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Schriftsteller wegen „Terrorpropaganda“ vor Gericht: Wie die Türkei die kurdische Kultur unterdrückt
Der türkisch-kurdische Schriftsteller Yavuz Ekinci steht ab Mittwoch in Istanbul wegen seiner Arbeit vor Gericht. Es ist kein unbekanntes Muster in der Türkei, Schriftsteller zu verfolgen.
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„Literatur vor Gericht zu stellen, das ist wie den Wind einsperren zu wollen.“ Das schrieb jüngst der türkische Erfolgsautor Ahmet Ümit in einem Solidaritätsschreiben an den türkisch-kurdischen Schriftsteller Yavuz Ekinci. „Das kann niemals gelingen.“ Die türkische Justiz versucht es trotzdem: Für seinen Roman „Rüyasi Bölünenler“ („Die, deren Träume zerteilt werden“) steht Ekinci ab Mittwoch in Istanbul wegen „Terrorpropaganda“ vor Gericht.
Der Roman um einen kurdischen Flüchtling, der aus dem Asyl in Berlin ins südostanatolische Batman zurückkehrt und in die kurdischen Berge zieht, wurde in der Türkei schon vor zwei Jahren verboten und beschlagnahmt. „Weil das Gericht die Romanfiguren nicht einsperren kann, will es jetzt den Autoren als Geisel nehmen“, kommentierte Ekinci die Anklage. Der Schriftsteller, der zwischen Istanbul und Hamburg pendelt, will zu der Verhandlung erscheinen, wie er dem Tagesspiegel sagte.
Der Schriftstellerverband PEN International forderte die sofortige Einstellung des Verfahrens. „Die Verfolgung von Yavuz Ekinci sendet eine gefährliche Warnung an andere Schriftsteller in der Türkei“, erklärte der Vorsitzende von PEN International, Burhan Sönmez, der selbst türkischer Kurde ist.
„Sie laufen alle Gefahr, verunglimpft und ins Gefängnis gesteckt zu werden, wenn sie Bücher schreiben, die nicht auf offizieller Linie liegen, oder wenn sie es wagen, schwierige Themen zu behandeln.“ PEN werde den „absurden Prozess“ genau beobachten und fordere ein Ende der Einschüchterungsversuche gegen den Autor.
Ekinci war schon einmal zu Haft auf Bewährung verurteilt worden
Ekinci war wegen einer Reihe von Twitter-Botschaften aus den Jahren 2011 und 2012 schon einmal zu eineinhalb Jahren auf Bewährung verurteilt worden, bevor sein 2014 erschienener Roman „Rüyasi Bölünenler“ im Februar 2022 verboten wurde. Bei einer Verurteilung im aktuellen Verfahren drohen ihm bis zu sieben Jahre im Gefängnis.
Von Ekincis späteren Romanen erschienen bereits drei Titel in deutscher Übersetzung; „Rüyasi Bölünenler“ ist nicht darunter. Sein deutscher Verlag äußerte sich empört über die Anklage. „Das gleicht einer ganz schlechten Verfilmung von ‚1984‘“, sagt Moritz Kunstmann vom Verlag Antje Kunstmann dem Tagesspiegel.
Bedenklich sei vor allem die „fortgesetzte Drangsalierung“ des Schriftstellers, die auf eine „Zermürbungstaktik“ hinauslaufe. Vor dem Hintergrund dieser Drangsalierung und auf Einladung des Literarischen Colloquiums Berlin und PEN verbrachte der preisgekrönte Schriftsteller im vergangenen Jahr einen mehrwöchigen Arbeitsaufenthalt in Berlin, kehrte dann aber nach Istanbul zurück; er reist zu Lesungen und anderen Projekten regelmäßig nach Hamburg.
Wegen dieser Renaissance der kurdischen Kultur hat der Staat nun begonnen, auf die kulturellen Aktivitäten der Kurden zu zielen.
Mesut Yegen, Soziologe und Herausgeber der Zeitschrift für Kurdische Geschichte
Die Verfolgung des kurdischen Schriftstellers ordnet sich in eine neue Welle der Repression gegen kurdische Kultur in der Türkei ein. Dutzendfach wurden in den letzten Wochen kurdische Musiker und Tänzer unter dem Vorwurf verhaftet, mit Gesang und Tanz die kurdische Terrororganisation PKK gerühmt und sich damit der Terrorpropaganda schuldig gemacht zu haben.

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Experten sehen darin eine Reaktion des türkischen Staates auf einen Aufschwung kurdischer Kultur in der Türkei, wo Kurden sich infolge politischer Repression auf den kulturellen Ausdruck ihrer Identität verlegt haben. „Wegen dieser Renaissance der kurdischen Kultur hat der Staat nun begonnen, auf die kulturellen Aktivitäten der Kurden zu zielen“, sagt der Soziologe Mesut Yegen, der die Zeitschrift für Kurdische Geschichte herausgibt. Denn diese kulturellen Aktivitäten zeigten dem Staat, „dass die Kurdenfrage trotz der Repression der letzten Jahre immer noch da ist“, sagte Yegen unserer Zeitung.
Von türkischen Schriftstellern kommen zahlreiche Solidaritätsbekundungen mit Ekinci. „Freiheit für Yavuz Ekincis Bücher“, forderte Bestseller-Autor Ahmet Ümit. „Keine Zensur an Büchern“, schrieb die Schriftstellerin Buket Aydin. „Bücher durch Gerichtskorridore zu schleifen, ist vulgär“, erklärte die türkische Exil-Autorin Ege Temelkuran. „Yavuz Ekinci, ich stehe hinter dir.“
Die staatliche Verfolgung von Schriftstellern hat in der Türkischen Republik eine lange Tradition. Schon der Schriftsteller Sabahattin Ali, dessen „Madonna im Pelzmantel“ bis heute weltweit gelesen wird, wurde in den 1930er Jahren wegen Kritik am damaligen Staatspräsidenten Atatürk eingesperrt und später bei der Flucht erschossen.
Zu den prominenteren Verfolgten unter den türkischen Schriftstellern zählten in jüngster Zeit die international bekannte Autorin Elif Safak, die 2006 für ihre Thematisierung der Massaker an den Armeniern vor Gericht gestellt wurde, und der Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk, der 2011 wegen Beleidigung des Türkentums verurteilt wurde.
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