
© dpa/Efrem Lukatsky
Taurus jetzt überflüssig?: Experte sieht möglichen „Riesengewinn für die Ukraine“ durch Flamingo-Marschflugkörper
Die Diskussion um eine Taurus-Lieferung beschäftigte zwei deutsche Regierungen. Doch nun braucht die Ukraine die Waffe offenbar gar nicht mehr so sehr – auch wegen einer neuen Eigenentwicklung.
Stand:
Soll die Ukraine den deutschen Taurus-Marschflugkörper bekommen oder nicht? Die Debatte über das Für und Wider bewegte die Republik, von Talkshows bis hinein in Demos, wo eine Lieferung gefordert wurde. „Olaf, rück die Taurus raus“, hieß es unter anderem, doch der ehemalige Bundeskanzler Scholz (SPD) lehnte aus Angst vor einer Eskalation des Krieges mit Russland ab. Sein Nachfolger Friedrich Merz (CDU) zeigte sich in der Frage schließlich deutlich zurückhaltender, als er es noch im Wahlkampf getan hatte. Jetzt aber könnte sich die Debatte sowieso weitestgehend erledigt haben.
Die Ukraine kann es nun allein
So legt es zumindest eine Einschätzung des Militärexperten Fabian Hoffmann nahe. „Der militärische Bedarf für einen Taurus ist jetzt deutlich geringer als 2023“, sagte er dem Tagesspiegel. Damals hätte der Taurus helfen können, aber im vierten Jahr der russischen Invasion ist Kiew offenbar viel besser aufgestellt, um Ziele auch hunderte oder mehr als tausend Kilometer von der Grenze entfernt in Russland zu treffen.
Da spielen einerseits ausländische Lieferungen eine Rolle – doch andererseits wächst eben auch die ukrainische Eigenproduktion. Kiew baut etwa Drohnen und „Mini-Marschflugkörper“ namens Ruta und Peklo selbst, die laut Hoffmann Distanzen von 500 bis 800 Kilometern überbrücken können.
Dazu kommt ein kürzlich vorgestellter neuer Marschflugkörper namens „Flamingo“. Diese Waffe lief zunächst pink vom Band, es war ein Versehen, das zum Namen wurde. Darüber mag man schmunzeln, doch die technischen Merkmale der „Flamingo“-Eigenproduktion sind durchaus beeindruckend. Hoffmann spricht von einem möglichen „Riesengewinn für die Ukraine“, sollte der Flamingo einhalten können, was zur Präsentation versprochen wurde.
Wie schlägt sich der neue ukrainische Marschflugkörper also im Vergleich zum Taurus? Vorneweg: Das deutsche Hightech-Produkt mag der ukrainischen Waffe in mehreren Bereichen überlegen sein, doch das ist gar nicht so entscheidend.
Zerstörungskraft: Flamingo gegen Taurus
Im Flamingo werden Hoffmann zufolge Bomben verbaut, die wahrscheinlich „noch irgendwo im ehemals sowjetischen Arsenal herumlagen.“ Es dürfte sich ursprünglich um sogenannte Freifallbomben gehandelt haben, bei denen das Heckteil abgeschnitten wurde. Doch trotz dieser Improvisation sei davon auszugehen, dass die Flamingos mit ihrem Sprengstoffanteil von 400 bis 500 Kilogramm im Gefechtskopf „gewaltig ‚boom‘ machen.“
Der Taurus wiederum mag zwar technisch raffinierter daherkommen. Er hat mehrere Gefechtsköpfe: Nummer eins sprengt ein Loch ins Ziel, „so wie bei einer Panzerfaust“. Nummer zwei – der Penetrator – bohrt sich danach tief rein, zum Beispiel in eine Bunkeranlage, bevor eine Explosion folgt.
