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Drusische Milizen und Regierungstruppen im Gespräch.

© AFP/BAKR ALKASEM

„Tag für Tag wird die Situation kritischer“: Wie Kämpfe zwischen Drusen und der Regierung Syrien verändern könnten

Im Süden von Syrien hat sich mit den Gefechten zwischen drusischen Milizen und Regierungstruppen eine brisante Situation entwickelt. Israel unterstützt die Minderheit – und stellt Damaskus vor ein kaum lösbares Dilemma.

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Am Wochenende kam es erstmals seit dem Sturz des syrischen Diktators Assad zu Kämpfen zwischen Truppen der neuen islamistischen Regierung und Milizen der drusischen Minderheit in Jaramana, einem Vorort von Damaskus. Dabei starben zwei Soldaten.

Daraufhin versetzte die israelische Regierung die Luftwaffe in Alarmbereitschaft und erklärte, man „werde nicht zulassen, dass das Terrorregime des radikalen Islam in Syrien den Drusen Schaden zufügt“.

Während die Regierung in Damaskus ebenso wie die Weltöffentlichkeit bisher eher auf den Konflikt mit den kurdischen Milizen im Osten des Landes blickte, hat sich im Süden eine brisante Situation entwickelt.

„Tag für Tag wird die Situation kritischer. Sie entwickelt sich zum entscheidenden Faktor, von dem die Zukunft des neuen syrischen Staates abhängt“, sagt Eva Koulouriotis, Autorin des Nahost-Magazins „Syriawise“, dem Tagesspiegel.

Die Drusen sind eine religiöse Minderheit, die in Israel, dem Libanon und Syrien lebt, dort vor allem in drei Gebieten im Süden. In Israel gelten sie als die am besten integrierte Minderheit.

Der Mehrheitsislam betrachtet Drusen als Abtrünnige

In Syrien waren viele „Drusen sehr kritisch gegenüber dem Assad-Regime und auf die eigene Gemeinde fokussiert, andererseits aber auch nicht immer Teil der Opposition, deren islamistischen Elemente als Gefahr gesehen wurden“, sagt Tobias Lang, Nahost-Experte und Leiter des „Austrian Center for Peace“, dem Tagesspiegel.

Der sich im Mittelalter aus dem Schiitentum entwickelte drusische Glauben wird heutzutage vom Mehrheitsislam als abtrünnig betrachtet. „Es gab schon kritische Phasen der Existenzgefährdung im Bürgerkrieg“, sagt Lang. In Nordsyrien wurden ganze Dörfer zum Konvertieren gezwungen, und die Terrormiliz „Islamischer Staat“ verübte 2018 ein großes Massaker unter Drusen.

„Vor diesem Hintergrund glaube ich nicht, dass man die eigenen Milizen aufgeben wird“, lautet die Einschätzung von Lang. Zwar gebe es selbstverständlich auch Drusen, die für eine vollständige Eingliederung in den neuen Staat sind, doch insgesamt sei die Herrschaft von Islamisten, „in welcher Form auch immer, keine wahnsinnig verlockende Zukunftsperspektive“.

Aus Sicht des neuen Staates geht es bei den Kämpfen mit Milizen „letztendlich um die Frage des staatlichen Gewaltmonopols“, so der Experte. Denn die in Damaskus etablierte Regierung kontrolliert weite Teile des Landes de facto gar nicht: neben dem Süden vor allem die kurdischen Gebiete im Osten.

Für Koulouriotis zeigen die Kämpfe, dass die „Drusen nicht vom politischen Vorgehen der neuen Regierung überzeugt sind und bereit sind, deren Autorität entgegenzutreten – auch militärisch.“ Allerdings nicht offensiv, denn zeitgleich suchten die Führer der Drusen auch den Ausgleich und besuchten Damaskus.

Die Mehrheit der Drusen will eine Selbstverwaltung

Die Mehrheit der Drusen will nach Einschätzung von Koulouriotis eine weitgehende Autonomie im neuen Syrien – und die eigenen Waffen nicht ablegen. Ein drusischer Nationalismus hingegen, der einen eigenen Staat anstrebt, hat sich historisch nie wirklich entwickelt.

Die große Mehrheit lehnt die Idee einer Verbindung mit Israel strikt ab.

