandelt. Am Mittwochmorgen dann erhöhte sich die Zahl der Todesopfer auf elf.

Um 12.33 Uhr erreicht die Polizei der erste Alarm

Seit der Tat steht Schweden unter Schock, Flaggen hängen auf halbmast. Am Mittwoch reiste das Königspaar unter anderem für einen Gedenkgottesdienst in die Stadt. Bei einer Kranzniederlegung nahe der Schule wirkte Königin Silvia sichtlich betroffen, wischte sich immer wieder Tränen aus dem Gesicht.

Schwedens König Carl XVI. Gustaf und Königin Silvia legen Blumen an einer Gedenkstätte in der Nähe des Bildungszentrums Campus Risbergska nieder.

© dpa/Sergei Grits

„Wir sind hierhergekommen, um unser Beileid zu bekunden“, sagt König Carl XVI. Gustaf. „Wir hoffen, dass so etwas in Schweden nie wieder passieren wird.“

Wir sind ein trauerndes Land, und wir müssen alle zusammenkommen.

Schwedens Regierungschef Ulf Kristersson

Einen Tag nach der Tat kündigte Regierungschef Kristersson eine landesweite Gedenkminute an; zudem wird es am Donnerstag eine Krisensitzung mit allen Parteivorsitzenden des Landes geben.

„Wir sind ein trauerndes Land, und wir müssen alle zusammenkommen – als Nation, als Mitbürger und als Führer der Parteien im Parlament“, heißt es in einer Mitteilung des Regierungschefs. „Gemeinsam müssen wir den Verletzten und ihren Familien helfen, die Trauer und die Last dieses Tages zu tragen.“

Dabei gehören schwere Gewalttaten, insbesondere im Osten des Landes, mittlerweile fast zum Alltag.

Bereits der Januar war von einer Rekordzahl von Sprengstoffanschlägen geprägt – allein an den ersten 31 Tagen des Jahres kam es landesweit zu 32 Explosionen. Erst vergangene Woche wurde der berüchtigte Koranverbrenner Salwan Momika bei einer Livesendung in den sozialen Medien per Kopfschuss ermordet.

Doch mit dem tödlichsten Amoklauf in der jüngeren Geschichte des Landes ist nun klar: Die tödliche Schusswaffengewalt ist im größten skandinavischen Land völlig außer Kontrolle geraten.

Polizisten in der Nähe des Tatorts in Örebro.

© AFP/Jonathan Nackstrand

Gegen Dienstagmittag war es auf dem Campus Risbergska im westlichen Teil Örebros zu ersten Schüssen gekommen, kurz nach halb eins wurde die Polizei alarmiert.

In dem Bildungszentrum lernen neben Erwachsenen auch Minderjährige, die ihren Schulabschluss nachholen, zudem Einwanderinnen und Einwanderer in staatlich geförderten Sprachkursen. Mehr als 2000 Menschen gehen hier jeden Tag ein und aus.

Ob es sich bei den Toten um Lehrkräfte oder Schülerinnen und Schüler handelt, wollte Robert Eid Forest, Leiter der örtlichen Polizei, am Mittwoch nicht erläutern. Auch mehr als 24 Stunden nach der Tat ist es den Einsatzkräften noch nicht gelungen, alle elf Todesopfer zu identifizieren.

Der mutmaßliche Täter, ein Mann Mitte 30, war nach Polizeiangaben bereits tot, als das Sondereinsatzkommando das Schulgelände am Dienstag erreichte. Medienberichten zufolge soll er sich selbst erschossen haben, ein terroristisches Motiv oder Verbindungen ins Bandenmilieu schließen die Behörden aktuell aus.

Es soll sich zudem um einen Einzeltäter handeln. Computer und Telefone werden nach einer Durchsuchung seiner Wohnung weiter untersucht, die Polizei erhofft sich hier insbesondere Hinweise zu möglichen Hintergründen der Tat.

„Schwarzer Tag für Schweden“

Überhaupt scheint die Polizei auch einen Tag nach der Tat bei vielen Ermittlungen im Dunkeln zu tappen: Über Ursache und Motiv der Tat wissen die Behörden wenig, der mutmaßliche Amokschütze war vor der Tat scheinbar völlig unauffällig und nicht polizeibekannt.

Um die Ermittlungen zu beschleunigen, bat der Polizeichef am Mittwochmorgen Augenzeuginnen und Augenzeugen um Audio- und Videomaterial aus dem Inneren der Schule. 