Damit ist klar: Beim Angriff auf gepanzerte oder vergrabene Ziele ist der Taurus dem Flamingo deutlich überlegen. Aber Hoffmanns Einschätzung zufolge ist das in der ukrainischen Kriegsrealität eben nicht groß von Belang. „80 bis 90 Prozent der relevanten Ziele brauchen keinen hoch entwickelten Gefechtskopf wie den im Taurus.“ Zumal der Flamingo im Vergleich zum deutschen Produkt billiger und einfacher herzustellen sei.
Präzision: Flamingo gegen Taurus
Bei der Präzision ist der Taurus dem Flamingo zwar ebenfalls „deutlich überlegen“, gerade wenn es um Angriffe auf die oben genannten, gehärteten Ziele geht. Die vielen Navigationssysteme an Bord ermöglichten eine Zielgenauigkeit von ein bis drei Metern, teilweise auch darunter – „Punktgenauigkeit“ also. Doch auch hier ist die Praxisanwendung entscheidend. Der Flamingo erreiche mit seiner „Riesensprengkraft“ einen Zerstörungsradius von mehr als 30 Metern. „Da ist es völlig egal, ob der Gefechtskopf zehn oder 15 Meter weiter links oder rechts landet. Das Ziel wird trotzdem zerstört.“
Tarnung: Flamingo gegen Taurus
Eine klare Schwäche des Flamingos besteht in seiner Sichtbarkeit. Es wirkt ein bisschen so, als wollte der Marschflugkörper seinem ungewöhnlichen Namen gerecht werden, jedenfalls ist er für den Feind im Flug gut sichtbar. Auf dem Radar „leuchtet der Flamingo wie ein Weihnachtsbaum in der Winternacht“, so Hoffmann. Ein anderer Experte weist auf die solide russische Flugabwehr hin, die die Wirksamkeit des Flamingos begrenzen werde.
Reichweite: Flamingo gegen Taurus
Dafür jedoch gewinnt der neue ukrainische Marschflugkörper in Sachen Distanz eindeutig gegen den Taurus – selbst wenn man bei letzterem nicht die Herstellerangabe von mehr als 500 Kilometern, sondern die von Hoffmann geschätzte Reichweite von 700 bis 800 Kilometern als Vergleich nimmt.
Denn die ukrainische Waffe soll bis zu 3000 Kilometer weit fliegen können. Hoffmann hält diese Herstellerangabe für realistisch. Damit könnte der Flamingo sogar das russische Uralgebirge erreichen. Der Ukraine bieten sich damit viele potenzielle Ziele wie Militär- oder Öl-Anlagen in Russland.
Das ist selbst dann noch der Fall, wenn man beim Start des Flamingos einen Sicherheitsabstand von ungefähr 200 Kilometern zur russischen Landesgrenze berücksichtigt und davon ausgeht, dass der Marschflugkörper aufgrund feindlicher Radar- und Abwehrmaßnahmen nicht in einer geraden Linie fliegen kann.
Deutsche Finanzierung statt Taurus-Lieferung
Dieser Vergleich und auch der Blick ins sonstige Reichweiten-Arsenal der Ukraine zeigen, dass Kiew deutlich unabhängiger von ausländischen Waffenlieferungen geworden ist. Für Friedrich Merz dürfte das eine gute Nachricht sein. Er hatte die Taurus-Lieferung noch im Wahlkampf befürwortet, sich danach für seine Zurückhaltung als Kanzler Kritik eingehandelt – und versprochen, dass Deutschland der Ukraine bei der Entwicklung weitreichender Waffen hilft.
Details einer angekündigten Rüstungskooperation zwischen Deutschland und der Ukraine blieben zwar offen. Doch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, es gehe um die Bezahlung bereits bestehender Projekte in der Ukraine. Was die Ausweitung des ukrainischen Arsenals an eigenen weitreichenden Waffen betrifft – darunter Raketen und Marschflugkörper – hat „deutsche Finanzierung eine Rolle gespielt“, sagt auch Hoffmann jetzt. (mit dpa)
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: