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Benjamin Netanjahu, Premierminister von Israel, in der Knesset, dem israelischen Parlament.

© dpa/Ohad Zwigenberg

Netanjahu zu Besuch in Berlin: Es ist Zeit für offene Worte des Kanzlers

Israels Regierung will die Gewaltenteilung abschaffen und keine Zweitstaatenlösung mehr. Das widerspricht diametral den Werten und Positionen deutscher Außenpolitik.

Ein Gastbeitrag von Peter Lintl

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu kommt am Mittwochabend zu Besuch nach Deutschland. Er wird über Iran und die Lage in der Region, den weiteren Ausbau der Sicherheitskooperation und gegebenenfalls auch über den Verkauf des Raketenabwehrsystems Arrow 3 sprechen wollen.

Aber der Besuch hat einen weiteren Hintergrund: Er soll den politisch enorm unter Druck geratenen Netanjahu entlasten und ihm eine Bühne bieten, auf der er strahlen kann. Denn in Israel protestieren seit Wochen Hunderttausende gegen die von seiner Regierung geplante sogenannte Justizreform.

Und auch international verliert seine Regierung an Ansehen: Netanjahu hat mittlerweile Probleme, einen Besuchstermin bei Verbündeten in Washington und Abu Dhabi zu bekommen.

Maximale Konfrontation mit Palästinensern

Dies hängt mit seiner rechten, antiliberalen Koalition zusammen, die auch rechtsextreme Parteien einschließt. Sie verfolgt eine Politik, die den Staat Israel grundlegend verändern soll: Dies betrifft erstens die sogenannte Justizreform, die auf eine Entmachtung des Obersten Gerichtshofs hinausläuft und Israel in eine illiberale Demokratie verwandeln würde. Damit wäre einer parlamentarischen Mehrheit keine Beschränkung mehr auferlegt, ganz explizit könnte sie sogar über den Status von Grundrechten verfügen.

Zweitens treibt die Regierung Netanjahu eine Politik maximaler Konfrontation gegenüber den Palästinensern voran und wendet sich nachdrücklich von einer Zweistaatenlösung ab: Bereits der erste Satz des Koalitionsvertrages betont, dass Israel ein alleiniges Recht auch auf das Westjordanland habe.

Zwei Parteien der Regierung befürworten sogar einen „Bevölkerungstransfer“, also mehr oder weniger eine Vertreibung der Palästinenser aus dem Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer.

Dieser Besuch ist für Bundeskanzler Scholz eine Herausforderung. 

Peter Lintl, Israelexperte bei der Stiftung für wissenschaft und Politik

Dies sind Positionen, die den Werten der Bundesrepublik wie auch ihren Standpunkten zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts diametral entgegenstehen. Daher ist dieser Besuch für Bundeskanzler Scholz eine Herausforderung.

Denn die deutsche Israelpolitik ist vor allem von zwei Säulen geprägt: Erstens der aus der Vergangenheit abgeleiteten Verantwortung gegenüber Israel, wie sie sich etwa im Diktum, Israels Sicherheit sei deutsche Staatsräson, zeigt. In diesem Kontext ist Israel eine Art Kronzeuge der deutschen „Besserung“: Je stärker die Freundschaft mit Israel, desto größer die Distanz zum Nationalsozialismus.

Zweitens wird das Verhältnis zu Israel aber auch an jenen Werten gemessen, die der deutschen Außenpolitik als Leitfaden dienen: Völkerrecht, Menschenrechte, liberale Demokratie und Friedensorientierung.

Kein Zeigefinger, aber klare öffentliche Worte

Zwischen diesen beiden Säulen herrscht ein offensichtliches Spannungsverhältnis, das sich seit dem Regierungsantritt Netanjahus 2009 deutlich verstärkt hat. In der Vergangenheit versuchten deutsche Politiker diese Dissonanz abzumildern, indem Formulierungen gesucht wurden, die beiden Aspekten gerecht wurden. Dazu diente auch, dass Differenzen vornehmlich hinter verschlossen Türen geäußert wurden und man es öffentlich bei einem  „agree to disagree“ beließ.

War dies bei den Netanjahu-Regierungen der 2010er Jahre oftmals ein schwieriger Balanceakt, so funktioniert es mit der aktuellen israelischen Regierung kaum mehr: Zu groß sind die Differenzen zu deutschen Positionen und zu drastisch die potentiellen Auswirkungen der Vorhaben der israelischen Regierungskoalition.

Deutschland muss nicht mit erhobenen Zeigefinger agieren, aber dennoch sollten die Differenzen klar und öffentlich artikuliert werden. Ein Nicht-Ansprechen unterminiert nicht nur die eigenen Werte, es würde geradezu der Regierung Netanjahu gegenüber den Demonstrierenden in Israel den Rücken stärken.

Im Hinblick auf die Justizreformen in Polen und Ungarn ist die Position der Bundesregierung deutlich. Die Pläne zur Beschneidung der Justiz in Israel ähneln denen der ungarischen und polnischen Regierung - hinzu kommt eine eskalierende Politik gegenüber den Palästinensern.

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