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Geladene Gäste verfolgen die Eröffnung des Besucherzentrums des Bundesnachrichtendienstes (BND).

© dpa/Wolfgang Kumm

„Systematisch und in großem Umfang“: Russland setzt laut BND-Bericht verstärkt chemische Waffen in der Ukraine ein

Russland nutzt im Krieg gegen die Ukraine laut BND in großem Umfang chemische Waffen. Der Geheimdienst und die Bundesregierung sprechen von einem schweren Verstoß gegen das Chemiewaffenabkommen.

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Russland hat nach Angaben des Bundesnachrichtendienstes (BND) den Einsatz von chemischen Waffen in der Ukraine verstärkt. Der BND veröffentlichte am Freitag eine gemeinsame Erklärung mit niederländischen Geheimdiensten, in der Russland schwere Verstöße gegen die internationale Chemiewaffenkonvention vorgeworfen werden.

Demnach benutzt Russland im Ukraine-Krieg neben Tränengas und weiteren Chemiewaffen auch den chemischen Kampfstoff Chlorpikrin, „der in hohen Konzentrationen in geschlossenen Räumen tödlich sein kann“. Die Bundesregierung bestätigte die Berichte.

„Russland setzt immer häufiger eine breite Palette chemischer Waffen ein“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des BND mit dem niederländischen Militärgeheimdienst MIVD und dem niederländischen Nachrichtendienst AIVD. Mit Chlorpikrin sein nun „ein stärkerer chemischer Wirkstoff“ hinzugekommen.

Die Bundesregierung verurteilte den Vorgang als Verstoß gegen das Chemiewaffenübereinkommen. Dies sei ein Verstoß gegen das Abkommen, das den Einsatz von Lungenkampfstoffen unter allen Umständen untersage, sagte Regierungssprecher Stefan Kornelius am Freitag in Berlin mit Blick auf die gemeinsame Erklärung des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des niederländischen Geheimdienstes. Die Erkenntnis der Dienste passe zu der Feststellung, dass der Krieg mit immer höherer Brutalität und Intensität geführt werde.

Im vergangenen Jahr hatten schon Großbritannien und die USA Russland vorgeworfen, den Kampfstoff Chlorpikrin gegen ukrainische Soldaten eingesetzt zu haben. Die ölige Flüssigkeit Chlorpikrin, die massiv im Ersten Weltkrieg zum Einsatz kam, schädigt die Lunge und kann schwere Augen- und Hautreizungen hervorrufen.

„Dies stellt einen noch schwerwiegenderen Verstoß gegen das Chemiewaffenübereinkommen dar, das den Einsatz dieses chemischen Erstickungsmittels unter allen Umständen verbietet“, erklärten der BND und die niederländischen Geheimdienste. Demnach informierte der niederländische Verteidigungsminister Ruben Brekelmans am Freitag das Parlament in Den Haag über die Erkenntnisse.

BND spricht von gefährlicher Entwicklung

Russland setze Chemiewaffen „systematisch und in großem Umfang ein“, teilte Brekelmans der Erklärung zufolge mit. Dies sei eine gefährliche Entwicklung, „völlig inakzeptabel“ und zeige erneut „die Brutalität des Aggressors, dem die Ukraine gegenübersteht“.

Russland setze damit generell die Schwelle für den Einsatz von Chemiewaffen in Konflikten herab, erklärte Brekelmans weiter. Dies sei auch eine Gefahr für „das übrige Europa und die Welt“. Der niederländische Verteidigungsminister forderte vor diesem Hintergrund weitere Sanktionen sowie „die Isolierung Russlands“ und warb für eine „unverminderte militärische Unterstützung der Ukraine“.

9000 Mal chemische Waffen eingesetzt

Verwiesen wird in dem Bericht auch auf Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Demnach hat Russland seit Beginn seines Angriffskrieges gegen das Land im Februar 2022 bereits 9000 Mal chemische Waffen gegen ukrainische Streitkräfte eingesetzt. Nach Angaben Kiews seien mindestens drei Menschen durch den Kontakt mit Chemiewaffen getötet worden.

„Indirekt hat der russische Einsatz von Chemiewaffen zu einer weitaus größeren Zahl ukrainischer Opfer geführt“, hieß es weiter. Denn er habe ukrainische Soldaten gezwungen, „aus der Deckung zu gehen, so dass sie mit konventionellen Waffen getötet werden konnten“.

Nach Einschätzung des BND und der niederländischen Geheimdienste fördern die russische Militärführung sowie die russischen radiologischen, chemischen und biologischen Abwehrtruppen den Einsatz chemischer Kampfstoffe aktiv. Der Einsatz von Tränengas und Chlorpikrin durch russische Truppen sei „inzwischen gängige Praxis und alltäglich geworden und wird höchstwahrscheinlich auch in Zukunft eine Bedrohung darstellen“.

„Neben den massiven Investitionen in das russische Chemiewaffenprogramm baut das Land auch seine Chemiewaffenforschung aus“, erklärten die Geheimdienste. Dies zeige sich auch an der Rekrutierung neuer Wissenschaftler für das Programm.

Aus Sicht der Bundesregierung ist nun auch angesichts schwerer russischer Luftangriffe in der vergangenen Nacht eine entschlossene Haltung und die weitere militärische Unterstützung der Ukraine wichtiger denn je, wie Sprecher Kornelius weiter sagte. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) setze sich in Telefonaten intensiv für eine Stärkung der ukrainischen Flugabwehr ein.

Bundesregierung prüft Kauf von Patriot-System für Luftabwehr der Ukraine

Vor dem Hintergrund eines von den USA angekündigten teilweisen Stopps von Waffenlieferungen an die Ukraine prüfe die Bundesregierung verschiedene Wege, um die Luftverteidigung des Landes weiter zu stärken. Dazu gehörten auch intensive Gespräche über die Beschaffung von Patriot-Systemen. Das Problem sei drängend.

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums ergänzte, Ressortchef Boris Pistorius (SPD) werde Mitte Juli zu Gesprächen nach Washington reisen. Dabei werde es auch um die weitere Unterstützung der Ukraine gehen. Deutschland sei der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine. Maßgeblicher Engpass für die Lieferung von Waffensystemen seien jedoch die begrenzten Produktionskapazitäten weltweit. (AFP, Reuters)

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