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Proteste, internationaler Druck und einbrechende Märkte: Druck auf türkische Regierung wächst nach İmamoğlu-Festnahme
Die Festnahme von Istanbuls Bürgermeister İmamoğlu sorgt für Spannungen. Studierende fordern den Rücktritt von Präsident Erdogan, während die Oppositionspartei CHP landesweit Abstimmungen organisiert.
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Nach seiner Festnahme hat Istanbuls Bürgermeister Ekrem İmamoğlu Staatsanwälte und Richter aufgerufen, das Justizsystem in der Türkei zu verteidigen. Diese sollten Maßnahmen gegen eine Handvoll Ihrer Kollegen ergreifen, „die die türkische Justiz ruiniert, uns in der ganzen Welt in Verruf gebracht und unseren Ruf zerstört haben“, hieß es in einem Beitrag auf dem X-Profil von İmamoğlu. Er vertraue der türkischen Justiz – „Sie können und dürfen nicht schweigen.“
İmamoğlu warnte zugleich die Menschen in der Türkei. „Der Kopf, der mein Diplom beschlagnahmt hat, wird sich auch an eurem Besitz, eurer Ehre und eurem Eigentum vergreifen und jegliche Art von Enteignung und Übergriffe vornehmen.“ İmamoğlu forderte: „Als Nation müssen wir uns gegen dieses Übel stellen.“
İmamoğlu war am Mittwochmorgen gemeinsam mit vielen weiteren Menschen festgenommen worden, wenige Tage vor seiner geplanten Nominierung als Präsidentschaftskandidat der größten Oppositionspartei. Begründet wurde dies von der Staatsanwaltschaft mit Terror- und Korruptionsvorwürfen. Oppositionelle wie auch Beobachter werfen der Regierung vor, hinter der Festnahme zu stecken und so einen politischen Konkurrenten ausschalten zu wollen.
Drohende Absetzung İmamoğlus
Studierende mehrerer Universitäten in der Türkei haben am Tag nach der Festnahme weiter demonstriert. Wie das Nachrichtenportal „Birgün“ berichtete, forderten Studierende der Istanbul-Universität unter anderem den Rücktritt der Regierung. Auch an der Galatasaray Universität in Istanbul, der Hacettepe Universität in Ankara und weiteren Hochschulen wurde demonstriert. In Istanbul besteht weiter Demonstrationsverbot. Auch die Finanzmärkte reagierten deutlich. Am Mittwoch stürzte die türkische Lira auf ein Rekordtief.
Mit Imamoglu wurden nach einer Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu mindestens 87 weitere Personen festgenommen, gegen 106 wird insgesamt ermittelt. Darunter sind auch zwei Istanbuler Gemeindebürgermeister und Imamoglu nahestehende Mitarbeiter. Das Verfahren steht unter Geheimhaltung.
Hintergrund der Terrorermittlungen ist eine Kooperation zwischen der CHP und der prokurdischen Dem-Partei bei den Kommunalwahlen. Über diese Kooperation habe die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK versucht, ihren Einfluss auszuweiten, zitierte Anadolu die Generalstaatsanwaltschaft.
Der CHP-Vorsitzende Özgür Özel nannte die Festnahme seines Parteifreundes einen „zivilen Putsch“. Die Partei Erdogans wehrt sich gegen den Vorwurf und nannte ihn den „Gipfel politischer Unvernunft“. İmamoğlu rief bei X Staatsanwälte und Richter dazu auf, das Justizsystem zu verteidigen. „Sie können und dürfen nicht schweigen.“
Imamoglu-Partei ruft zu türkeiweiter Abstimmung auf
Die Partei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat die Putschvorwürfe vonseiten der Opposition scharf zurückgewiesen. Den türkischen Präsidenten und seine AK-Partei damit in Verbindung zu bringen, sei der „Gipfel politischer Unvernunft“, sagte Parteisprecher Ömer Celik. Der Chef von İmamoğlu CHP-Partei, Özgür Özel hatte die Festnahme als „zivilen Putsch“ bezeichnet.
Ob der CHP-Politiker in Untersuchungshaft kommt, ist noch unklar. Sein Anwalt Kemal Polat sagte der Deutschen Presse-Agentur, sollte dies in Verbindung mit Terrorvorwürfen geschehen, könne Imamoglu das Amt des Bürgermeisters aberkannt und ein Zwangsverwalter an seiner Stelle eingesetzt werden.
In der Türkei wurden bereits zahlreiche Bürgermeister der Dem-Partei und kürzlich auch der CHP wegen Terrorermittlungen ihres Amtes enthoben und durch regierungsnahe Zwangsverwalter ersetzt. Die Absetzung des Bürgermeisters der 16-Millionen-Metropole Istanbul wäre aber ein beispielloser Vorgang.
Ermittlungen wegen „provokativer Beiträge“ in sozialen Medien
İmamoğlu Sieg im Jahr 2019 in Istanbul gilt bis dorthin als größte Niederlage der AK-Partei Erdogans. Die hatte die Metropole bis dahin regiert. İmamoğlu gewann in Istanbul 2024 ein weiteres Mal. Erdogan verfehlte damit sein wichtigstes Ziel, die politisch und wirtschaftlich wichtige Metropole zurückzugewinnen. In Istanbul hatte einst auch Erdogans politischer Aufstieg seinen Anfang genommen, als er 1994 zum Bürgermeister gewählt wurde.
Die CHP will Imamoglu am Sonntag der Festnahme zum Trotz als Präsidentschaftskandidaten aufstellen. Statt nur die Mitglieder fordert die Partei nun alle Menschen in der Türkei dazu auf, symbolisch für Imamoglu abzustimmen. Neben jeder der rund 4.000 landesweit aufgestellten Wahlboxen für die 1,7 Millionen Parteimitglieder würden zusätzlich symbolisch „Solidaritätswahlboxen“ aufgestellt, teilte die sozialdemokratische Partei mit.
Gegen zahlreiche Nutzer im Netz wurden unterdessen Ermittlungen eingeleitet. 37 Personen seien „gefasst“ worden, schrieb der türkische Innenminister Ali Yerlikaya auf X. Insgesamt seien 261 Accountinhaber wegen „provokativer Beiträge“ ermittelt worden, 62 davon im Ausland. Gegen die verbliebenen werde noch vorgegangen. Insgesamt seien bis zum Morgen mehr als 18 Millionen Beiträge auf X zu dem Thema veröffentlicht worden, so der Innenminister.
Sozialen Medien funktionieren dabei weiterhin nur eingeschränkt. Der Cyberrechts-Aktivist Yaman Akdeniz schrieb am Morgen auf X, die Bandbreitendrosselung der Plattformen halte an. Nutzer und Medien berichten seit Mittwoch von nur teilweise und kaum erreichbaren Portalen. (Trf mit Agenturen)
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