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Gerupfter Sieger. Polens Regierungschef Donald Tusk.

© REUTERS/Kacper Pempel

Polens Regierung gewinnt Vertrauensvotum: Scheitern abgewehrt, aber die Krise bleibt

Die Koalition unter dem Liberalen Donald Tusk überlebt die Niederlage bei der polnischen Präsidentenwahl. Aber sie muss sich neu aufstellen, um die Rückkehr der PiS an die Macht zu verhindern.

Christoph von Marschall
Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Stand:

Polens Premier Donald Tusk hat das Vertrauensvotum im Parlament überlebt. Ein strahlender Sieger aber ist er nicht. Die eigentlichen Herausforderungen liegen noch vor ihm. Doch er hat zumindest etwas Zeit gewonnen, um sie zu bestehen.

243 Abgeordnete stimmten für Tusk, 210 dagegen: Das ist ein besseres Ergebnis, als der Premier angesichts der realen Machtverhältnisse erwarten durfte.

Tusk muss nun seine breit gefächerte Regierungskoalition neu aufstellen, das Kabinett umbilden und zu einer neuen Absprache mit den Koalitionspartnern kommen. Deren politische Spanne reicht, wenn man das deutsche Parteienspektrum an Polen anlegt, vom moderaten Flügel der Linkspartei über Sozialdemokraten, Grüne und Liberale bis zu Bürgerlich-Konservativen.

Für das Tusk-Lager hat sich das strategische Ziel fundamental verändert.

Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion.

Eine so breite Koalition war bei der Parlamentswahl im Herbst 2023 nötig, um die nationalpopulistische Partei PiS nach deren acht Regierungsjahren von der Macht zu vertreiben. Kompromisse sind unter derart heterogenen Partnern allerdings nicht so leicht zu erreichen.

Seit der Niederlage des Regierungskandidaten Rafal Trzaskowski bei der Präsidentenwahl vor zehn Tagen sind die ursprünglichen Planungen für das Regierungshandeln Makulatur. Das künftige Staatsoberhaupt Karol Nawrocki, der die Interessen der PiS vertritt, wird die Blockade der Regierung mit seinen Vetorechten fortsetzen.

Nach ihrem Sieg bei der Parlamentswahl 2023 sah die Tusk-Koalition sich gehindert, ihre Wahlversprechen umzusetzen, vom Abtreibungsrecht über die Korrektur der Justizreform der PiS bis zur Medienpolitik. Denn im polnischen System hat der Präsident weitreichende Vetorechte.

Die hatte das bisherige Staatsoberhaupt Andrzej Duda, ein Vertreter der PiS, genutzt. Unter Nawrocki wird sich die Konfrontation noch verschärfen.

Neues Ziel: Die nächste Parlamentswahl

Denn nun richten beide Lager ihre Taktiken und Strategien daran aus, eine optimale Ausgangsposition für die nächste Parlamentswahl zu gewinnen. Regulär steht sie 2027 an. Aber die PiS hätte auch nichts dagegen, wenn die Tusk-Koalition früher zerbricht.

Für das Tusk-Lager hat sich das strategische Ziel fundamental verändert. Der Premier wollte nach dem geplanten Sieg seines Kandidaten Trzaskowski bei der Präsidentenwahl jetzt erst so richtig loslegen – in der Erwartung, kein Veto mehr fürchten zu müssen.

Stattdessen findet er sich in der Defensive wieder und muss nun alles daransetzen, dass die PiS die nächste Parlamentswahl nicht gewinnt. Denn dann könnte sie den Staatsumbau Polens nach dem Vorbild von Orbáns Ungarn aus den Jahren 2015 bis 2023 in Kooperation mit dem PiS-freundlichen Präsidenten Nawrocki weiter vorantreiben.

Die Wahlniederlage hat jedoch alle Koalitionspartner in einen Schock versetzt. Sie agieren im Überlebensmodus. Jede Partei denkt erstmal an sich und erst in zweiter Linie an die gemeinsamen Interessen in der Koalition.

Sperriger Partner für Deutschland und Europa

Tusk wird damit zu einem sperrigeren Partner für Deutschland und Europa. Nach dem Votum der Wähler muss er noch stärker als bisher berücksichtigen, wo die Polinnen und Polen die nationalen Interessen verorten. Und die liegen in vielen Feldern nicht auf einer Linie mit den Politikansätzen der Bundesregierung und der EU-Kommission, vom Green Deal über die Klima- und Energiepolitik, Migration und Asyl bis zur Verteidigung und dem Umgang mit der Ukraine.

So werden die neuen Machtverhältnisse in Warschau nicht nur zu einer Vertrauensfrage und einem Belastungstest für Polen. Sondern ebenso für die deutsch-polnische Kooperation und für die EU.

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