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Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu spricht im Januar zu seinen Anhängern vor dem Istanbuler Gerichtsgebäude. Nun muss er in Haft.

© dpa/Emrah Gurel

Update

Nach Inhaftierung als Bürgermeister von Istanbul abgesetzt: CHP wählt Erdogan-Rivalen Imamoglu zum Präsidentschaftskandidaten

Das türkische Innenministerium ordnete die Suspendierung des Erdogan-Kontrahenten an. Seine Festnahme zuvor sorgte für die größten Proteste seit Jahren in dem Land. Seine Partei stärkt ihm den Rücken.

Stand:

Der türkische Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu ist als Istanbuler Bürgermeister „vorübergehend“ abgesetzt worden. Das teilte das türkische Innenministerium mit und begründete es mit der Untersuchungshaft, die im Zusammenhang mit Korruptionsermittlungen gegen Imamoglu verhängt wurde. Seine Partei wählte ihn unterdessen zum Kandidaten für eine künftige Präsidentschaftswahl.

Auch die Bürgermeister der Istanbuler Gemeinden Beylikdüzü und Sisli wurden abgesetzt, in Sisli wurde ein Zwangsverwalter bestimmt.

In der Türkei wurden bereits zahlreiche Bürgermeister der prokurdischen Dem-Partei und kürzlich auch der sozialdemokratischen CHP, der Imamoglu angehört, wegen Ermittlungen ihres Amtes enthoben und in einem weiteren Schritt dann durch regierungsnahe Zwangsverwalter ersetzt. Die Absetzung des Bürgermeisters der 16-Millionen-Metropole Istanbul aber ist ein beispielloser Vorgang.

Ob Istanbul nun ein Zwangsverwalter droht, ist noch ungewiss: Das Gouverneursamt von Istanbul gab allerdings bekannt, dass am Mittwoch die Parlamente der Stadt Istanbul und der Gemeinde Beylikdüzü zusammentreten werden, um die stellvertretenden Bürgermeister zu wählen.

Terror- und Korruptionsvorwürfe vonseiten der Behörden

Die Anordnung der Untersuchungshaft erfolgte in Verbindung mit den Korruptionsermittlungen, gegen Imamoglu wird aber auch wegen Terrorvorwürfen ermittelt. In beiden Verfahren wird gegen 106 Personen ermittelt. Imamoglu hatte die Vorwürfe zurückgewiesen und sie als „unvorstellbare Beschuldigungen und Verleumdungen“ bezeichnet. 

Am Sonntagvormittag meldete er sich zu den aktuellen Entwicklungen zur Wort. „Hand in Hand werden wir diesen Schlag, diesen schwarzen Fleck auf unserer Demokratie ausmerzen“, schrieb Imamoglu auf X. „Ich stehe aufrecht, ich werde mich nicht beugen.“

Seine Partei kritisierte das Vorgehen gegen den populären Politiker als Putschversuch vonseiten der Regierung. Man wolle so einen politischen Konkurrenten ausschalten. Die Partei steht weiter hinter Imamoglu: Parteichef Özgür Özel erklärte vor Teilnehmern einer Demonstration in Istanbul am Abend, es hätten 1,6 Millionen der insgesamt 1,7 Millionen CHP-Mitglieder für den 53-Jährigen als Kandidat bei einer künftigen Präsidentschaftswahl gestimmt.

Millionen Menschen gaben Özel zufolge am Sonntag zudem ihre Stimme symbolisch an sogenannten Solidaritätswahlboxen für Imamoglu ab, die neben den regulären Urnen im ganzen Land aufgestellt worden waren. Nach Auszählung von etwas mehr als der Hälfte der Solidaritäts-Urnen käme man bereits auf mehr als 13 Millionen symbolischen Stimmen für Imamoglu, sagte Özel. Die Türkei hat 85,6 Millionen Einwohner.

Auswärtiges Amt fordert Aufklärung

Kritik an der Inhaftierung Imamoglus kommt unterdessen auch aus Deutschland. „Die Inhaftierung des Istanbuler Oberbürgermeisters und profilierten Oppositionspolitikers Ekrem Imamoglus ist ein schwerer Rückschlag für die Demokratie in der Türkei“, teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes (AA) dem Tagesspiegel am Sonntag mit: „Politischer Wettbewerb darf nicht mit Gerichten und Gefängnissen geführt werden.“

Die Inhaftierung des Istanbuler Oberbürgermeisters und profilierten Oppositionspolitikers Ekrem Imamoglus ist ein schwerer Rückschlag für die Demokratie in der Türkei.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes

Das Ministerium erwarte, „dass die Vorwürfe schnellstmöglich transparent aufgeklärt werden und es ein Verfahren auf Basis rechtsstaatlicher Prinzipien gibt.“ Gleiches gelte für Vorwürfe gegen festgenommene Protestierende.

