
© REUTERS/RFE/RL/SERHII NUZHNENKO
„So was habe ich im gesamten Krieg noch nicht gesehen“: Ukrainischer Offizier beschreibt verlustreichen russischen Ansturm auf Pokrowsk
Zahlenmäßig unterlegen versuchen ukrainische Soldaten, die Frontstadt Pokrowsk zu verteidigen, während Russland sie einkesseln will. Der Nachschub des Angreifers erscheint endlos.
Stand:
In der Militärsprache wird der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland als „Abnutzungskrieg“ bezeichnet: Es geht darum, den Kampf länger durchzuhalten als der Gegner. In dieser Hinsicht hat Russland den Vorteil, die Materialkosten für Drohnen und Panzer – trotz der Sanktionen – aus dem Geschäft mit Öl und Gas zu decken.
Außerdem nehmen die Anführer der Invasionsarmee schon lange den massenweisen Tod der eigenen Soldaten in Kauf, weil der Nachschub zumindest bisher kein großes Problem zu sein scheint.
Das zeigt sich nun wieder im Kampf um die Frontstadt Pokrowsk im Osten. Auch hier kämpft Russland unter hohen Verlusten, wie jetzt wieder durch die eindrückliche Schilderung eines ukrainischen Offiziers der 25. Luftlandebrigade deutlich wird.
Dieser Soldat hat seine Erfahrungen von vor Ort mit dem „Wall Street Journal“ geteilt. Er gehört zu denen, die der Meinung sind, dass die ukrainischen Truppen derzeit noch im Vorteil sind. Allerdings spricht er von einem Ansturm russischer Soldaten auf seine Brigade, die täglich zwischen 50 und 100 Gegner töten würde – die Verwundeten kommen noch dazu.
Ein kurzer Blick in die Statistik führt die extreme Situation in Pokrowsk vor Augen. In der Kriegswissenschaft wird gemeinhin davon ausgegangen, dass Angreifer mehr Kräfte einsetzen müssen als Verteidiger. Für den Häuserkampf etwa sprach Militärexperte John Spencer von einem Verhältnis fünf zu eins. Doch für den Kampf um Pokrowsk geht die ukrainische Armee von einem Verhältnis 10 zu eins aus, wie das US-Institut für Kriegsstudien Ende Oktober berichtete.
„Ich habe im gesamten Krieg noch nicht gesehen, dass sie dermaßen hohe Verluste machen und trotzdem weiter angreifen“, zitiert das „Wall Street Journal“ den ukrainischen Offizier.
Um Pokrowsk wird seit zwei Jahren gekämpft – eine Zeit, in der Russland deutliche Fortschritte bei der Drohnenkriegsführung machte, wie Militärexperte Franz-Stefan Gady dem Tagesspiegel bereits im August nach einem Frontbesuch berichtete.
Das sei ein Problem, da das „gesamte ukrainische Verteidigungssystem auf der Überlegenheit in der Drohnenkriegsführung aufgebaut ist“. Auch was die Drohnen angeht, scheint Russland in Pokrowsk überlegen zu sein.
Ukrainische Truppen sprechen dem Bericht nach von einem Drohnen-Verhältnis 10 zu eins. „Sie dominieren den Himmel“, sagte der Offizier. „Das Summen der Drohnen hört keine Sekunde auf“. Russland hätte mehr Ressourcen, also „Menschen, Drohnen, Einheiten“, so der Offizier. „Sie versuchen, Probleme mit Masse zu lösen: mehr Körper oder mehr Metall.“
Viele der Angriffsdrohnen hängen an langen Glasfaserkabeln, damit sie nicht von Störsendern vom Kurs abgebracht werden können. Die Überbleibsel bedecken den Boden, wie dieses angeblich in der Nähe von Pokrowsk aufgenommene Video zeigen soll:
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Im – mittlerweile weitgehend zerstörten – Pokrowsk zeigt sich demnach aber auch ein anderes, größeres Problem für die Ukraine, auf das westliche Militärexperten seit langem hinweisen: Dem Land mit einer bereits vor der Invasion 2022 schrumpfenden Bevölkerung fehlen im vierten Kriegsjahr zunehmend die Soldaten. Truppen aus Pokrowsk berichten davon, nur zu 20 Prozent ihrer vollen Stärke besetzt zu sein.
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