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Dieser Videostandbildausschnitt aus einem von dem ukrainischen Medienunternehmen ZN.UA veröffentlichten Filmmaterial zeigt den Start von Langstrecken-Marschflugkörpern namens Flamingo (Archivbild).

© AFP/HANDOUT

Selenskyj gibt Flamingo-Einsatz bekannt: Wo haben die neuen Marschflugkörper in Russland eingeschlagen?

Die Ukraine verstärkt ihre Angriffe auf die russische Ölindustrie. Unterdessen mehren sich die Berichte, dass auch der potenziell zerstörerische, selbst entwickelte Flamingo-Marschflugkörper bereits in Russland eingeschlagen ist.

Stand:

Im Spätsommer enthüllte die Ukraine einen selbstproduzierten Marschflugkörper namens Flamingo, der angeblich 3000 Kilometer weit fliegt. Zumindest theoretisch würde das bis nach Moskau und weit darüber hinaus reichen, denn der Flamingo hat eine größere Reichweite als alle anderen Raketen und Marschflugkörper im ukrainischen Arsenal. Die Massenproduktion soll zum Jahreswechsel starten – doch offenbar hat die Ukraine den Flamingo bereits jetzt auf Russland abgefeuert.

Auf einer Pressekonferenz mit dem niederländischen Premierminister wurde der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj jüngst nach dem Einsatz des Flamingos gefragt. Dort antwortete er noch ausweichend, betonte laut „RBC-Ukraine“ allerdings, dass die Ukraine zuletzt ausschließlich ukrainische Waffen für Schläge in Russland eingesetzt hat – und zwar ausdrücklich eben nicht nur Kampfdrohnen, mit denen die Ukraine schon lange in Russland angreift. Damit kommen ausländische Marschflugkörper wie zum Beispiel die britischen Storm Shadows nicht infrage, eigene Produkte wie die Flamingos aber eben schon.

Selenskyj behauptet nun: Der Flamingo wurde eingesetzt

Inzwischen hat Selenskyj laut veröffentlichten Äußerungen in einer Besprechung mitgeteilt, dass die Ukraine bei Angriffen in der vergangenen Woche im Inland hergestellte Marschflugkörper des Typs Neptun und eben auch die deutlich weiter fliegenden Flamingos eingesetzt hat. In Russland hätte daher zeitweise bis zu 20 Prozent weniger Treibstoff als gewöhnlich zur Verfügung gestanden.


Indizien für Flamingo-Einschlag in FSB-Basis auf der Krim

Auch „The Economist“ verwies zuvor auf „Berichte“, wonach der Flamingo bereits zum Einsatz gekommen ist. Falls Selenskyjs Behauptung und die Berichte stimmen, wo könnte der Flamingo dann eingesetzt worden sein?

Klar ist: Ein Einschlag kann nicht unbemerkt passieren, da die potenzielle Zerstörungskraft dank eines mehr als eine Tonne schweren Gefechtskopfes groß ist. Zum Vergleich: Der Gefechtskopf einer ukrainischen Langstreckendrohne vom Typ FP-1 wiegt nur 120 Kilogramm.

Ein Flamingo-Einschlag muss angesichts gewaltiger Explosionen also Spuren hinterlassen – Spuren vielleicht, wie sie auf Satellitenaufnahmen einer russischen Anlage auf der besetzten Halbinsel Krim zu sehen sind, die Anfang September auf X kursierten?

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Fabian Hoffmann, Waffenexperte an der Universität Oslo, analysierte die Fotos im September. Sie sollen einen Außenposten des russischen Geheimdienstes FSB zeigen.

Nach offiziellen Angaben wurden bei dem Angriff drei Flamingo-Marschflugkörper eingesetzt“, schrieb Hoffmann. Das ukrainische Online-Magazin „Militarnyi“ verwies in seiner Berichterstattung auf „Militärquellen“.

Die Fotos oben zeigen Hoffmanns Analyse nach zwei Einschläge: einer hat wohl mindestens eines der Häuser des Postens beschädigt, der andere passierte offenbar direkt an der Küste. Der Sprengkopf zum Küsten-Treffer scheint im Wasser detoniert zu sein, „wodurch am Ufer ein Krater entstand und die Umgebung in Brand geriet“, schrieb Hoffmann. Angesichts der enormen Sprengladung sei es denkbar, dass Schiffe im Explosionsradius beschädigt wurden.

