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Giorgio Napolitano hält eine Rede während einer Sitzung des neuen Obersten Rats.

© dpa/Massimo Percossi

Nachruf auf Giorgio Napolitano: Der Mann, der Berlusconi in die Knie zwang

Der frühere Staatspräsident Italiens ist im Alter von 98 Jahren verstorben. Der ehemalige Kommunist war ein Gentleman – und damit ein Gegenentwurf zu Ex-Premier Silvio Berlusconi.

Giorgio Napolitanos Stunde schlug am 11. November 2011: Silvio Berlusconi stand an der Spitze einer durch interne Streitereien gelähmten Regierung, die wegen anhaltender Misswirtschaft das Vertrauen der Finanzmärkte und der europäische Partner verloren hatte. Die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen gegenüber den deutschen Bundesschatzbriefen, der sogenannte „Spread“, war auf über 500 Basispunkte angestiegen, das Land taumelte in Richtung Zahlungsunfähigkeit.

Da bestellte Napolitano den „Cavaliere“ zu sich in den Quirinalspalast, den Amtssitz des italienischen Staatspräsidenten, und frage ihn: „Haben Sie und Ihre Regierung noch die Kraft, das Steuer mit überzeugenden und einschneidenden Maßnahmen herumzureißen?“

Der inzwischen ebenfalls verstorbene Berlusconi blieb eine Antwort schuldig – zwei Tage später kehrte er in den Quirinal zurück, um Napolitano sein Rücktrittsschreiben zu übergeben. Der vierfache Ex-Premier verließ den Palast durch einen Hinterausgang; er kehrte nie mehr an die Regierungsspitze zurück. Vor dem Haupteingang des Quirinals feierten Hunderte von Römerinnen und Römern den Sturz Berlusconis mit dem Absingen des Partisanenlieds „Bella ciao“.

Napolitano wurde liebevoll König Giorgio genannt

Napolitano war in diesen Tagen zur zentralen, alles dominierenden Figur auf der politischen Bühne Italiens geworden, zur ordnenden Kraft im Römer Chaos, zum Denker und Lenker der Republik – kurz: zu „Re Giorgio“, also „König Giorgio“, wie er von den Italienern seither respekt- und liebevoll genannt wurde.

80
Prozent Zustimmung erreichte Napolitano in Umfragen.

Napolitano hatte diese dominierende Rolle nicht gesucht. Aber nach dem November 2011 galt er als „Interventionist“, der aktiv in das politische Geschehen eingegriffen hat – im Unterschied zu seinem Nachfolger Sergio Mattarella. Dieser füllt seine Rolle als Garant der Verfassung zwar genauso gewissenhaft und eisern aus wie Napolitano, aber er setzt bei der aktuellen Rechtsregierung von Giorgia Meloni mehr auf stille Überzeugungsarbeit hinter den Kulissen.

Gemeinsam ist den beiden Süditalienern – Napolitano stammt, sein Name verrät es schon, aus Neapel, Mattarella aus Palermo – ihre enorme Beliebtheit in der Bevölkerung, die manchmal an Verehrung grenzt. In Umfragen kam Napolitano auf bis zu 80 Prozent, und auch Mattarella liegt seit vielen Jahren stabil über 70 Prozent. Ministerpräsidentin Meloni kommt nicht einmal auf 40 Prozent.

Er war ein Gentleman alter Schule

Giorgio Napolitano war vom Parlament im Jahr 2006 zum ersten Mal in das höchste Staatsamt gewählt worden – als erster und bisher einziger Kommunist in der Geschichte der Republik. Auch eine zweite Premiere geht auf sein Konto: Er war der erste italienische Staatspräsident, der nach der siebenjährigen ersten Amtszeit wiedergewählt wurde (2013) – obwohl er sich, nicht zuletzt aus Altersgründen, lange dagegen gewehrt hatte.

Vor seiner Zeit auf dem Quirinalshügel war Napolitano unter anderem Parlamentspräsident und Innenminister gewesen. Als Student war er zur Zeit des Faschismus Mitglied einer Jugendorganisation, die gegen Mussolini kämpfte. Einen nicht geringen Teil der Sympathien – sowohl bei den Italienerinnen und Italienern als auch auf der internationalen Bühne – verdankte Napolitano seiner ausgesuchten Höflichkeit und seinen tadellosen Manieren: Er war ein Gentleman alter Schule, ein wahrer „Signore“. Und er war hundertprozentig integer – eine Eigenschaft, die in der italienischen Politik nicht sehr verbreitet ist.

Napolitano war befreundet mit dem früheren deutschen Bundeskanzler Willy Brandt; der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger nannte ihn ironisch „meinen Lieblings-Kommunisten“. Zwei Jahre nach der Wahl zu seiner zweiten Amtszeit trat Napolitano im Jahr 2015, im bereits hohen Alter von 89 Jahren, aus gesundheitlichen Gründen zurück. Wie mehrere italienische Medien übereinstimmend berichteten, ist er am Freitagabend in Rom verstorben.

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