Ein Demonstrant schwenkt eine türkische Flagge neben Polizisten in Einsatzkleidung während einer Demonstration gegen die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu in Istanbul.

© REUTERS/MURAD SEZER

„Die Einhaltung rechtsstaatlicher und demokratischer Prinzipien bleibt für unsere Beziehungen mit der Türkei ein zentraler Bestandteil – auf bilateraler Ebene und für die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei“, sagte der AA-Sprecher dem Tagesspiegel.

Union kritisiert Inhaftierung

„Der Zeitpunkt und politische Kontext der Verhaftung“ ließen vermuten, dass ein politischer Konkurrent von Präsident Erdogan „seiner demokratischen Rechte beraubt werden“ solle, sagte der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag, Jürgen Hardt (CDU), der Zeitung „Welt“. „Deutschland sollte klarmachen, dass Erdogan einen weiteren Schritt Richtung Autokratie gegangen ist und dieser Weg in der Zusammenarbeit nicht akzeptiert werden kann.“

Hardt sah auch eine mögliche Belastung der Zusammenarbeit der Türkei mit der voraussichtlich nächsten Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD. Auch SPD-Chef Lars Klingbeil warnte vor einem „weiterem Abrutschen der Türkei Richtung Autokratie“.

Polizeibeamte stehen Wache, während ein Demonstrant, der gegen die Inhaftierung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu protestiert, vor ihnen durch den Istanbuler Justizpalast, bekannt als Caglayan-Gericht, in Istanbul läuft.

© REUTERS/Umit Bektas

Der Grünen-Außenpolitiker Max Lucks forderte, Deutschland müsse „Erdogan jetzt spürbar unter Druck setzen“. Es komme darauf an, zu zeigen, „dass Menschenrechte und Demokratie in der Türkei für uns keine Nebensache sind“, sagte er dem „Handelsblatt“. Lucks forderte, Lieferungen von Rüstungsgütern in die Türkei sofort zu stoppen.

Kontrolle über Istanbul ist zentral für Macht im Land

Imamoglu gilt als aussichtsreicher Gegenkandidat des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bei einer kommenden Präsidentschaftswahl.

Offizieller Kandidat ist Imamoglu erst, wenn die als regierungsfreundlich geltende türkische Wahlbehörde YSK seine Kandidatur bestätigt. Sollten die Terrorermittlungen bis dahin nicht eingestellt worden sein, ist die Annahme seiner Kandidatur unwahrscheinlich. Zudem wurde Imamoglu in dieser Woche der Universitätsabschluss aberkannt. Dieser ist Voraussetzung für eine Kandidatur für das Präsidentenamt. Die Entscheidung ist noch nicht endgültig.

Menschen warten in IStanbul darauf, ihre Stimme bei einer Vorwahl abzugeben, um den inhaftierten Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu als ihren Kandidaten für die nächsten Präsidentschaftswahlen zu unterstützen.

© REUTERS/Umit Bektas

Der Sieg Imamoglus im Jahr 2019 in Istanbul gilt als eine herbe Niederlage der AK-Partei Erdogans, die die Großstadt bis dahin regierte. Der CHP-Politiker gewann in Istanbul 2024 ein weiteres Mal. Die Stadt ist die bevölkerungsreichste Metropole des Landes und sowohl politisch als wirtschaftlich von zentraler Bedeutung.

Politisch wird die Kontrolle über Istanbul oft als Symbol für den allgemeinen politischen Einfluss im Land gesehen. In Istanbul hatte einst auch Erdogans Aufstieg seinen Anfang genommen, als er 1994 dort zum Bürgermeister gewählt wurde.

Imamoglus Festnahme am Mittwoch hat trotz Demonstrationsverboten die größten Straßenproteste in der Türkei seit mehr als zehn Jahren ausgelöst. Die Proteste dauern seit mehreren Tagen an. Hunderte Menschen wurden dabei festgenommen. Die CHP sprach von 300.000 Protestierenden allein in Istanbul am Freitag. Überprüfen ließ sich die Angabe nicht. Auch in Berlin gingen Menschen auf die Straße.

Hintergrund der Terrorermittlungen gegen Imamoglu ist laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu eine Kooperation zwischen der CHP und der prokurdischen Dem-Partei bei den Kommunalwahlen. Über diese Kooperation habe die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK versucht, ihren Einfluss auszuweiten, zitierte Anadolu am Mittwoch die Generalstaatsanwaltschaft. (AFP, dpa, Reuters, dfs)

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