„In beiden Fällen verursachten die Sprengkopfdetonationen Krater mit einem Durchmesser von 13 bis 15 Metern, was die enorme Durchschlagskraft des Flamingos demonstriert“, so Hoffmann. Besonders zielgenau scheine die Waffe jedoch nicht zu sein.

Der Start insgesamt dreier „eindeutig als Flamingos“ zu identifizierenden Flugobjekte in Richtung FSB-Basis soll auf diesem Video zu sehen sein:

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Was mit dem dritten Marschflugkörper passierte, bleibt unklar – womöglich wurde er abgefangen oder ist wegen eines technischen Fehlers abgestürzt. Das Ziel – die FSB-Basis auf der Krim – könnte laut Hoffmann damals ausgewählt worden sein, weil sie einen relativ einfachen Test des neuen Marschflugkörpers ermöglichte. Schließlich mussten die Marschflugkörper dafür nicht tief in russisches Gebiet fliegen.


Unsicherere Indizienlage bei Angriffen auf Putins Öl und Munition

Doch sind die Flamingos nun auch schon in Russland zum Einsatz gekommen, wie es Selenskyjs Aussagen nahelegen und wie es auch der ukrainische Abgeordnete Yehor Chernev diese Woche im ukrainischen Fernsehen behauptet hat?

Fakt ist: Seit August landete die Ukraine auffällig viele Treffer in russischen Öl-Anlagen, die sich teilweise direkt hinter der ukrainischen Grenze befinden und so gesehen ebenfalls gute Ziele für den neuen Marschflugkörper abgeben könnten. Vier oder fünf Luftattacken pro Woche sollen es inzwischen sein, berichtete „The Economist“. Die Ukraine will damit die Kriegskosten für den russischen Machthaber Wladimir Putin in die Höhe treiben, der seine Invasion zu einem beträchtlichen Teil mit dem Export fossiler Energie finanziert.

Militärexperte Gustav Gressel von der Landesverteidigungsakademie in Wien sagte dem Tagesspiegel, dass zumindest Indizien auf Flamingo-Attacken auch gegen Putins Öl-Anlagen hindeuten – etwa weil der Schaden für Russland offenbar schwierig zu reparieren sei und deswegen wahrscheinlich groß war. Doch angesichts fehlenden Bildmaterials lasse sich noch kein eindeutiges Urteil fällen, so Gressel.

Neben russischen Stützpunkten und Öl-Anlagen kommt ein weiteres Ziel für den Flamingo infrage: die russische Waffenindustrie. Am 6. Oktober gab die ukrainische Armee einen Angriff auf das Swerdlow-Werk bekannt, einem großen Hersteller von Sprengstoff und Munition. Der Standort liegt 400 Kilometer östlich von Moskau – und damit immer noch in Reichweite des Flamingos. Explosionen und Brände in der Umgebung des Zieles sollen registriert worden sein, behauptete das ukrainische Militär.

Andriy Tkachuk, ein Offizier der ukrainischen Armee, spekulierte im ukrainischen Nachrichtensender 24 Kanal, dass der Flamingo für die Schäden verantwortlich sein könnte. Einen Beleg, dass dieser Angriff tatsächlich mit den neuen Marschflugkörpern erfolgte, lieferte er jedoch nicht.

Egal, ob und wie oft der Flamingo bisher gestartet wurde, könnte er doch fraglos die Schlagkraft der Ukraine gegenüber Russland erhöhen. Er könnte auch die Abhängigkeit von ausländischen Marschflugkörpern wie dem deutschen Taurus oder dem amerikanischen Tomahawk reduzieren, die auf der Wunschliste von Präsident Wolodymyr Selenskyj stehen. Entsprechend groß ist auch das Medieninteresse an den Flamingos.


Kritik am Flamingo aus der Ukraine

Doch die neue Waffe und die verbundene Berichterstattung sorgt auch für Kritik unter ukrainischen Beobachtern. Der Politikanalyst Alexandr Kochetkov etwa, der in den 1990ern für die Präsidialverwaltung arbeitete, veröffentlichte seine Vorbehalte gegen den Flamingo jüngst in einem Facebook-Post. Er sieht in dem neuen Marschflugkörper vor allem einen PR-Gewinn für das dahinterstehende, 2022 gegründete Unternehmen Fire Point und zweifelt die Leistungsfähigkeit der Waffe an.

Im August wurde außerdem berichtet, dass staatliche Korruptionsermittler die ukrainische Firma wegen möglicherweise aufgeblähter Rechnungen untersuchen, wobei der Flamingo offiziellen Angaben nach nicht Gegenstand der Untersuchungen war. (mit Reuters)

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