Eva Koulouriotis, Syrien-Expertin

Schließlich gibt es noch eine weitere Strömung, die nach Ansicht der Experten aber in der Minderheit ist: Im Dezember kursierte ein Video aus einem drusischen Dorf nah der israelischen Grenze, in dem eine Versammlung um einen Anschluss an Israel bat und auf die dortige politische Freiheit und die guten Lebensbedingungen der Glaubensbrüder verwies.

Zudem liegen manche drusische Dörfer bereits in dem Streifen an der Grenze, in den Israels Militär nach Assads Sturz eingerückt war. Doch die allermeisten Drusen sehen sich kulturell als Syrer „und die große Mehrheit lehnt die Idee einer Verbindung mit Israel strikt ab“, erklärt Koulouriotis.

Insbesondere deshalb, weil auf dem 1967 von Israel besetzten Golanhöhen viele syrische Drusen leben, die die Besetzung bis heute mehrheitlich nicht anerkennen.

Drusische Geistliche in Israel

© dpa/Leo Correa

Das israelische Interesse an den Drusen ist nicht neu. Bei seinem Amtsantritt hatte der israelische Außenminister Gideon Sa’ar seine Vision einer Allianz der Minderheiten im Nahen Osten skizziert: von Kurden über Drusen bis Juden.

Israel liefert bereits Hilfsgüter und plant wohl Arbeitsvisa

Die Idee eines Israel zumindest nicht feindlich gesonnenen Drusen-Staates an der Nordgrenze gab es bereits in den 1970er Jahren. Doch dieses Szenario ist aktuell kaum realistisch.

Eine weitgehende drusische Selbstverwaltung hingegen ist vielleicht machbarer denn je. Nach Ansicht von Koulouriotis würde Israel den Drusen dabei militärischen Schutz gewähren und zugleich verhindern, dass sich feindliche islamistische Kräfte dort festsetzen. Lieferungen humanitärer Güter aus Israel gibt es bereits.

Auch die Vergabe von israelischen Arbeitsvisa hält sie für aussichtsreich, da Drusen in Israel hoch angesehen sind und das Land nach dem Wegfall palästinensischer Arbeitern händeringend nach Arbeitskräften sucht. Ein entsprechendes Programm soll Medienberichten zufolge in Arbeit sein.

Die kurdische SDF beobachtetet die Situation genau und wird zweifellos daraus ihre Schlüsse ziehen.

Eva Koulouriotis, Syrien-Expertin

Manchen auf der drusischen Seite sei diese Situation „vielleicht gar nicht so unrecht“, glaubt Lang. Aber eine offene Zusammenarbeit ist schwer vorstellbar. Denn „man ist sehr sensibel, nicht das Narrativ zu bedienen, man sei Verräter“, erklärt Lang. Schließlich befinden sich Israel und Syrien offiziell im Krieg.

Die Regierung in Damaskus steht derweil vor einem kaum lösbaren Dilemma. Ein freiwilliger vollständiger Anschluss der Drusen an den Zentralstaat ist wenig wahrscheinlich und würde „Israel zwingen, eine längerfristige Sicherheitszone in Südsyrien zu etablieren“, so Koulouriotis.

Israel wird keine feindlichen Kräfte an der Grenze dulden

Dort habe man aus dem Überfall der Hamas und Hisbollah den Schluss gezogen, unter keinen Umständen mehr den Aufbau feindlicher Kräfte an der eigenen Grenze zu tolerieren.

Israelische Drusen dienen in der Armee des jüdischen Staates und gelten als sehr loyal.

© IMAGO/Saeed Qaq

Eine erzwungene Eingliederung der von Israel unterstützten Drusen ist militärisch kaum möglich, doch eine weitgehende drusische Autonomie ist auch schwerlich akzeptabel für Damaskus.

Denn „die kurdische dominierte Miliz ‘Syrian Democratic Forces’ beobachtetet die Situation genau und wird zweifellos daraus ihre Schlüsse ziehen“, glaubt Koulouriotis. Nicht nur kurdische Separatisten, sondern auch andere Minderheiten wie die Alawiten dürften dann auf mehr Rechte pochen und den Zentralstaat schwächen.

„Die Situation in Damaskus wird zunehmend kritisch, trotz des anfänglichen Optimismus nach dem Fall des Assad-Regimes. Die Spannungen im Süden des Landes werden Tag für Tag gefährlicher. Die Drusen Syriens werden die Karte des Landes neu zeichnen“, resümiert Koulouriotis.

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