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Nach dem Terroranschlag in Pakistan: Regierung will afghanische Taliban um Hilfe bitten
Pakistanische Taliban werden hinter dem Anschlag vermutet. Drei Gründe, warum diese Gruppen jetzt wieder so stark sind.
Stand:
Nach dem Selbstmordanschlag auf eine Moschee innerhalb des Polizeipräsidiums im pakistanischen Peshawar will die Regierung einen führenden Taliban-Vertreter in Afghanistan um Unterstützung gegen weitere Angriffe bitten.
Islamabad wolle die Taliban „bitten, dafür zu sorgen, dass ihr Boden nicht von Terroristen gegen Pakistan benutzt wird“, erklärte der Sondermitarbeiter des pakistanischen Premierministers Shehbaz Sharif, Faisal Karim Kundi, am Samstag. Die Regierung werde daher Delegationen in die iranische Hauptstadt Teheran und die afghanische Hauptstadt Kabul entsenden.
Der Anschlag war am Montag während des Nachmittagsgebets in der Moschee in der nahe der afghanischen Grenze gelegenen Stadt Peshawar in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa verübt worden. Nach Polizeiangaben kamen dabei 84 Menschen ums Leben, fast alle von ihnen Polizisten. Offiziell bekannte sich niemand zu dem Anschlag. Es wird aber vermutet, dass die sogenannten Pakistanischen Taliban dahinter stehen.
2007 wurden die TTP offiziell gegründet
In den vergangenen Monaten hatte es in Peshawar wiederholt Angriffe insbesondere auf Sicherheitskräfte gegeben. Sowohl die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) als Aufständische der sogenannten Pakistanischen Taliban, der unter dem Namen Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP) firmieren, sind in der Region aktiv.
Die TTP entstanden ab 2002 aus früheren extremistischen Gruppen der Grenzregion zu Afghanistan als Reaktion auf den Einmarsch der pakistanischen Armee in die dortigen Stammesgebiete, den die US-Regierung als Beitrag zum „Krieg gegen den Terrorismus“ verlangt hatten.
Die Kämpfe gegen die pakistanischen Streitkräfte wurden zur ersten Bewährungsprobe und zum Mobilisierungsmotor der TTP. Zahlreiche weitere gewaltbereite Gruppen schlossen sich als Reaktion auf die US-Drohnenangriffe und die Verschärfung der innenpolitischen Lage (z.B. das Blutbad in der „Roten Moschee“ in Islamabad 2007) der TTP an, auch wenn sie nie zu einer einheitlichen und zentral geführten Organisation wurde. Erst 2007 wurde die Gründung der TTP offiziell verkündet.
In den beiden letzten Jahrzehnten wurden durch Angriffe und Anschläge der TTP und der ihnen eng verbundenen Gruppen und bei Kämpfen mit der Armee mehrere Zehntausend Menschen getötet. Trotz immer wieder aufbrechendem Alarmismus in Europa und den USA wurden die pakistanischen Taliban nie zu einer ernsten militärischen Bedrohung des pakistanischen Staates – auch wenn sie seine Legitimität weiter untergruben.

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Die pakistanische Regierung und ihr Militär reagierten widersprüchlich auf die Bedrohung: Teilweise mit Verhandlungsangeboten, teilweise mit militärischen Offensiven. 2014 kam es zu einer Wende in der Politik: Im Dezember 2014 hatte die TTP einen terroristischen Angriff auf die „Army Public School“ in Peshawar unternommen und dabei 149 Menschen (davon 132 Schulkinder) getötet.
Dieser Anschlag führte zu einer Wende der politischen Stimmung in Gesellschaft, Politik und Militär. Es entstand ein Konsens, mit aller Härte gegen die TTP vorzugehen. Die pseudo-religiöse Rechtfertigung ihrer Gewalt hatte durch das Massaker an Kindern an Glaubwürdigkeit verloren und das Militär nahm den Angriff gegen eine ihrer Einrichtungen sehr ernst. In den nächsten Jahren gelang es auf der Grundlage des schnell verabschiedeten „National Aktionsplans gegen den Terrorismus“, der zivile mit militärischen Maßnahmen verband, die TTP und gewaltsame Anschläge immer weiter zurückzudrängen.
Hatte es im Jahr 2000 insgesamt 166 Todesopfer durch politische Gewalt gegeben, erreichte die Zahl der Toten 2009 seinen Höhepunkt, als mehr als 11.300 Menschen getötet wurden. Seitdem ging die Zahl der Todesopfer deutlich zurück. Sie lag 2019 nur noch bei 365. Insgesamt sank das Gewaltniveau vom Niveau eines faktischen Bürgerkrieges auf das einer bandenmäßigen Gewaltkriminalität.
Seitdem steigen die Opferzahlen langsam an, im Jahr 2022 auf 971. Und allein im Januar 2023 starben bereits rund 180 Menschen durch politische Gewalt, davon mehr als die Hälfte beim Selbstmordanschlag auf eine Moschee in Peshawar am 30. Januar.
Drei Gründe für Wiedererstarken
Es lassen sich drei Gründe benennen, warum es zu einer erneuten Zunahme der Gewalt kam. Erstens: Regierung und Militär hatten die TTP bis 2019 an den Rand des Scheiterns gebracht – und dann versäumt, die sozialen und politischen Probleme zu lösen, die dem Terrorismus erst eine Basis geben. Nach der weitgehend erfolgreichen Vertreibung der TTP aus ihren Einflusszonen versäumte es die Regierung, dort funktionierende und legitime staatliche Strukturen auszubauen, so dass die Bevölkerung kaum eine Verbesserung feststellen konnte.
Zweitens begann die Regierung im November 2021 eine neue Runde von Verhandlungen mit der – offiziell verbotenen – TTP, die dieser Zeit und Gelegenheit zu Umgruppierung und zum Wiederaufbau bot. Gerade in den früheren Stammesgebieten und im Swat-Tal gelang es der TTP, sich wieder festzusetzen und von dort Anschläge zu begehen. Dies geschah oft gegen den Widerstand der örtlichen Bevölkerung, die in Demonstrationen Schutz durch die Regierung verlangte, aber kaum erhielt. Inzwischen erklärte die TTP die Verhandlungen für gescheitert, weil die Regierung ihre Forderungen nicht erfülle – und begann mit einer neuen Welle von Anschlägen.
Drittens hat der Sieg der Taliban in Afghanistan im August 2021 die TTP psychologisch, politisch und praktisch gestärkt. Zwar gehört die TTP (trotz ihrer Bezeichnung „pakistanische Taliban“) nicht zu den afghanischen Taliban, sind ihnen aber ideologisch und politisch verbunden. Vor dem Druck der pakistanischen Armee konnten sie sich nach Afghanistan zurückziehen, und die afghanischen Taliban drängten Pakistan dazu, mit der TTP zu verhandeln – unter ihrer Vermittlung.
Heute ist die TTP wieder gefährlicher, als sie dies noch vor wenigen Jahren war. Die Hauptgefahr liegt allerdings nicht in einer Machtergreifung, sondern in einer weiteren Delegitimierung des bereits fragilen politischen Systems. Und die Regierung lässt die Dinge treiben, scheint sich auf das Militär zu verlassen – das wiederum inzwischen gelernt hat, dass der TTP-Terrorismus zwar militärisch eingedämmt, aber nur politisch besiegt werden kann.
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