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Kassim Shesho auf seinem Anwesen in Sherfedin, Shingal-Gebirge, Nordirak.

© Hannes Heine

Nach Haftbefehl gegen Peschmerga-Kommandeur : Jesiden in Irak fürchten neue Angriffe durch Islamisten

Ein bekannter Jeside wird im Irak wegen „Blasphemie“ gesucht. Die kurdische Minderheit fürchtet zehn Jahre nach dem Genozid durch den „Islamischen Staat“ nun Schlimmstes.

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Nachdem ein irakisches Gericht einen Haftbefehl gegen einen jesidischen Peschmerga-Kommandeur erlassen hat, fürchten die Jesiden islamistische Angriffe – und das ausgerechnet um den zehnten Jahrestag des Genozids an den Jesiden durch den „Islamischen Staat“ (IS).

In arabischen Online-Foren kursieren Aufrufe radikaler Islamisten, das von Jesiden bewohnte Shingal-Gebirge im Norden Iraks anzugreifen. Jesidische Bürgerwehren befinden sich in höchster Alarmbereitschaft. Zahlreiche Familien sollen schon aus den Flüchtlingscamps in der Region geflohen sein.

Auslöser für die Drohungen der Islamisten war offenbar der wegen angeblicher „Blasphemie“ erlassene Haftbefehl gegen Kassim Shesho, dem vor Ort bekannten Kommandeur der Hêza Parastina Şingal (HPS), der Shingal-Verteidigungskräfte. Die HPS schützten vor zehn Jahren insbesondere die den Jesiden heiligen Ort Sherfedin vor dem IS.

Irak ist ein überwiegend islamisch-arabischer Staat, allerdings mit starker kurdischer, darunter auch jesidischer Minderheit, die im Norden des Landes eine Autonomieregion verteidigt. Sollten Einheiten der irakischen Zentralregierung den Haftbefehl in diesen Tagen vollstrecken, schätzten Beobachter vor Ort ein, könnte sich Shingal erheben, es stünde womöglich ein jesidischer Aufstand bevor.

Wie der kurdische Fernsehsender „Rudaw“ berichtete, wird Shesho – der auch „der Löwe von Shingal“ genannt wird – vorgeworfen, „Muhammad, den Propheten des Islam, beleidigt“ und einen „religiösen Konflikt“ gestiftet zu haben. Der Haftbefehl wurde dem Sender zufolge als Reaktion auf ein Video ausgestellt, das der 72-jährige Shesho auf einem Social-Media-Kanal veröffentlicht hatte. Darin soll er anlässlich des zehnten Jahrestages des Völkermordes an den Jesiden sinngemäß gesagt haben, dass es immer wieder Genozide gegen die Jesiden geben werde, solange der Islam existiere.

Kassim Shesho lebte bis 2014 im nordrhein-westfälischen Bad Oeynhausen. Er war in der alten Heimat zu Besuch, als der IS am 3. August 2014 auf das Shingal-Gebirge vorrückte. Sheshos Familie – darunter zwei Söhne, die in der Bundeswehr gedient hatten – führten damals die erwähnte HPS an, die heute mit den Peschmerga kooperiert. Die Peschmerga sind die De-facto-Armee der kurdischen Autonomieregion, deren Hauptstadt ist Erbil.

Die Jesiden sind eine meist Kurdisch sprechende Religionsgemeinschaft, die es schon vor dem Islam gab. Von vielen Muslimen als Teufelsanbeter geschmäht, im Osmanischen Reich und unter Iraks Diktator Saddam Hussein verfolgt, gipfelte der Hass auf die Jesiden im August 2014 im Völkermord durch den „Islamischen Staat“: 5000 Männer und Jungen verbrannten, erschlugen, erschossen die Fanatiker, schmissen ihre Opfer unter Gelächter in Schluchten, versklavten 7000 Frauen und Kinder.

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