Auch für Schwedens Bildungsminister Johan Pehrson wurde der Dienstag zu einem „sehr schwarzen Tag“.

Der 54-Jährige ist auch persönlich von der Tat betroffen, er ist in Örebro aufgewachsen. Als Kind besuchte er die Schule selbst: „Es ist eine Trauer, die verarbeitet werden muss“, sagte er vor dem Risbergska-Gebäude. Und versprach, die Sicherheit an Schwedens Schulen zu verbessern.

Schwedens Bildungsminister Johan Pehrson reiste noch am Dienstag zu der betroffenen Schule nach Örebro.

© AFP/Jonathan Nackstrand

Auf Videos in den sozialen Medien ist zu sehen, dass der mutmaßliche Schütze wohl mehr als eine Waffe gehabt haben könnte.

Verschwommene Aufnahmen zeigen demzufolge den Attentäter, wie er langsam durch den Schulflur im Erdgeschoss geht, in der Hand und auf dem Rücken trägt er jeweils etwas, das wie eine lange Waffe oder ein Gewehr aussieht. Medienberichten zufolge hatte der Schütze einen Waffenschein, was die Polizei am Mittwoch jedoch nicht bestätigen wollte.

Örebros Polizeichef Roberto Eid Forest versuchte am späten Dienstagnachmittag, erste Fragen zu beantworten. Doch viele Erkenntnisse über die Tat gab es noch nicht.

© AFP/Jonathan Nackstrand

Schwedens Waffengesetze sind äußerst streng, selbst kleinere Taschenmesser dürfen nur zu besonderen Anlässen getragen werden. Auch Pfeffersprays fallen unter das Verbot und sind nur mit einem Waffenschein erlaubt.

Augenzeuge: „Wir hatten die ganze Zeit Angst“

Viele Betroffene waren übereinstimmenden Medienberichten zufolge noch Stunden nach der Tat im Campus Risbergska eingeschlossen gewesen, auch Kinder und Lehrkräfte in angrenzenden Schulen sollen sich panisch verbarrikadiert haben.

Wir dachten, jemand schlägt eine Tür zu. Dann hörten wir die Schüsse und gerieten in Panik.

Hellen, Augenzeugin des Amoklaufs in Örebro

Der 19 Jahre alte Ali war einer von ihnen. „Wir hatten die ganze Zeit Angst“, erzählte er der Tageszeitung „Dagens Nyheter“. Mit Stühlen und Bänken hätten die Schüler die Tür blockiert, etwa zwei Stunden waren sie im Klassenraum eingeschlossen und wurden erst durch Polizeikräfte befreit.

Die Direktorin des Risbergska, Ingela Bäck Gustafsson, berichtete dem Fernsehsender SVT, dass sie erst durch Schülerinnen und Schüler von dem Angriff auf ihre Schule aufmerksam wurde. „Als ich auf dem Schulhof war, hörte ich Schüsse, ganz in der Nähe“, sagt Bäck Gustafsson. „Wir rannten um unser Leben.“ Der Unterricht in ihrer Schule wird nun bis Ende der Woche ausgesetzt.

Angriffe auf Schulen werden immer häufiger

Wie ein Bericht aus dem vergangenen Jahr offenlegt, erhält Schwedens Polizei fast täglich Informationen und Alarme über mutmaßliche Anschläge auf Schulen.

Der Amoklauf trifft auf ein tief verunsichertes Land, noch am Abend zündeten die Menschen in Örebro Kerzen für die Verstorbenen.

© AFP/Jonathan Nackstrand

Tödliche Schusswaffengewalt auch auf Bildungseinrichtungen ist in Schweden daher kaum etwas Neues; gleich mehrere Angriffe sollen Polizeiangaben zufolge 2024 vereitelt worden sein.

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Lehrerinnen wurden bei einem Schulattentat 2022 in Malmö getötet.

Vor drei Jahren tötete ein 18-Jähriger in Malmö zwei Lehrerinnen mit einem Messer, 2017 brachte ein 17-Jähriger einen gleichaltrigen Mitschüler im Stockholmer Bezirk Enskede um. Auch in den beiden Jahren zuvor kam es jeweils zu tödlichen Attentaten im südlichen Schonen sowie in Trollhättan an der Westküste.

Viel ist über den Amoklauf in Örebrö noch nicht bekannt. Klar ist nur, dass es sich um den tödlichsten Angriff auf eine Schule, die schlimmste Massenschießerei in der Geschichte des Landes handelt.

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