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Beit Lahia im nördlichen Gazastreifen.

© AFP/OMAR AL-QATTAA

„Netanjahu liegt falsch“: Hamas in Gaza wohl an vielen Orten weiterhin kampfbereit

Der Sieg gegen die Hamas sei nahe, verkündete Israels Premierminister Netanjahu in einer Rede vor dem US-Kongress. Ein neuer Report widerspricht dieser Darstellung.

Stand:

Die israelische Offensive in Gaza hat es nicht geschafft, den militärischen Arm der Hamas kampfunfähig zu machen. Das ist die zentrale Erkenntnis eines investigativen Reports des US-Nachrichtensenders CNN in Zusammenarbeit mit dem Critical Threats Project (CTP) und dem Institute for the Study of War (ISW), der am Montag veröffentlicht wurde.

Damit widerspricht der Bericht der Darstellung des israelischen Premierminister Netanjahu, dass der brutale Krieg in Gaza in der Lage sei, die Hamas zu zerstören. Und, wie Netanjahu erst vergangenen Monat vor dem US-Kongress verkündete: dass ein „Sieg“ in greifbarer Nähe sei.

Die Hamas ist kampfbereit.

Brian Carter, Forscher am Critical Threats Project

Der Report des Recherchekollektivs hat die Kampffähigkeit der Kassam-Einheiten untersucht, dem militärischen Arm der Hamas in Gaza. Und kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Nur drei der 24 Verbände seien zum Stichtag 1. Juli kampfunfähig.

Trotz intensiver Angriffe aus der Luft und am Boden durch die israelische Armee (IDF) könnten viele Verbände ihre Struktur erhalten – und wieder aufbauen. „Wenn die Israelis sagen, dass sie einen Ort geräumt haben, dann stimmt das meist nicht“, sagt Brian Carter vom Critical Threats Project (CTP), der für die Analyse der Kampfverbände federführend verantwortlich war.

Gut die Hälfte der 24 Verbände kann die ihnen zugewiesenen militärischen Aufgaben nicht mehr erfüllen – aber ist auch nicht komplett zerstört. Diese Einheiten nutzen vor allem Guerilla-Taktiken und sind größtenteils nicht in der Lage, der IDF großen Schaden zuzusetzen.

Acht der 24 Verbände stuft der Bericht als kampffähig ein. Die Einheiten sind demnach in der Lage, die ihnen von der Kommandostruktur zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Für die an der Studie beteiligten Kriegsforscher:innen bedeutet das: Die Einheiten nutzten „anspruchsvolle Taktiken und fortgeschrittene Waffensysteme“ bei der Verteidigung gegen die israelische Offensive.

Überraschenderweise sind diese kampffähigen Einheiten dabei auch im Norden des Gazastreifens stationiert, beispielsweise in Gaza-Stadt. Also Orte, die monatelang von der IDF angegriffen wurden. Diese Verbände sollen viele der noch im Gazastreifen verbleibenden israelischen Geiseln halten. Das können einer der Gründe sein, warum das israelische Militär die Einheiten nicht ausgeschaltet habe.

Die israelische Armee widersprach den Darstellungen. Die „meisten“ Hamas-Brigaden in Gaza seinen faktisch ausgelöscht, und könnten „nur noch auf einem niedrigen Kompetenzniveau und nicht mehr im militärischen Rahmen operieren“, so die IDF in einer Stellungnahme. Israel will über 16.000 Terroristen sowie den Großteil der militärischen Führungsriege der Hamas getötet haben. Auch die Raketen-Bestände der Organisation sind wohl weitgehend erschöpft.

Netanjahu liegt falsch.

Peter Mansoor, ehemaliger US-Army-Kommandeur

Für die Analyse haben die Journalist:innen von CNN nach eigenen Angaben tausende Dokumente und Videos analysiert. Unterstützt wurde diese Analyse durch Interviews mit israelischen Militärs und palästinensischen Zivilist:innen.

Ein Ergebnis des Reports: Vor allem das Fehlen eines Plans der Nachkriegsordnung habe dazu geführt, dass die Hamas ihre Verbände wieder aufbauen könne. Seit Beginn des israelischen Angriffes auf Gaza sind nach Angaben der Hamas etwa 39.000 Menschen getötet worden. Diese Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen und schließen getötete Kämpfer ein.

Und auch wenn Palästinenser:innen in Gaza vermehrt Kritik an der Hamas übten, sei „der Fokus der Wut Israel“, sagt Arwa Damon, Präsident der humanitären Organisation INARA der seit dem 7. Oktober mehrmals nach Gaza gereist ist.

„DIe Israelis haben viele Hamas-Kämpfer umgebracht“, sagt Emily Harding vom Center for Strategic and International Studies (CSIS). „Doch nach all den Dingen, die Israel angestellt hat, wird die Hamas wie verrückt neue Kämpfer rekrutieren können.“

Auch deswegen werde der Konflikt nicht mit einem militärischen Sieg enden, sagt Peter Mansoor, ein Ex-US-Army-Kommandeur, der eine zentrale Rolle bei der US-amerikanischen Invasion des Iraks innehatte. „Netanjahu liegt falsch. Falls die Hamas besiegt wäre, würde die IDF nicht immer noch in Kampfhandlungen involviert sein“.

Für Mansoor basiert eine erfolgreiche Strategie in Kontexten wie Irak oder Gaza auf drei Säulen: Dem militärischen Sieg über feindliche Einheiten, dem Vorrücken auf feindliches Gebiet und dem Aufbau von sozialen Beziehungen mit der lokalen Bevölkerung. Doch der letzte Schritt sei für Gaza nie geplant worden, sagt Mansoor.

Deswegen könne die militärische Strategie der IDF auch nicht zu einem Sieg führen. „Der einzige Weg, wie dieser Konflikts enden wird, ist mit einem palästinensischen Staat. Und die Palästinenser müssen ihrerseits anerkennen, dass Israel nicht von der Karte verschwinden wird“, sagt Mansoor.

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