
© REUTERS/Evelyn Hockstein
Netanjahu behält knappe Regierungsmehrheit: Ultraorthodoxe erklären Austritt aus Kabinett – aber nicht aus der Koalition
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verliert einen weiteren Regierungspartner am Kabinettstisch. In der Koalition will die ultraorthodoxe Partei Schas aber weiterhin bleiben.
Stand:
In Israel spitzt sich die Regierungskrise im Streit über den Wehrdienst für ultraorthodoxe Juden zu. Die ultraorthodoxe Partei Schas kündigte am Mittwoch an, das Kabinett von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu verlassen. Allerdings werde man Teil der Koalition bleiben. Damit ist Netanjahu nicht zu vorgezogenen Neuwahlen gezwungen. Auch die Bemühungen um einen Waffenstillstand im Gazastreifen sollten zunächst nicht beeinträchtigt werden.
Die ebenfalls ultraorthodoxe Partei Vereinigtes Tora-Judentum UTJ war am Dienstag aus der Koalition ausgetreten. Damit hat Netanjahus Bündnis nur noch eine Einstimmenmehrheit im Parlament. Die Schas stellte israelische Medienberichte richtig, die berichtet hatten, die Partei habe die Koalition verlassen und Netanjahu seine Regierungsmehrheit verloren.
Die Schas begründete den Austritt aus dem Kabinett damit, dass nicht garantiert sei, dass auch künftig religiöse Studenten aus ihrer Glaubensgemeinschaft vom Militärdienst ausgenommen würden. „Die Vertreter von Schas stellen schweren Herzens fest, dass sie nicht in der Regierung bleiben und Teil davon sein können“, teilte die Partei mit.
Die Vertreter von Schas stellen schweren Herzens fest, dass sie nicht in der Regierung bleiben und Teil davon sein können.
Statement der Schas-Partei
Auch UTJ begründete die Aufkündigung der Koalition damit, dass Tora-Studenten nicht vom Militärdienst ausgenommen würden. Durch den Austritt von UTJ war die Mehrheit der Koalition auf 61 der 120 Sitze in der Knesset geschrumpft.
Kritik am Austritt der UTJ
Die Entscheidung der UTJ erfuhr indes weitläufig Kritik. „Diese Politiker versuchen, junge orthodoxe Juden davon abzuhalten, sich ihren heroischen Gleichaltrigen anzuschließen, die das israelische Volk mit ihrem Leben verteidigen“, erklärte der ehemalige israelische Regierungschef Naftali Bennett. Der Oppositionspolitiker Avigdor Lieberman warf der UTJ im Onlinedienst X vor, nicht „an die Kämpfer vor Ort zu denken, die mehr Mitstreiter brauchen, um die Last mit ihnen zu teilen“.
In Israel ist der Militärdienst für Männer wie Frauen verpflichtend. Für ultraorthodoxe Talmud-Schüler galt jahrzehntelang eine Ausnahmeregelung. Diese sorgt seit Langem für Zwist und ist nach mehr als anderthalb Jahren Krieg gegen die radikalislamische Hamas im Gazastreifen zunehmend umstritten.
Bislang jonglierte Netanjahu zwischen dem Drängen ultraorthodoxer Parteien auf Ausnahmen vom Wehrdienst und den Forderungen anderer Mitglieder seiner Regierung, die Ausnahmen in Kriegszeiten auszuschließen. Als die Koalition 2022 gebildet wurde, stimmte Netanjahu der Verabschiedung eines neuen Wehrpflichtgesetzes zu, das den Forderungen der Ultraorthodoxen entsprochen hätte. Die Ausnahme für ultraorthodoxe Seminaristen von der allgemeinen Wehrpflicht war im vergangenen Jahr allerdings vom Obersten Gerichtshof gekippt worden.
Das Gericht hatte entschieden, dass das Verteidigungsministerium diesen Personen keine pauschale Befreiung aus religiösen Gründen mehr gewähren darf und der Staat mit der Einberufung ultraorthodoxer jüdischer Studenten beginnen muss. Das Militär kündigte daraufhin an, jährlich etwa 3000 Ultraorthodoxe zu rekrutieren.
Angesichts des Kriegs im Gazastreifen und weiterer Einsätze hatte das israelische Militär Anfang Juli dieses Jahres die politisch umstrittene Einberufung von 54.000 ultraorthodoxen jüdischen Seminarstudenten angekündigt. Es sollten zwar wegen religiöser Belange besondere Vorkehrungen getroffen werden. Jedoch sollte die Einberufung laut Militär noch im Juli beginnen. Die 1,3 Millionen ultraorthodoxen Juden machen rund 14 Prozent der jüdischen Bevölkerung Israels aus. Unter ihnen sind 66.000 junge Männer im wehrfähigen Alter. (Reuters/dpa/AFP)
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: